junge Welt, 5. Juli 2023

»Es gibt keinen unpolitischen Rundfunk«

Serie: Klassenkampf im Äther – 100 Jahre Rundfunk in Deutschland. Teil 7: 1945 – Befreiung und Neubeginn

In den frühen Morgenstunden des 28. April 1945 war auf der Wellenlänge des bisherigen Reichssenders München Ungewöhnliches zu hören: »Achtung, Achtung! Hier spricht die Freiheitsaktion Bayern. Arbeiter, schützt eure Betriebe gegen Sabotage durch die Nazis! Sichert Arbeit und Brot für die Zukunft! Beseitigt die Funktionäre der nationalsozialistischen Partei! Die FAB hat heute Nacht die Regierungsgewalt erstritten.«

Angesichts der unaufhaltsam auf München vorrückenden Truppen der US-Armee hatten mehrere hundert Soldaten aus einer Jagdpanzerkompanie beschlossen, dem Krieg ein Ende zu setzen, um zumindest noch einen zerstörerischen Häuserkampf um die bayerische Landeshauptstadt zu verhindern. In der Nacht zum 28. April 1945 besetzten sie zwei Rundfunksender, verkündeten den Sturz von Gauleiter Paul Giesler und riefen zur »Fasanenjagd« auf – »Goldfasanen« war der Spottname für die mit unzähligen Orden und Abzeichen behängten Nazifunktionäre. Aufrufe richteten sie unter anderem in französischer Sprache an die Zwangsarbeiter, sich dem Aufstand anzuschließen.¹

Gescheiterter Aufstand

Der Aufstand scheiterte. Den Verschwörern gelang es nicht, die militärischen und politischen Schlüsselstellungen Bayerns zu besetzen, nur die Sender waren zunächst in den Händen der Freiheitsaktion. Doch schon am Vormittag rückten Einheiten der SS auf den Sender Ismaning vor. Um 10.46 Uhr war der letzte Aufruf der Freiheitsaktion zu hören, dann folgte nur noch Musik. Insgesamt wurden in der Folge der Ereignisse mindestens 100 Menschen von den Nazis als Beteiligte an dem Aufstand ermordet. Gegen Mittag verkündete Giesler dann, die Revolte der »Drückeberger«, die »nie Pulver gerochen haben in diesem Krieg«, sei »im Keim erstickt«. Er warnte: »Lasst euch darum in den nächsten Stunden, Tagen und Wochen niemals mehr auch nur für wenige Augenblicke durch einen solchen verbrecherischen Missbrauch irgendeiner Ätherwelle in Verwirrung bringen.«²

Nur einen Tag nach der gescheiterten Rebellion wurde der Reichssender München endgültig abgeschaltet, am 30. April 1945 rückte die US-Armee in München ein.³ In der bayerischen Landeshauptstadt erinnert heute der Straßenname »Münchner Freiheit« im Stadtteil Schwabing an die Rebellion der Freiheitsaktion Bayern.

Kampf um die Sender

Der Rundfunk war nicht nur in München bis in die letzten Stunden des Krieges und noch darüber hinaus Schauplatz heftiger Kämpfe. Von dem 1939 als Einheitsprogramm geschaffenen Großdeutschen Rundfunk waren Anfang Mai 1945 nur noch Restbestände übrig. Der letzte funktionierende »Reichssender« war Hamburg, dessen Programm von den noch von den Deutschen besetzten Stationen in Oslo, Kopenhagen und Prag übernommen wurde.⁴ Auf diesem Weg erfuhren die verbliebenen Hörer am 1. Mai 1945 vom Selbstmord Hitlers und der Machtübernahme durch Karl Dönitz. Dieser meldete sich unmittelbar nach der verlogenen Todesmeldung, der »Führer« sei »bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend für Deutschland gefallen«, mit einer rund siebenminütigen Ansprache zu Wort, in der er die deutschen Soldaten zur Fortsetzung des Kampfes aufrief. Die Parolen des Großadmirals blieben nicht unwidersprochen. Offenbar schaltete sich auch in diese Ansprache die von Moskau aus betriebene »Geisterstimme« mit Zwischenrufen ein und forderte die Deutschen zu Streiks und zur Beendigung des sinnlosen Krieges auf.

