junge Welt, 5. August 2023

Auftrag: Antikommunismus

Serie: Klassenkampf im Äther – 100 Jahre Rundfunk in Deutschland. Teil 8: Im Kalten Krieg funkten die Westsender in die »Zone«. Die DDR sendete zurück

Am 16. November 1946 erschien eine kleine Notiz in der Berliner Zeitung. Unter der Überschrift »Rundfunk contra Rundfunk« wurde angekündigt, dass sich die Mitarbeiter des Berliner Rundfunks am Sonnabend um 14.30 Uhr mit den Kollegen des Rundfunks im amerikanischen Sektor messen würden, und zwar als Fußballmannschaften. »Die lustige Note wird auch diesmal vorherrschend sein«, versicherte das Blatt.¹ Wie das Spiel ausging, wurde leider nicht übermittelt.

Kein Jahr später wäre ein solcher fröhlicher Wettstreit kaum noch vorstellbar gewesen. Gab es im April 1947 im Neuen Deutschland noch eine wohlwollende Rezension eines vom RIAS veranstalteten Konzerts US-amerikanischer Komponisten², nahmen in den folgenden Monaten die Spitzen gegen den Westsender zu. So beschwerte sich am 30. Juli 1947 eine Glosse im SED-Zentralorgan über die verstärkte Sendeleistung des RIAS: »Der Erfolg ist durchschlagend. Wer keinen Super hat, hört bei allen Sendern im Hintergrund schräge Musik oder die Stimme Amerikas murmeln, wenn Herr Zimmermann uns zu überzeugen versucht, wie gut man es mit uns meine und was für Dickköpfe wir doch seien.«³ Oder wenige Tage später nach einer antikommunistisch geprägten Nachrichtensendung: »Angeblich ist der RIAS-Sender kürzlich verstärkt worden, um ehemalige Nazis besser zur Demokratie erziehen zu können. Auf diese Weise bewirkt er das Gegenteil: eine Renazifizierung.«⁴

»Freie Stimme der freien Welt«

Schon die Gründung des RIAS war eine Reaktion auf die sich zuspitzenden Gegensätze zwischen den Siegermächten gewesen. Unmittelbar nach der Einnahme Berlins im Mai 1945 hatte die Sowjetunion begonnen, den Rundfunkbetrieb in der Stadt wieder aufzunehmen. Als die Westalliierten im Sommer 1945 entsprechend den Beschlüssen der Konferenzen von Jalta und Potsdam die Kontrolle über ihre Sektoren übernahmen, strahlte der Berliner Rundfunk bereits ein Vollprogramm über den einzigen funktionsfähigen Sender der Hauptstadt aus. Ebenso hatten die Briten unmittelbar nach der Befreiung der Hansestadt den örtlichen Sender als Radio Hamburg wieder in Betrieb genommen. An einem gemeinsamen Rundfunkprogramm für ganz Deutschland hatten die westlichen Alliierten 1945 kein besonderes Interesse, auch wenn diese Frage bei den Sitzungen der gemeinsamen Verwaltungsgremien der Alliierten regelmäßig auf der Tagesordnung stand. Insbesondere Frankreich verfolgte die politische Linie, gesamtdeutsche Institutionen nach Möglichkeit zu verhindern.⁵ Von daher greift die in der heutigen Literatur meist anzutreffende Darstellung zu kurz, die Gründung des RIAS sei eine Reaktion auf die Weigerung der Sowjets gewesen, den Berliner Rundfunk für die Westmächte zu öffnen, zumal etwa die Briten auch nicht auf die Idee kamen, der Sowjetunion Zugriff auf den Hamburger Sender zu gewähren, und die USA Programme aus Moskau weder in München noch in Bremen zuließen.

