Stimmen des Widerstands

Es war voll. Es war wieder ein Teilnahmerekord. Mehr als 2.600 Gäste, Unterstützer und Journalisten folgten den Vorträgen, Kulturbeiträgen und Debatten. Schon als die kubanischen Musiker vom Proyecto Son Batey am Sonnabend kurz vor elf Uhr mit einigen Stücken den Auftakt zur XXI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) gaben, waren im großen Saal des Berliner Urania-Hauses kaum noch Sitzplätze frei. Das änderte sich während des gesamten Tages nicht mehr. Auch Nebensäle, in die das Konferenzgeschehen übertragen wurde, waren brechend voll. Viele Besucher kamen zur Ausstellung der Gruppe Tendenzen, die in einem eigenen Raum engagierte gegenwärtige Kunst präsentierte. Zudem nutzten Tausende, denen die Reise nach Berlin nicht möglich war, die Angebote der jW-Redaktion im Internet (infolge massiver externer Angriffe auf die RLK-Website, die der Provider registrierte, kam es jedoch leider immer wieder zu Übertragungsstörungen).

Die Besucher erlebten Referenten, die klare Positionen vertraten. So warnte Aydin Çubukçu eindringlich vor der Kriegspolitik der Regierung in Ankara, die sich vor allem in den kurdischen Gebieten der Türkei gegen die eigene Bevölkerung richte, aber längst nicht mehr auf diese Regionen begrenzt sei. »Alle Sozialisten und Demokraten sind verpflichtet, sich zusammenzuschließen und diesen Krieg zu stoppen«, forderte der Herausgeber der Evrensel Kültür und Mitbegründer der linken Partei der Arbeit (EMEP). Die Türkei bewege sich in Richtung Faschismus. Dagegen sei eine breite linke, demokratische Front notwendig, bei deren Bildung die Arbeiterklasse eine zentrale Rolle spiele. Den Repressionskurs der Regierung in Ankara prangerten kurz darauf auch Mitglieder der bekannten türkischen Band Grup Yorum an, deren Liedvortrag unter lauten Sprechchören aus dem Publikum – »Hoch die internationale Solidarität! – endete.

Das Agieren auf der anderen Seite des politischen Spektrums beleuchtete die österreichische Antifaschistin Natascha Strobl. Unter der Überschrift »Friedensfrage und Demagogie: Gefahr rechter Hegemonie« analysierte sie aktuelle Entwicklungen in der »Neuen Rechten«. Deren Ziel sei eine reaktionäre »Kulturrevolution«, wobei diese Gruppierungen versuchten, sich als »weder rechts noch links« zu präsentieren und anschlussfähig für ein breites bürgerliches Publikum zu werden.

Wie es gute Tradition ist, meldete sich der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal mit einer Audiobotschaft aus seiner Zelle in den USA zu Wort. Er erklärte, dass auch in den Vereinigten Staaten die Krise des Kapitalismus anhalte. Große Teile der Bevölkerung müssten um ihre Existenz kämpfen und kämen dabei in Konflikt mit dem repressiven Staatsapparat. Dennoch hielten die Proteste der schwarzen Bevölkerung an.

Die bekannte Bürgerrechtlerin Angela Davis wandte sich per Videobotschaft an die RLK-Teilnehmer. »Der Kampf um die Befreiung Mumias geht weiter«, rief sie zur weiteren Solidarität auf. Der an Hepatitis C erkrankte Abu-Jamal werde im Gefängnis nicht angemessen behandelt und müsse deshalb endlich freigelassen werden.

Ein Höhepunkt des Tages war das direkt geführte Videointerview, das Susann Witt-Stahl, Chefredakteurin der Musikzeitschrift Melodie und Rhythmus, mit Alexej Markow führte. Der Mitbegründer und politische Kommandeur der »Kommunistischen Einheit« der Brigade »Prisrak« im Donbass gab Einblicke in den Alltag der Kämpfer, die in westlichen Medien meist als »prorussische Separatisten« bezeichnet werden. »Unsere Genossen aus Italien und Spanien leiden natürlich unter diesen heftigen Wintern. Aber um so leichter haben es unsere finnischen Genossen«, sagte er. Die faschistische Gefahr sei in ganz Europa sehr ernst: »Wenn die Nazis, die in der Ukraine an die Macht gelangt sind, sich hielten und siegten, dann wäre das ein schlechtes Beispiel für ganz Europa.« Dagegen seien »echte kommunistische Parteien« nötig, deren Mitglieder im Notfall auch bereit seien, die Menschheit mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. »Zusammen sind wir in der Lage, den Faschismus zu besiegen«, rief Markow unter großem Beifall aus.