Auch die Stunden des Reichssenders Hamburg waren angesichts der auf die Hansestadt vorrückenden britischen Truppen gezählt. Wenige Stunden bevor die Engländer die Elbe überquerten, hatte man in den Mittagsstunden des 3. Mai 1945 letzte Aufrufe des damaligen Staatsrats Georg Ahrens und von Gauleiter Karl Kaufmann gesendet. Es folgte das Deutschlandlied, dann war Stille. Nur 23 Stunden später meldete sich aus dem unzerstörten Funkhaus in der Rothenbaumchaussee dann »Radio Hamburg – ein Sender der alliierten Militärregierung«.

Dönitz hatte sich inzwischen mit seinem Stab nach Schleswig-Holstein abgesetzt und im Marinestützpunkt Flensburg-Mürwik auf dem Passagierschiff »Patria« sein Hauptquartier eingerichtet. Um noch ein Sprachrohr zu haben, bediente man sich eines drei Kilowatt starken Mittelwellensenders, den man großspurig Reichssender Flensburg nannte. Schon gut zwei Stunden nach der Abschaltung des Hamburger Senders am 3. Mai 1945 um 17.15 Uhr konnten so Sendungen der neuen »Reichsregierung« verbreitet werden. Als erster sprach Reichsrüstungsminister Albert Speer live gegen 20.30 Uhr, im Hintergrund waren die Sirenen des Bombenalarms zu hören. Noch immer rief er zur Fortsetzung des Krieges auf: »Es ist der einzige Sinn des Kampfes, der jetzt noch geführt wird, deutsche Menschen, die vor den Sowjetarmeen auf der Flucht oder von ihnen bedroht sind, nicht sterben zu lassen.«⁵

Solche Durchhalteparolen richteten sich unter anderem an die deutschen Besatzungstruppen in Prag. Rund 800.000 Soldaten der Heeresgruppe Mitte sahen sich einer mehr als doppelt so starken Roten Armee gegenüber, die auf die tschechoslowakische Hauptstadt vorrückte. Den Westen des Landes hatten bereits US-Truppen befreit.

Am 5. Mai 1945 erhob sich die Prager Bevölkerung bewaffnet gegen die deutsche Besatzung. Das Signal gab am frühen Morgen der Sprecher des Prager Senders, Zdenek Mancal, der sich mit einer in die Geschichtsbücher eingegangenen Mischung aus Deutsch und Tschechisch meldete: »Je prave sechs hodin« (Es ist genau sechs Uhr). Es war das letzte Zugeständnis an die Besatzer, die strikt ein zweisprachiges Programm verlangt hatten. Doch von nun an sendete Prag nur noch in tschechischer Sprache. Zu hören waren unter anderem bisher verbotene Lieder und Appelle, dem befreiten Rundfunk zu Hilfe zu kommen: »Wir bitten die tschechische Polizei, wir rufen die tschechische Armee, wir rufen alle Tschechen, kommt dem Rundfunk zu Hilfe. Kommt, so schnell ihr könnt. Wir rufen die tschechische Gendarmerie, Regierungstruppen, alles, was tschechisch ist, kommt zum Rundfunkgebäude. Die SS schießt auf Tschechen.« Auf Russisch und Englisch wandte man sich an die Alliierten: »Govorit Praga! Praga govorit! Prag ruft die Rote Armee! Wir brauchen eure Hilfe! Here is Prague! Here is Prague! Amerikaner und Engländer, helft uns! Wir brauchen Gewehre, die Deutschen sind zu viele!«⁶

Die Vorbereitungen für den Aufstand und die Befreiung des Senders hatten bereits im Herbst 1944 begonnen. Bei Außeneinsätzen, etwa bei der Übertragung von Orgelkonzerten aus einer Kirche, »vergaßen« die Techniker immer wieder Teile ihrer Ausrüstung. »So sammelte sich mit der Zeit das nötige Zubehör für ein Ersatzstudio an, das funktionieren würde, sollte es nicht möglich sein, vom Hauptgebäude zu senden.«⁷ Tatsächlich konnte so sichergestellt werden, dass das Radio sogar nach Luftangriffen der Deutschen auf das Rundfunkgebäude nach kurzer Unterbrechung weitersenden konnte.

