Zehn Millionen Unterschriften

Lange Schlangen ziehen sich durch das Zentrum der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Hunderte Menschen warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Doch an den mit rotem Tuch bedeckten Tischen auf der Plaza Bolívar gibt es nicht etwa Lebensmittel. Die Menschen unterschreiben einen Appell für den Frieden und gegen die ausländische Einmischung.

Auf Initiative von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat am 6. Februar eine großangelegte Unterschriftensammlung begonnen. Ziel ist, dass zehn Millionen Menschen ihren Wunsch nach Frieden sowie die Ablehnung ausländischer Einmischung ausdrücken. Schon einen Tag nach Beginn der Sammlung meldeten staatliche Medien, dass bereits zwei Millionen Unterschriften zusammengekommen seien. Seither läuft die Sammlung im ganzen Land ungebremst weiter.

Die meisten der Menschen in den Warteschlangen bewegt die Angst vor einer weiteren Eskalation des Konflikts. Fragen von Journalisten, ob sie für ihre Unterschrift irgendeine Gegenleistung erhalten, weisen sie zurück. Ein Mann sagt einer spanischen Journalistin in die Videokamera, dass es zum Beispiel um Renten und kostenfreie Gesundheitsversorgung gehe, die aus den Erdöl- und Erdgaseinnahmen Venezuelas bezahlt würden. Er unterzeichne, damit die Mittel des Staates weiter der Bevölkerung zugute kommen.

Von dem Oppositionspolitiker Juan Guaidó, der sich am 23. Januar selbst zum »Übergangspräsidenten« erklärt hatte, erwarten die Menschen auf der Plaza Bolívar nichts. Er gilt ihnen als simple Marionette von US-Präsident Donald Trump, und der wolle nichts anderes als den Zugriff auf die Bodenschätze Venezuelas. Mehrere tausend Menschen, die sich am Dienstag zu einer Kundgebung der Opposition auf der Avenida Francisco de Miranda im Mittelschichtsviertel Chacao versammelten, sehen das anders. Doch auch unter den Gegnern Maduros wächst die Unzufriedenheit mit Guaidó, der zwar von Dutzenden Regierungen in Amerika und Europa anerkannt wurde, in Venezuela selbst aber nach wie vor keine reale Macht hat. Deshalb versucht er, seine Anhänger mit immer neuen Ankündigungen bei der Stange zu halten. Nun soll am 23. Februar »so oder so« die »humanitäre Hilfe« nach Venezuela gebracht werden, die im kolumbianischen Grenzort Cúcuta lagere. Er rechne auf 150.000 »Freiwillige«, die sich auf Internetseiten der Opposition gemeldet hätten, um sich an der Verteilung der »humanitären Hilfe« zu beteiligen.

Für Guaidó dürfte der 23. Februar die letzte Chance sein, bei der Bevölkerung zu punkten. Befürchtet wird aber, dass radikale Kräfte der Opposition spätestens für dieses Datum Provokationen vorbereiten, um Bilder von Gewalt zu liefern.

Im UN-Sicherheitsrat wird derweil eine weitere Debatte zur Lage in Venezuela vorbereitet, zu der die USA und Russland inhaltlich entgegengesetzte Resolutionen einreichen wollen. Während Washington im einflussreichsten Gremium der Vereinten Nationen eine Unterstützungserklärung für Venezuelas Opposition und die Forderung nach Neuwahlen durchsetzen will, wird in dem Entwurf aus Moskau Besorgnis über die ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten des südamerikanischen Landes geäußert. Der Sicherheitsrat solle alle Initiativen unterstützen, die eine von den Venezolanern gefundene politische Lösung unterstützen«. Ob und wann die Dokumente in New York zur Abstimmung gestellt werden, ist offen.

China hat am Mittwoch einen Bericht des Wall Street Journal zurückgewiesen, wonach sich Unterhändler Beijings in Washington mit Vertretern Guaidós getroffen hätten, um über die Sicherheit der chinesischen Investitionen in Venezuela zu sprechen. »Der Bericht ist falsch, das sind Fake News«, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Hua Chunying.

Erschienen am 14. Februar 2019 in der Tageszeitung junge Welt