In Berlin hatten die USA bereits im November 1945 den Aufbau eines eigenen Senders für ihre Zone angeordnet. Da es an funktionierenden Anlagen noch fehlte, wich man zunächst auf das Telefonnetz aus und verbreitete ab Februar 1946 ein Drahtfunkprogramm. Am 5. September 1946 wurde dann als Provisorium ein fahrbarer Mittelwellensender in Betrieb genommen, den man aus Wehrmachtsbeständen erbeutet hatte. Das war die eigentliche Geburtsstunde des Rundfunks im amerikanischen Sektor. Die Kontrolle übernahm die Information Control Division der US-Militärregierung. Die Briten ihrerseits setzten am 17. August 1946 einen eigenen Mittelwellensender in Berlin in Betrieb, der das um Regionalsendungen ergänzte Programm des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) aus Hamburg übernahm.

Der NWDR hatte in den ersten Monaten seiner Existenz gerne auf linke, progressive, auch kommunistische Redakteure und Sprecher zurückgegriffen, schon weil die antifaschistische Einstellung zunächst das zentrale Kriterium für eine Anstellung im Rundfunk war. Diese Offenheit war jedoch nicht von langer Dauer. Bereits Anfang 1947 kam es im NWDR zu einer Welle von Entlassungen. So wurde im Kölner Funkhaus der Intendant Max Burghardt entlassen, nachdem die CDU und ihr Vorsitzender Konrad Adenauer eine wütende Kampagne gegen ihn entfesselt hatten. Der spätere Bundeskanzler hatte Anstoß an einer Erklärung Burghardts genommen. Der hatte geschrieben, man selbst werde wohl keine philosophischen Systeme mehr aufbauen, aber vielleicht »die großen Gedanken der Vergangenheit endlich einmal realisieren«. Das Lebensprinzip werde dann »die Verwirklichung der Ideen Goethes, Herders, Kants, Hegels und Marx’ sein«.⁶ Adenauer wütete, dass der NWDR-Intendant Gott und Jesus nicht erwähnt habe. In der Folge wurde Burghardt von den britischen Besatzungsbehörden »nahegelegt«, auf sein Amt zu verzichten. Daraufhin erklärte er Anfang 1947 seinen Rücktritt und bewarb sich zugleich beim nordrhein-westfälischen Kultusministerium um eine andere Anstellung. Erst als dies erfolglos blieb, folgte er einem Angebot aus Berlin, die Leitung der Neues Schauspielhaus GmbH zu übernehmen und leitete später u. a. erfolgreich die Leipziger Bühnen.⁷

Weitere führende Journalisten des NWDR, die in dieser Zeit ihre Posten räumen mussten, waren der Leiter der Politikabteilung Karl-Eduard von Schnitzler – dem der britische NWDR-Chef Hugh Carleton Greene bescheinigte, ein talentierter Journalist zu sein, den er ungern verlieren wollte – sowie die Kommentatoren Karl Georg Egel und Günther Cwojdrak. Sie wechselten nach ihrem Rauswurf in Köln zum Berliner Rundfunk, wo durch gezielte Abwerbung seitens des RIAS Stellen frei geworden waren. An die Spitze des NWDR gelangte dafür im Februar 1949 als »kommissarischer Intendant« der ehemalige Nazi Herbert Blank, der seine neue Macht gleich dazu nutzte, 51 Mitarbeiter »aus Etatgründen« zu entlassen – woraufhin zahlreiche weitere liberale Journalisten aus Protest ebenfalls ihre Kündigung einreichten, unter ihnen so prominente Namen wie Axel Eggebrecht.⁸ Die politische »Säuberung« erfasste auch die anderen Rundfunkstationen in Westdeutschland. Bei Radio Stuttgart etwa wurde der KPD ab 1947 der Platz für Wahlwerbung verweigert, der allen anderen Parteien zur Verfügung stand.⁹