Als »älteste Rapperin Deutschlands« kündigte Moderator Dr. Seltsam Esther Bejarano an. Die Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz erinnerte in ihrer Rede an die Opfer des NSU, an Flüchtlinge, die rassistisch bedroht und angegriffen werden, und an die Opfer der globalen Kriege: »Es ist Zeit für einen Aufschrei von uns allen, einen unüberhörbaren, lauten Aufschrei, der bis in den letzten Winkel unseres Landes und der ganzen Welt widerhallt«, rief sie kraftvoll aus. »Der Satz ›Wehret den Anfängen!‹ ist längst überholt! Wir sind mittendrin!«

Stimmen einer alternativen Gesellschaft kamen aus Kuba. Alpidio Alonso Grau, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, betonte in seiner Ansprache, dass sein Land niemals die Prinzipien und Werte der Revolution aufgeben werde. Die jüngsten politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen zielten nicht auf die Abschaffung des Sozialismus ab, sondern auf dessen Perfektionierung. Es müsse jetzt darum gehen, die Blockade der USA gegen sein Land wirklich zu beenden. Der Politiker, der sich vor allem als Dichter einen Namen gemacht hat, forderte auch zur Solidarität mit der rechtmäßigen Regierung Venezuelas gegen die Attacken der Rechten auf.

Im Anschluss sprach Miriam Näther von Cuba Sí – die Solidaritätsorganisation begeht im Juli ihr 25jähriges Jubiläum – und kündigte Gerardo Hernández als Redner an. Hernández gehörte zu den »Cuban Five«, die in Miami antikommunistische Terrorgruppen unterwandert hatten, um Anschläge auf ihre Heimat zu verhindern. Die US-Justiz verfolgte jedoch nicht die Terroristen, sondern die Aufklärer und verurteilte diese zu langjährigen Haftstrafen. Nach 16 Jahren in US-Gefangenschaft wurde er zusammen mit zwei Leidensgefährten am 17. Dezember 2014 freigelassen und konnte in seine kubanische Heimat zurückkehren. Im vollbesetzten Saal erhoben sich alle Zuhörer von den Stühlen, als Gerardo ans Podium trat. Im Namen der »Fünf« und ihrer Angehörigen dankte er der Solidaritätsbewegung für den unermüdlichen Kampf um ihre Befreiung. Er rief dazu auf, die Anstrengungen fortzusetzen, damit möglichst bald auch die in US-Gefängnissen eingesperrten Mumia Abu-Jamal, Oscar López Rivera und Leonard Peltier auf der Bühne der Rosa-Luxemburg-Konferenz sprechen können.

Auch als Sahra Wagenknecht, die Bühne betrat, um gleichsam ihre Antrittsrede als Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag zu halten, war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt, darunter diplomatische Vertreter der ALBA-Staaten und Russlands. Auch Linke-Politiker Oskar Lafontaine saß im Publikum. »Linke Parteien haben immer Partei genommen zugunsten derer, die ihre Arbeit verkaufen müssen«, sagte die Oppositionsführerin Wagenknecht und erteilte angesichts des derzeitigen Kurses der mitregierenden Sozialdemokraten Plänen für eine Koalition ihrer Partei mit SPD und Grünen eine Absage (siehe Seiten 12/13).

Beim Podiumsgespräch diskutierten, moderiert von jW-Chefredakteur Arnold Schölzel, Esther Bejarano, Ellen Brombacher, Dieter Frielinghaus und Lena Kreymann unter dem Motto »Kröten schlucken oder Zähne zeigen: Ist die Linke noch zu retten?« über den Zustand progressiver Kräfte in diesem Land und Perspektiven gesellschaftlicher Veränderung. Zum Abschluss der Konferenz stimmten die Anwesenden im großen Saal die »Internationale« an.

Im »Café K« der DKP in der zweiten Etage des Urania-Hauses wurde unterdessen weiter diskutiert und gefeiert – zahlreiche Besucher waren gekommen, um u. a. den Vortrag von Dimos Koubouris, Mitglied des Exekutivkomitees der kommunistischen Gewerkschaftsfront PAME aus Griechenland, zu hören.

Ein großer Dank von Redaktion und Verlag der jW geht an alle Helferinnen und Helfer sowie die zahlreichen Unterstützer im In- und Ausland, die zum Gelingen dieser Konferenz beigetragen haben!

Erschienen am 11. Januar 2016 in der Tageszeitung junge Welt