Doppelherrschaft im Äther

Der Aufstand dauerte noch mehrere Tage, in den Straßen Prags wurde gekämpft. Während die Befreier den Sender Strasnice (Prag II) kontrollierten und damit weiter ihre Durchsagen verbreiten konnten, hatten die Deutschen die Station Liblice (Prag I) in ihrer Hand. So bestand auch im Äther eine Doppelherrschaft. Während die Besatzer über ihren Sender verkündeten, man kämpfe »gegen die Verrohung, die Versklavung, gegen den Bolschewismus und für die Kultur Europas«, kündigten die Tschechen die unmittelbar bevorstehende Befreiung an: »Sowjetische Panzer schlagen den letzten deutschen Widerstand nieder und nähern sich schnell dem Prager Zentrum. Die Bevölkerung bereitet ihre Begrüßung vor.«⁸

In der Nacht zum 7. Mai 1945 unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl in Reims die bedingungslose Kapitulation zum 8. Mai um 23 Uhr. Rund zehn Stunden später, um 12.45 Uhr, verkündete Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk als Mitglied der »Reichsregierung« über den Flensburger Sender das Kriegsende: »Nach einem fast sechsjährigen heldenmütigen Kampf von unvergleichlicher Härte ist die Kraft Deutschlands der überwältigenden Macht unserer Gegner erlegen.«⁹

Von sowjetischer Seite gab es für das Ende des Krieges zunächst keine Bestätigung, denn Moskau verlangte eine Ratifizierung der Kapitulationsurkunde durch den Oberkommandierenden der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, und die Chefs der deutschen Kriegsmarine und Luftwaffe. Diese Zeremonie fand erst in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin-Karlshorst statt. Das mag die deutschen Besatzer in Prag dazu gebracht haben, die Ansprache von Krosigks für einen Trick der Alliierten zu halten. Über die von ihnen noch kontrollierte Prager Station verbreiteten sie am Abend des 7. Mai, die vom »Feindsender Flensburg« verbreitete Meldung, wonach die Reichsregierung bedingungslos gegenüber der Sowjetunion kapituliert habe, entspreche »in keiner Weise den Tatsachen«. Es handle sich »klar um feindliche Propaganda (…). In unserem Bereich wird der Kampf so lange fortgesetzt werden, bis die Deutschen im Osten gerettet sind und unser Weg zurück in die Heimat gesichert ist«.¹⁰ Erst in der Nacht zum 9. Mai 1945 zogen die sowjetischen Truppen in Prag ein, und der Krieg war auch hier beendet.

Am 9. Mai um 20.03 Uhr wurde über den Flensburger Sender der »letzte Wehrmachtsbericht dieses Krieges« verbreitet: »Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. (…) Wir brachten den Wortlaut des letzten Wehrmachtsberichts dieses Krieges. Es tritt eine Funkstille von drei Minuten ein.«¹¹ Anschließend ging der Spuk weiter. Obwohl inzwischen britische Offiziere in Flensburg präsent waren, tagten im Machtbereich der »Reichsregierung Dönitz« noch immer Kriegsgerichte, wurden Marineangehörige wegen »Fahnenflucht« zum Tode verurteilt und hingerichtet. Auch der Reichssender Flensburg blieb auf Sendung. Die Briten erlaubten den Deutschen den Weiterbetrieb und verlangten nur, dass ihnen die Manuskripte der Sendungen zur Genehmigung vorzulegen seien. Erst am 13. Mai 1945 wurde die letzte Stimme Nazideutschlands endgültig abgeschaltet.¹²