Während der ersten Berlin-Krise 1948, als die Sowjetunion als Reaktion auf die Währungsreform in den Westsektoren die Verkehrswege in die westliche Exklave blockierte, setzte die französische Besatzungsmacht sogar Sprengstoff gegen den Berliner Rundfunk ein. Dieser hatte noch immer die Sendeanlagen in Tegel genutzt, die inzwischen im französischen Sektor lagen. Auf Befehl von Stadtkommandant Jean Ganevals sprengten französische Militärpolizisten am Morgen des 16. Dezember 1948 die Tegeler Sendetürme. Begründet wurde das von den französischen Militärbehörden mit der »Gewährleistung der Luftsicherheit« angesichts eines stark erhöhten Luftverkehrs – gemeint war die »Luftbrücke« zur Versorgung Westberlins. Der Berliner Rundfunk musste auf einen schwachen Potsdamer Sender sowie den Sender Leipzig ausweichen, was seine Ausbreitung vor allem in Berlin für Monate stark einschränkte.¹⁰

Die Grenzen der Freiheit

Beim RIAS endete derweil die Freiheit der »freien Stimme der freien Welt«, wenn die Journalisten den US-amerikanischen Aufsehern nicht scharf genug antikommunistisch auftraten. So wurden im Januar 1948 RIAS-Leiterin Ruth Norden und Kontrolloffizier Harry Freman abberufen. Ziel der Operation war es, den RIAS auf kompromisslosen Antikommunismus zu trimmen. Damit beauftragte US-General Lucius D. Clay seinen Geheimdienstchef William Heimlich. Man müsse »die Samthandschuhe ausziehen und den Russen endlich resoluter begegnen«. Der SWR zitierte Clay in einem Feature mit den Worten: »Ab jetzt wird zurückgesendet! (…) Vergleichen Sie es mit einem Sonderkommando in einem Kampfeinsatz.«¹¹ Die Sendezeiten wurden ausgedehnt, die Leistung der Strahler erhöht, neue Sender in Hof und München sorgten dafür, dass der RIAS in der gesamten Sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR zu empfangen war. Und man gab sogar militanten Organisationen wie der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« Sendezeit. Diese antikommunistische Gruppierung, die bis 1958 Anschläge und Sabotageakte in der DDR verübte, war von den Westalliierten offiziell als Verein zugelassen worden und wurde vom US-Auslandsgeheimdienst CIA kontrolliert und finanziert.¹²

Wenn es gegen die Kommunisten ging, war es auch bei den anderen westdeutschen Rundfunksendern mit der behaupteten Unabhängigkeit von der Regierung nicht weit her. Das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen unter Jakob Kaiser nahm gezielt und ganz offen Einfluss auf die Programme der öffentlich-rechtlichen Anstalten, die bereits ab Ende der 1940er Jahre begonnen hatten, für die »Ostzone« bestimmte Sendungen auszustrahlen. Im Sommer 1950 verlangte Minister Kaiser einen »politischen und moralischen Feldzug gegen den Kommunismus«.¹³ Dazu sollten alle westdeutschen und Westberliner Rundfunkanstalten im Vorfeld der am 15. Oktober 1950 in der DDR stattfindenden Volkskammerwahlen täglich gemeinsame Sendungen für die Bevölkerung in Ostdeutschland ausstrahlen, um »der Bevölkerung in der sowjetischen Besatzungszone möglichst klare und einheitliche Richtlinien für ihr Verhalten bei der Wahl zu geben«. Tatsächlich wurde ab September 1950 unter dem Titel »Hier spricht Deutschland« täglich eine abwechselnd von allen Anstalten produzierte Sendung über Kurzwelle in die »Zone« gesendet. Formell blieben die öffentlich-rechtlichen Sender selbst für die Inhalte verantwortlich, doch das Ministerium richtete für das Programm ein zentrales Nachrichtenbüro in Bonn ein, das die Sender mit dem zu verwendenden Material versorgte.¹⁴

