Ruf nach Staatsstreich

Die Einmischung der USA in die inneren Angelegenheiten der Bolivarianischen Republik Venezuela nimmt immer offenere Züge an, und auch die venezolanische Rechte ruft immer lauter nach einem Militärputsch.

So kündigte der wegen Korruption und anderer Vergehen in die USA geflüchtete venezolanische Ex-Präsident Carlos Andrés Pérez in der in Miami erscheinenden Wochenzeitung "El Venezolano" offen an, Hugo Chávez werde "gewaltsam gestürzt". In Venezuela selbst versucht der zur Rechten übergelaufene Teil der Partei MAS, Chávez für "verrückt" erklären zu lassen.

Putschgerüchte

Neue Nahrung bekamen die Putschgerüchte am 7. Februar, als der Oberst Pedro Vicente Soto in voller Uniform im Fernsehen auftrat und den Sturz von Präsident Chávez forderte. "75 Prozent der Militärangehörigen" forderten den Sturz von Chávez, so Soto. Der offenbar von langer Hand vorbereitete und inszenierte Auftritt wurde von Angehörigen der Oberschicht begeistert gefeiert. In den reichen Vierteln der Hauptstadt Caracas kam es zu Demonstrationen gegen die Regierung. Tausende AnhängerInnen der revolutionären Bewegung Venezuelas hingegen strömten zum Präsidentensitz Miraflores, um die bolivarianische Regierung gegen einen Putsch zu beschützen.

Die kubanische Tageszeitung "Granma" berichtete am 9. Februar: "Die Ankunft der bolivarianischen Aktivisten begann ab 6 Uhr morgens Ortszeit, die damit die Demonstrationen des Vorabends wieder aufnahmen, die sich bis 3 Uhr morgens ausgedehnt hatten. Die Teilnehmer der Demonstration verkündeten ihre Entschlossenheit, den ganzen Tag vor dem Präsidentenpalast zu bleiben und trugen Transparente mit Grüßen an den Präsidenten Hugo Chávez und Proteste gegen den von der Opposition in Gang gesetzten Plan zur Destabilisierung."

Unterdessen erklärte das venezolanische Verteidigungsministerium, in allen Garnisonen sei es vollkommen ruhig. Soto habe sich innerhalb der nächsten 72 Stunden bei seinen Vorgesetzten einzufinden und seine Beweggründe für die Einmischung in die nationale politische Diskussion darzulegen, sonst werde er zum Deserteur erklärt.

Wichtigste Waffe der Konterrevolution: Die Medien

Vizepräsident Diosdado Cabello erklärte, die Äußerungen von Soto hätten "keine weitere Bedeutung", sondern seien eine "Show für die Medien". Mit Bezug auf die angebliche Unterstützung Sotos durch drei Viertel der Streitkräfte meinte er, wenn dies so wäre, würde sich Soto wohl kaum in einem Hotel verschanzen, sondern dafür eine Kaserne benutzen. Für Cabello steht hinter den Äußerungen Sotos und den darauffolgenden Demonstrationen der Opposition ein ausgetüftelter Plan, wie man an der Chronologie der Ereignisse erkennen könne. Bereits eine Stunde vor den Erklärungen Sotos um 12 Uhr Ortszeit seien im Internet Berichte darüber kursiert. Überall, wo Soto Erklärungen abgegeben habe, seien schon Mikrofone aufgebaut und Fernseh- und Rundfunkstationen bereit gewesen, die Erklärungen direkt zu übertragen. "Wir können ein Problem genau analysieren und die öffentliche Meinung wird nun sein Urteil sein", so Cabello. In der Tat stellen die Massenmedien in Venezuela die wichtigste Waffe der Konterrevolution dar, denn fast alle Stationen befinden sich in der Hand von Privatfirmen, die eng mit Großgrundbesitzern und den oppositionellen Parteien verflochten sind. Wahrheitsgetreu berichten nur die staatlichen Sender und wenige Zeitungen über die Politik der bolivarianischen Regierung.

Freiheit für die Korruption?

Um so grotesker muss es erscheinen, wenn der revolutionären Regierung Venezuelas von der Opposition und den USA vorgeworfen wird, die Demokratie und die Meinungsfreiheit abzuschaffen. Ein Eindruck, den auch die ehrlichen JournalistInnen des Landes teilen. So heißt es in einem Kommentar der "Últimas Noticias" vom 5. Februar: "Mich überrascht die Unverfrorenheit gewisser von einigen Medien verbreiteter Nachrichten, in denen Freiheit gefordert wird. Um was für eine Freiheit geht es? Um die Freiheit der Schmiergelder, Korruption, Respektlosigkeit, Lügen, Verleumdungen usw. … Um die Freiheit des Blablabla? Ich habe noch nie so viel Freiheit erlebt. Den Präsidenten und sein Kabinett bis hin zu seiner Familie missachten sie ohne Scham; Chávez haben sie Diktator, Faschist, Verrückter, Unterdrücker, Kommunist und was sonst noch genannt, und er antwortet auf diese ungerechten Behauptungen mit 506 bolivarianischen Schulen. 1,4 Millionen neue Kinder in den Schulen, um die sich die vorherigen Regierungen nie gekümmert haben. Fünf Milliarden Bolivares (etwa 7,3 Millionen Euro) für die Armen, Straßen, Wohnungen, Eisenbahnstrecken, eine effiziente Erdölpolitik, Gerechtigkeit für die Rentner und Pensionäre, Gerechtigkeit für die mit Hypotheken Verschuldeten, eine Positionierung Venezuelas im Ausland wie nie zuvor, neue Gesetze und viele Dinge mehr. Wenn irgendein Präsident der AD oder COPEI (frühere Regierungsparteien) irgendwas des von Chávez Umgesetzten in Angriff genommen hätte, schöre ich bei den Schuhen von Chaplin, dass ich die Demonstration der Escuálidos (Gegner der Revolution) am 23. Januar angeführt hätte. Sie haben eine große Wahrheit gesagt: ´Chávez bleiben noch Tage´. Stimmt, ihm bleiben 6 818 Tage."

Wenige Tage zuvor, am 4. Februar, hatte Hugo Chávez mit einem Dekret das Grundeigentum von Millionen von VenezolanerInnen, die sich in Elendsvierteln angesiedelt haben, legalisiert. Chávez erklärte, dieses Dekret werde "ein höheres Maß an Gerechtigkeit für das Volk der Besitzlosen, der Armen bringen, die ihre Hütte oder ihr Haus in diesen Barrios Populares haben." Bodenkomitees werden unter Beteiligung der Bevölkerung die Aufgabe haben, die Eigentumstitel auszugeben. Das Dekret stellt einen weiteren Schritt bei der Umsetzung des Gesetzes über den Boden dar, das sich den Kampf gegen den Großgrundbesitz zur Aufgabe gemacht hat und ein Auslöser für die wütenden Proteste der rechten Opposition Ende vergangenen Jahres war.

Erschienen in der Wochenzeitung "Unsere Zeit" vom 15. Februar 2002