Neubeginn auf Wellenlänge 356

Am gleichen Tag begann in Berlin ein neuer Abschnitt der Geschichte. Mit der Ansage »Achtung, Achtung! Hier spricht Berlin auf Wellenlänge 356 Meter« und den Nationalhymnen der Siegermächte ging der Berliner Rundfunk am 13. Mai, nur elf Tage nach der endgültigen Besetzung der Hauptstadt durch die Rote Armee und fünf Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, auf Sendung. Mit der Leitung war Hans Mahle beauftragt worden. Der 1911 in Hamburg geborene Funktionär des Kommunistischen Jugendverbandes hatte nach seiner Emigration in die Sowjetunion für das Jugendprogramm von Radio Moskau gearbeitet und ab 1941 die Leitung des Senders Sturmadler, des Jugendprogramms des Deutschen Volkssenders, übernommen. 1943 war er schließlich technischer Leiter des Senders Freies Deutschland geworden. Bereits am 30. April 1945 wurde er zusammen mit neun weiteren Genossen der »Gruppe Ulbricht« nach Berlin gebracht, um sofort nach Kriegsende den Wiederaufbau in Angriff zu nehmen.

Da der große Sender Königs Wusterhausen, über den die Nazis den Deutschlandsender übertragen hatten, durch die Kämpfe zerstört worden war, musste man auf den deutlich kleineren 100-Kilowatt-Sender in Tegel zurückgreifen. Die sowjetischen Truppen hatten ihn bereits am 24. April besetzt und damit den Nazirundfunk zum Schweigen gebracht. Auch das Funkhaus in der Masurenallee war nicht betriebsbereit, die Verbindungskabel zum Sender in Tegel waren defekt. Die Lösung waren ein Raum direkt am Sender und ein notdürftig hergerichteter Übertragungswagen, um direkt von der Anlage aus senden zu können.

Am 13. Mai riegelte eine Postenkette sowjetischer Soldaten das Gebiet um Studio und Sendemast weiträumig ab, um Störungen zu verhindern, denn schalldicht war das provisorische Studio nicht. Die Türen fehlten und waren notdürftig mit Pappe verschlossen worden, in den Fenstern fehlte das Glas. Doch das Wagnis gelang, pünktlich um 20 Uhr sprach Pfarrer Matthäus Klein die ersten Worte. Er war als Unteroffizier der Wehrmacht in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten, hatte sich dem Nationalkomitee Freies Deutschland angeschlossen und der Redaktion von dessen Sender angehört. Neben ihm saß Artur Mannbar, der von den sowjetischen Truppen erst kurz zuvor aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden befreit worden war. Abwechselnd verlasen beide die Botschaft Josef Stalins an die Völker der Sowjetunion aus Anlass der siegreichen Beendigung des Krieges, den Wortlaut der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte, die Proklamationen der Besatzungsmächte, die Rede des sowjetischen Vertreters auf der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen in San Francisco und schließlich Nachrichten aus aller Welt, die man in der Nacht zuvor bei anderen Sendern abgehört hatte. Die letzten Minuten füllte eine Reportage vom Volksfest der Moskauer auf dem Roten Platz.¹³ Was zunächst in der Anspannung niemandem aufgefallen war: In der ersten Ausstrahlung wurde kein Name für den neuen Sender genannt. In der ab dem 21. Mai 1945 erscheinenden Berliner Zeitung wurde das Programm zunächst unter dem Namen »Rundfunksender Berlin« abgedruckt, erst nach und nach setzte sich der Namen Berliner Rundfunk durch.