Auch der US-Auslandsgeheimdienst CIA hatte seine Finger im Spiel, wie aus Dokumenten hervorgeht, die auf der Grundlage des »Freedom of Information Act« der Öffentlichkeit freigegeben wurden. So heißt es in einem Schreiben eines Generalmajors R. C. Partridge an CIA-Chef Allen Dulles vom 3. August 1953: »Es ist eine bekannte Tatsache, dass die US-Regierung außerordentlich, geheimdienstlich, von den Aktivitäten des RIAS und dem Ansehen, das er unter der Bevölkerung der Sowjetzone gewonnen hat, profitiert. Die Direktoren des RIAS haben eine sehr kooperative Haltung gegenüber den in Berlin operierenden US-Nachrichtendiensten an den Tag gelegt (…)«¹⁵

Der RIAS und der 17. Juni

Anlass des Schreibens war Kritik aus den USA am Verhalten des RIAS während der Unruhen in der DDR am 17. Juni 1953. In seinem antikommunistischen Eifer wollte US-Senator Joseph R. McCarthy RIAS-Chef Gordon A. Ewing vor das »Komitee für unamerikanische Umtriebe« zitieren, weil er ihm unterstellte, den Aufstand nicht genügend unterstützt zu haben. Das sorgte für Bestürzung und Empörung unter anderem in Westberlin, dessen Bürgermeister Ernst Reuter sogar anbot, in einem offenen Brief die antikommunistische Haltung Ewings zu bezeugen.¹⁶ Letztlich entging Ewing dem vor allem für die US-Administration peinlichen Ansinnen McCarthys. Eine Anhörung hätte letztlich nur ergeben können, dass es den »Volksaufstand« in der DDR ohne den RIAS so nie gegeben hätte. Das räumten Jahrzehnte später auch führende Mitarbeiter wie der damalige Chefkommentator Egon Bahr ein.

Bereits am 15. Juni 1953 hatte der RIAS als erster und zunächst einziger Rundfunksender begonnen, über Proteste auf Baustellen in Ostberlin zu berichten. Die Informationen darüber habe man telefonisch erhalten, hieß es später. Am folgenden Tag berichtete der Sender ausführlich über den Streik der Bauarbeiter in der Stalinallee und über deren Demonstration zum Haus der Ministerien. Die Reporter machten keinen Hehl aus ihrer Begeisterung für die Aktionen und verbreiteten immer wieder, dass sich die Forderungen der Demonstranten nicht mehr auf den Protest gegen die bereits zurückgenommenen Normerhöhungen beschränkten, sondern inzwischen Rufe nach dem Rücktritt der SED-Regierung und freien Wahlen laut geworden seien. Außerdem meldete der RIAS, dass am Nachmittag eine dreiköpfige Delegation der Demonstranten im Sender erschienen sei und um die Verbreitung ihrer Forderungen gebeten habe. Was der RIAS damals nicht mitteilte war, dass diese Forderungen überhaupt erst im Studio des Senders mit Hilfe der Redakteure formuliert wurden. Egon Bahr berichtete Jahrzehnte später im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: »Und dann haben wir uns hingesetzt, ich habe gefragt: Nun sagen Sie doch erst mal Ihre Forderungen. Und dann sprudelte eine Reihe von Forderungen. Dann haben wir uns hingesetzt und haben diese Forderungen in ein vernünftiges Deutsch gebracht, in eine Reihenfolge gebracht und dann haben wir das gesendet. Punkt. Aus. Schluss.«¹⁷

Ab dem Nachmittag des 16. Juni konzentrierte sich das Programm des RIAS vollständig auf die Entwicklungen in der DDR. Mehrfach wurde ein Aufruf von Programmdirektor Eberhard Schütz an die Bevölkerung in der »Sowjetzone« ausgestrahlt: »Macht euch die Ungewissheit, die Unsicherheit der Funktionäre zunutze. Verlangt das Mögliche – wer von uns in Westberlin wäre bereit, heute zu sagen, dass das, was vor acht Tagen noch unmöglich schien, heute nicht möglich wäre.« Stündlich wurde in den Nachrichten kaum verklausuliert der Treffpunkt für den kommenden Tag verbreitet: »Arbeiter aller Industriezweige forderten in den Abendstunden besonders nachdrücklich, dass die Ostberliner sich am Mittwoch früh um sieben Uhr am Strausberger Platz zu einer gemeinsamen Demonstration versammeln sollen.« Es folgten Aufrufe der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« und des ebenfalls von der CIA gegründeten und finanzierten »Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen«. Der Schriftsteller Erich Loest, der die Ereignisse damals in der DDR am Rundfunkgerät verfolgte, war von der entscheidenden Wirkung dieser Sendungen überzeugt: »Wenn der RIAS nicht vom Nachmittag des 16. Juni an stündlich von den Ereignissen im Ostteil Berlins berichtet hätte, wenn nicht vom bevorstehenden Generalstreik die Rede gewesen wäre und von einem Aufruf, den Arbeiter aller Industriezweige angeblich an die Ostberliner gerichtet haben sollten, sich am 17. Juni um sieben Uhr auf dem Strausberger Platz zu versammeln, wäre die Kunde nicht über die DDR hinausgeflogen. Ohne den RIAS, das war keine Frage, wäre es in Magdeburg und Leipzig, Halle und Görlitz still geblieben.«¹⁸

Die Mobilisierung lief weiter, bis man das Programm um 13.44 Uhr mit der Sondermeldung unterbrach, dass die sowjetische Militäradministration den Ausnahmezustand verhängt habe. Von jetzt an verbreitete der RIAS den »dringenden Hinweis, sich jeder Handlung gegen die sowjetische Besatzungsmacht zu enthalten« und konnte im folgenden nur noch über die Niederschlagung der Rebellion berichten.¹⁹

Im Rundfunk der DDR hatte man die Ereignisse bis dahin weitgehend ignoriert, im Radio lief das in den Programmzeitschriften ausgedruckte Programm, und auch die Nachrichten verschwiegen die Proteste in der Hauptstadt. Ab 13 Uhr wurde dann wiederholt über die Verhängung des Ausnahmezustands informiert und weiter Musik gesendet, um 14 Uhr folgt die erste öffentliche Bekanntmachung von Ministerpräsident Otto Grotewohl, in der die Bevölkerung zur Wiederherstellung der Ordnung, der Wiederaufnahme der Arbeit in den Betrieben und zur Ergreifung von Provokateuren aufgerufen wurde. Die Unruhen seien das Werk von »Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus westdeutschen kapitalistischen Monopolen gewesen«. Es folgte ein Kommentar von Karl-Eduard von Schnitzler, der unter der Überschrift »Saboteure am Werk!« betonte, dass die demonstrierenden Bauarbeiter nichts mit den »Westberliner Brandstiftern« gemein hätten, von denen die Unruhen angefacht worden seien.²⁰

Am folgenden Tag erklärte er in einem weiteren Kommentar: »Es ging nicht um Normen, nicht um freie Wahlen, nicht um die Verbesserung des Lebensstandards, nicht um eine – wie immer geartete – Freiheit; sondern unter Missbrauch des guten Glaubens eines Teils der Berliner Arbeiter und Angestellten, gegen grobe Fehler bei der Normerhöhung mit Arbeitsniederlegung und Demonstrationen antworten zu müssen, wurde von bezahlten Provokateuren, vom gekauften Abschaum der Westberliner Unterwelt ein Anschlag auf die Freiheit, ein Anschlag auf die Existenz, auf die Arbeitsplätze, auf die Familien unserer Werktätigen versucht. (…)«²¹