In den folgenden Tagen wurde das Programm ständig weiter ausgedehnt, schon nach einer Woche wurde 19 Stunden pro Tag gesendet, von sechs Uhr morgens bis nachts um ein Uhr. Um das möglich zu machen, hatten sowjetische Soldaten eine Feldtelefonleitung vom Funkhaus in der Masurenallee über die Trümmer hinweg bis zum Sender in Tegel gespannt. Mehrere Wochen lang konnte so der Betrieb aufrechterhalten werden, bis die regulären Kabelwege wieder instand gesetzt waren.¹⁴

Gemeinsam hatten die vier Siegermächte zunächst beschlossen, den Deutschen jeden Betrieb eigener Rundfunksender zu verbieten. Deswegen stieß die Tatsache, dass der Betrieb des Berliner Rundfunks offenkundig von Deutschen kontrolliert wurde, bei den Westmächten auf Protest. Daraufhin stellte die Rote Armee ab Anfang Juni 1945 Kontrolloffiziere ab. In ihren Erinnerungen waren die Berliner Rundfunkpioniere noch Jahrzehnte später voll des Lobes für diese uniformierten Kollegen, die sich nicht als Zensoren verstanden hätten, sondern mit freundschaftlichen Ratschlägen zu einem besseren Programm beigetragen hätten. Zu diesem Zeitpunkt sendete der Berliner Rundfunk bereits ein Vollprogramm mit Musik, Nachrichten aus aller Welt und Informationen aus Berlin. Eine wichtige Funktion hatte der Rundfunk auch dabei, durch den Krieg auseinandergerissene Familien wieder zusammenzubringen. Werner Klein etwa, der als Reporter von unzähligen Veranstaltungen berichtete, erinnerte sich Jahrzehnte später an eine, die am 11. November 1945 im Großen Sendesaal des Funkhauses stattfand: »Ich interviewte bei dieser Veranstaltung Waisenkinder, deren Eltern im KZ umgekommen waren. Da stand auch ein kleines Menschlein vor dem Mikrofon und sagte (…): ›Die Mutter starb an Typhus im KZ. Vater und ich kamen durch. Von Stettin aus bin ich zu Fuß gelaufen.‹ Und dann mit aufflackernder Hoffnung: ›Vielleicht hört mein Vater mich …‹ Erich Herrmann hieß dieser elfjährige Junge, der mit seiner Mutter zugleich seine vier Geschwister im KZ Sachsenhausen verloren hatte. Und tatsächlich, sein Vater hörte ihn und erfuhr so, dass sein Sohn lebte.«¹⁵

Kein Privatfunk

Die Vorstellungen über den künftigen Rundfunk in Deutschland gingen unter den Alliierten spürbar auseinander. Einig war man sich, dass es einen grundlegenden Bruch nicht nur mit den Strukturen der Nazipropaganda geben müsse, sondern auch mit dem staatlich organisierten Rundfunk der Weimarer Republik. Das Oberkommando der Alliierten Streitkräfte erließ bereits am 24. November 1944 das Gesetz Nr. 191, das zunächst den Deutschen den Betrieb aller Rundfunksender und anderer Medien untersagte, aber bereits erste Pflöcke für die Nachkriegsordnung einschlug. So wurde die Zuständigkeit der Post, die sich in der Weimarer Republik als Einfallstor für die Einflussnahme von Staat und Regierung auf den Rundfunk erwiesen hatte, stark beschränkt. Die Sendeanlagen sollten in den Besitz der einzelnen Rundfunkanstalten übergehen, die auch für Betrieb und Technik zuständig sein sollten. Die Tätigkeit der Post sollte sich auf den Einzug der Gebühren (nicht deren Verwendung), die Sicherung eines störungsfreien Empfangs und die Bekämpfung des Schwarzhörens beschränken.¹⁶