Die CIA sendet

Die Rolle des RIAS war für die US-Administration Vorbild für weitere Propagandasender, die sich gegen das sozialistische Lager wendeten. Von München aus sendete seit 1950 Radio Free Europe (RFE) in den Sprachen der zum »Ostblock« gezählten Länder Mittel- und Osteuropas, 1953 folgte das gegen die Sowjetunion gerichtete Radio Liberation, das sich später in Radio Liberty (RL) umbenannte. Die bundesdeutschen Behörden hatten bei der Einrichtung der beiden Sender aufgrund des Besatzungsstatuts nichts zu melden gehabt. Erst 1955 erteilten sie die entsprechende Lizenz. Formell ist das überraschend, denn Privatsender waren damals in der Bundesrepublik nicht zugelassen, doch RFE und RL beriefen sich darauf, von US-amerikanischen Nichtregierungsorganisationen betrieben zu werden. Hinter RFE etwa stand offiziell die Vereinigung »Kreuzzug für die Freiheit«, der 26 Millionen US-Bürger angehört haben sollen. »Es ist eine finanziell gut fundierte Organisation, die dem Weltkommunismus entgegenwirken will«, behauptete die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit 1956 in einem Artikel, in dem es um die Einflussnahme des Senders auf die Unruhen in Ungarn ging.²²

Erst Anfang der 1970er Jahre räumte Washington ein, dass RFE und RL von Anfang an vor allem von der CIA finanziert worden waren und private Spenden nie mehr als einen Bruchteil der Einnahmen ausmachten. Der US-Senat entzog dem Geheimdienst daraufhin die Zuständigkeit für beide Sender. Von nun an kam das Geld direkt vom Kongress. An der Einmischung in Osteuropa änderte das nichts.

Die DDR ihrerseits hatte bereits 1948 begonnen, gezielt Sendungen für Westberlin und die Westzonen auszustrahlen. Insbesondere der im Oktober 1948 über die instandgesetzten Anlagen in Königs Wusterhausen in Betrieb genommene Deutschlandsender richtete sich ganz offiziell auch an Hörer in Westdeutschland. 1959 kam mit der Berliner Welle ein Programm hinzu, das sich über UKW und Mittelwelle speziell an die Menschen in Westberlin wandte. Die eigenen Sendungen wie »Von Berlin – für Berlin« oder »Rund um den Ku-Damm« wurden nur am Nachmittag und Abend ausgestrahlt, zu den übrigen Zeiten übernahm man das Programm des Berliner Rundfunks.

Am 26. August 1961, knapp zwei Wochen nach der Schließung der Grenzen in Berlin, überraschte die Berliner Welle spätabends um 23.45 Uhr mit ungewohnten Klängen. Zu hören waren Hits aus US-amerikanischer Produktion, und in englischer Sprache richteten »Bob« und »Barbara« Grüße an die GIs aus, die an der seit dem 13. August abgeriegelten Grenze zu patrouillieren hatten. Dabei wurden die nordamerikanischen Soldaten manchmal sogar mit Name und Dienstgrad angesprochen und aufgefordert, die sie begleitenden »Westberliner Polypen« doch mal zu fragen, »was sie im letzten Krieg gemacht haben«.

Das Programm nannte sich OPS und war in den folgenden Monaten täglich rund 30 Minuten auf UKW und Mittelwelle in Berlin zu hören. Nicht nur die Musik glich der des US-Soldatensenders AFN, auch der Slogan war dem gegnerischen Kanal nachempfunden. Meldete sich dieser als »Stimme der Information und Bildung«, nahm OPS für sich in Anspruch, die »echte Stimme« zu sein. Als Erkennungszeichen nutzte man bewusst ironisch einen alten Song von Cole Porter: »Don’t Fence Me In« – Zäune mich nicht ein. Und den Hörern wurde ein »schöner Preis« versprochen, wenn sie errieten, wofür das Kürzel OPS stehen könnte.

Die Auflösung war »Out Post Station«, was man mit »Außenposten« übersetzen könnte. Und auch die Antwort auf die Frage, warum die Moderatoren ihre erhofften Hörer namentlich begrüßen konnten, stellte sich als recht einfach heraus, wie der Spiegel im Januar 1962 schrieb: Die US-Soldaten trugen ihren Namen deutlich lesbar an der Uniform, und »Volkspolizisten an der Friedrichstraße bekämpften ihre Langeweile gelegentlich damit, die Namen der US-Besatzung am Checkpoint Charlie mit Feldstechern auszuspähen und an den Soldatensender weiterzuleiten«.²³

OPS blieb nur wenige Monate auf Sendung, und das Echo unter den US-Soldaten blieb offenbar verhalten. Mit anderen Sendern hatte die DDR deutlich mehr Erfolg.

Anmerkungen

Berliner Zeitung, 16. November 1946, S. 4

Neues Deutschland, 24. April 1947, S. 3

Neues Deutschland, 30. Juli 1947, S. 2

Neues Deutschland, 8. August 1947, S. 2

5 Wilfried Rogasch: Ätherkrieg über Berlin; in: Deutsches Historisches Museum: Deutschland im Kalten Krieg, 1945 bis 1963; www.dhm.de/archiv/ausstellungen/kalter_krieg/aet_03.htm

6 Zit. nach: WDR Profil; www1.wdr.de/unternehmen/der-wdr/profil/chronik/max-burghardt-102.htm

7 Bundesarchiv: Nachlass Max Burghardt; BA NY 4199/98

8 Robert Heinze: Radio Stuttgart, 1945-47 – Ein Rundfunk im Aufbau. Konstanz 2004, S. 60

9 Ebenda, S. 93

10 Wilfried Rogasch, a. a. O., www.dhm.de/archiv/ausstellungen/kalter_krieg/aet_05.htm

11 Thomas Gaevert: Kalter Krieg im Radio; Sendung am 30. Oktober 2019 auf SWR 2; Manuskript: www.swr.de/swr2/doku-und-feature/swr2-feature-2019-10-30-104.pdf

12 Vgl. Spiegel online: CIA finanzierte Sabotage und Anschläge in der DDR; www.spiegel.de/politik/ausland/ddr-cia-finanzierte-sabotage-und-anschlaege-a-1019554.html

13 Bundesminister Kaiser, Deutscher Bundestag — 85. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. September 1950, S. 3185; dserver.bundestag.de/btp/01/01085.pdf

14 Sina Rosenkranz und Sarah Renner: »Sie stehen nicht allein da in der Zone«; in: Rundfunk und Geschichte Nr. 1–2/2007, S. 15 ff.; rundfunkundgeschichte.de/assets/RuG_2007_1-2.pdf

15 Schreiben von Generalmajor R. C. Partridge an Alen Dulles, 3. August 1953; www.cia.gov/readingroom/docs/CIA-RDP80R01731R000800130014-9.pdf

16 Stefanie Eisenhuth, Scott H. Krause: Inventing the »Outpost of Freedom «; in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 11 (2014), S. 205 f.; zeithistorische-forschungen.de/2-2014/5093

17 Deutschlandfunk Kultur: Bahr: RIAS war Katalysator des Aufstandes (9. Januar 2006); https://www.deutschlandfunkkultur.de/bahr-rias-war-katalysator-des-aufstandes-100.html

18 Wilfried Rogasch, a. a. O., www.dhm.de/archiv/ausstellungen/kalter_krieg/aet_06.htm

19 Vgl. ebd.

20 Ingrid Pietrzynski: »Eine Republikparteischule, noch dazu eine schlechte …«; in: Rundfunk und Geschichte, Nr. 1/2/2003, S. 21; rundfunkundgeschichte.de/assets/RuG_2003_1-2.pdf

21 Karl Eduard von Schnitzler: Der Anschlag auf den Frieden ist gescheitert (DDR-Rundfunk, 18.6.1953); www.17juni53.de/chronik/530618/doc_4.html

22 Was tat Radio Free Europe?; in: Die Zeit Nr. 48/1956; www.zeit.de/1956/48/was-tat-radio-fee-europe/komplettansicht

23 Don’t Fence Me In; in: Der Spiegel Nr. 4/1962; www.spiegel.de/politik/dont-fence-me-in-a-48e87747-0002-0001-0000-000045138058

Erschienen am 5. August 2023 in der Tageszeitung junge Welt