Die Briten präferierten das ihnen von der BBC bekannte Modell öffentlich-rechtlicher Anstalten, die von Staat und Regierung weitgehend unabhängig funktionieren sollten. Auch die französische Besatzungsmacht orientierte sich am Modell öffentlich-rechtlicher Anstalten, zögerte aber spürbar länger als die Briten, den Deutschen unkontrollierten Zugriff auf den Rundfunk zu gewähren. Den US-Amerikanern hingegen war das öffentlich-rechtliche Modell fremd. In ihrem Land war der Rundfunk von Anfang an privatrechtlich und kommerziell organisiert worden, staatliche Einflussnahme hatte kaum stattgefunden. Erst während des Krieges war mit der Stimme Amerikas ein staatlicher Sender geschaffen worden. Doch in Deutschland nach US-Vorbild Privatsender aufzubauen, kam nicht in Frage. Sollte in Deutschland überhaupt jemand über die für den Betrieb notwendigen Mittel verfügen, müsste die Frage gestellt werden, wie er in deren Besitz gekommen war und ob er im Sinne des Aufbaus eines demokratischen Rundfunks geeignet sein könnte. Noch bestritt in Deutschland niemand ernsthaft die Verantwortung des Großkapitals für die Machtübertragung an die Faschisten.

Die Sowjetunion und die aus der Emigration zurückkehrenden deutschen Kommunisten ihrerseits griffen auf die inzwischen gesammelten Erfahrungen zurück und strebten einen parteilichen antifaschistisch-demokratischen Rundfunk an. So erklärte Hans Mahle im Mai 1946 bei einer Festveranstaltung zum ersten Jahrestag der Gründung des Berliner Rundfunks mit Blick auf Vorwürfe, dass sein Sender zu politisch sei: »Ja, wir sind politisch. Es gibt keinen unpolitischen Rundfunk.« Die einzige Orientierung des größten Senders in der sowjetischen Zone sei »Deutschland«, er diene keiner Partei, sondern »will nur der Nation dienen, und er will denen Helfer, Berater und Unterhalter sein, die am Neubau Deutschlands tätig sind«.¹⁷ An die Organisation und Trägerschaft des Rundfunks ging man in der sowjetischen Zone zunächst pragmatisch heran. Am 21. Dezember 1945 übertrug die Sowjetische Militäradministration die Zuständigkeit für den Berliner Rundfunk, den inzwischen in Leipzig gestarteten Mitteldeutschen Rundfunk und alle weiteren Sender der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung.¹⁸

Es fehlte zunächst auch nicht an Versuchen, eine Zusammenarbeit zwischen den Rundfunksendern in den verschiedenen Besatzungszonen zu entwickeln. Zu gemeinsamen Sendungen kam es nach einem ersten Auftakt 1946 mit der Übertragung der deutschen Boxmeisterschaft im Schwergewicht¹⁹ allerdings nur noch zu besonderen Anlässen. So ordneten die vier Besatzungsmächte 1946 an, dass alle deutschen Rundfunkstationen die zwei Tage dauernde Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in einer gemeinsamen Ringsendung zu übertragen hatten. Jede Besatzungszone stellte dafür je einen Reporter, die Sendezeiten für Berichte, Reportage und Abschlusskommentar waren genau aufgeteilt.²⁰ Der junge Reporter, der für den Berliner Rundfunk aus Nürnberg berichtete, war Markus Wolf, der spätere Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes. Hans Mahle, der als Generalintendant für alle Sender in der sowjetischen Zone verantwortlich war, würdigte die gemeinsame Ringsendung bei einer Zusammenkunft mit Vertretern der Rundfunkstationen in allen vier Besatzungszonen, die vom 25. bis 27. November 1946 in Berlin stattfand, um wirtschaftliche und finanzielle Fragen zu diskutieren. In seiner Begrüßungsansprache als Gastgeber äußerte Mahle den Wunsch, dass es künftig möglich sein möge, »nicht nur die kaufmännischen Vertreter zwecks Erfahrungsaustausch zusammenzubringen, sondern auch die Intendanten und Programmgestalter, mit dem Ziel, dem neuen deutschen Rundfunk ein einheitliches demokratisches Gesicht zu geben«.²¹

Der Kalte Krieg zieht ein

Das gelang auch weiterhin nur selten, etwa als von April bis August 1947 vor einem US-Militärgericht, das im ehemaligen KZ Dachau tagte, der Prozess gegen die SS-Wachmannschaften des Konzentrationslagers Buchenwald geführt wurde. Für alle Sender, auch die in den westlichen Zonen, berichtete Werner Klein vom Berliner Rundfunk in 35 Reportagen unter dem Titel »Prozesse der Zeit« über die Untersuchungen und das Urteil – von den 31 Angeklagten wurden 22 zum Tode verurteilt. Allerdings wurden die meisten dieser verurteilten Mörder spätestens von westlichen Gerichten begnadigt.²²

Doch das Tischtuch zwischen beiden Seiten war zu diesem Zeitpunkt praktisch schon zerschnitten. Bereits ab 1947 hatten die Sender in den Westzonen begonnen, linke und vor allem kommunistische Redakteure hinauszudrängen. Umgekehrt hatten im Osten diejenigen keinen Platz mehr im Rundfunk, die sich zu sehr gegen den von der Sowjetunion und der SED eingeschlagenen Kurs stellten. Der Kalte Krieg hatte auch im Äther begonnen.

Anmerkungen

1 https://www.br.de/import/audiovideo/sendung-freiheitsaktion-bayern-100.html

2 Christoph Gunkel: Jagd auf die Goldfasane, in: Spiegel Geschichte, 27. April 2020

3 Petra Behrens u. a.: »Tod den Nazi-Verbrechern!« Widerstand gegen den Nationalsozialismus am Kriegsende, Berlin 2020, S. 75 ff., https://kurzelinks.de/widerstand_kriegsende

4 Gerhard Paul: »Wir brachten den letzten Wehrmachtsbericht dieses Krieges«; in: Rundfunk und Geschichte (2000), H. 3, S. 127

5 Zit. n. ebd., S. 129

6 Radio Prague International: The Battle of the Airwaves: the extraordinary story of Czechoslovak Radio and the 1945 Prague Uprising; https://english.radio.cz/battle-airwaves-extraordinary-story-czechoslovak-radio-and-1945-prague-uprising-8073626; abgerufen am 31. Mai 2023

7 Katrin Bock: Der Kampf um den Rundfunk (7. Mai 2005), https://deutsch.radio.cz/der-kampf-um-den-rundfunk-8098634

8 Zit. n. Bock, ebd.

9 Zit n. Paul, (Anm. 4), S. 131

10 Das Kriegsende 1945 …, a.a.O., S. 147 (?)

11 Zit. n. Paul (Anm. 4), S. 132

12 Ebd., S. 133

13 Katharina Riege: Einem Traum verpflichtet. Hans Mahle – eine Biographie, Hamburg 2003, S. 199 ff.

14 Hans Mahle: So fing es an; in: Erinnerungen sozialistischer Rundfunkpioniere, Berlin 1975, S. 15

15 Werner Klein: Reportagen, von denen man sprach; in: ebd., S. 43

16 Robert Heinze: Radio Stuttgart, 1945–47. Ein Rundfunk im Aufbau, Konstanz 2004, S. 57

17 Neues Deutschland, 14.5.1946, S. 1

18 Mahle (Anm. 14), S. 19

19 Willi A. Boelcke: Die Macht des Radios, Frankfurt/M. 1977, S. 533

20 Markus Wolf: Nürnberg bleibt aktuell; in: Erinnerungen sozialistischer Rundfunkpioniere (Anm. 14), S. 55; siehe auch: Berliner Zeitung, 28.9.1946, S. 2

21 Niederschrift über die 1. Zusammenkunft von Vertretern der Rundfunkstationen in der englischen, amerikanischen, französischen und sowjetischen Besatzungszone Deutschlands vom 25.–27.11.1946 im Hause des Berliner Rundfunks, Berlin-Charlottenburg, Masuren-Allee, Bundesarchiv: BA DR 2/1090, S. 133, https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/direktlink/3f60f6a2-ad75-4188-b19b-959a13ad9ae7/

22 Klein (Anm. 15), S. 44

Erschienen am 5. Juli 2023 in der Tageszeitung junge Welt