Kampf um General Motors

Die Entlassung kam per SMS: Fast 2.700 Arbeiter des US-Automobilkonzerns General Motors in Venezuela (GMV) erhielten vor wenigen Tagen Kurznachrichten auf ihre Mobiltelefone. Darin teilte ihnen das Unternehmen mit, dass man ihnen »aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses« die Sozialabgaben überwiesen habe. GMV hatte zuvor angekündigt, seine gesamte Tätigkeit in dem südamerikanischen Land einstellen zu wollen. Damit reagierte der Konzern nach eigener Darstellung auf eine Polizeiaktion vom 19. April. Auf Anordnung eines lokalen Handelsgerichts in Maracaibo hatten die Beamten im GMV-Werk Valencia Fahrzeuge und andere Wertgegenstände beschlagnahmt. Hintergrund ist ein Verfahren, das sich seit dem Jahr 2000 hinzieht. Dabei geht es um Schadenersatzforderungen eines früheren Konzessionärs. Dieser macht geltend, Autos bezahlt zu haben, die von General Motors jedoch nicht geliefert wurden.

Die venezolanische Regierung wurde durch die Polizeiaktion offenkundig überrumpelt und wies Vorwürfe zurück, man habe General Motors »enteignet«. Am vergangenen Montag erklärte Arbeitsminister Francisco Torre­alba, das Kabinett habe sich nicht in die Geschäfte des Unternehmens eingemischt, sondern vielmehr den Autoproduzenten eine bevorzugte Behandlung zukommen lassen. »Der venezolanische Staat erkennt die Bedeutung dieser Branche an und hat sich den Unternehmen deshalb mit Finanz- und anderen Hilfen zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Produktion wieder aufnehmen und ausweiten«, sagte er im Gespräch mit dem staatlichen Fernsehen VTV. Die Regierung habe General Motors weder enteignet, noch habe sie Pläne dafür, »es geht um den Schutz der Arbeitsplätze«.

Inzwischen verdichten sich die Hinweise darauf, dass die Schließung von GM Venezuela keine spontane Reak­tion auf die Polizeiaktion war, sondern von langer Hand vorbereitet worden war. Gewerkschafter berichteten, dass schon vor Wochen damit begonnen worden sei, »die Fabrik aufzulösen«. Zudem verzichtete der Konzern darauf, die Entscheidung des Handelsgerichts anzufechten. Statt dessen setzten sich die Verantwortlichen nach Kolumbien und Argentinien ab, bevor sie den Arbeitern deren Entlassung mitteilten.

Im März hatten Gewerkschafter zeitweise den Zugang zur Fabrik in Valencia blockiert, um eine Ausweitung der Produktion durchzusetzen. Das Unternehmen hatte in den vergangenen Monaten nur noch Ersatzteile hergestellt. GMV argumentierte, dass fehlende Rohstoffe eine Wiederaufnahme des Baus von kompletten Fahrzeugen verhindern würden. Zudem verwies das Management »auf die großen Anstrengungen, Monat für Monat die Auszahlung der Gehälter an mehr als 2.700 direkt beschäftigte Arbeiter sicherzustellen«. Der Jahresumsatz von General Motors liegt nach eigenen Angaben bei mehr als 150 Milliarden US-Dollar.

Das Onlineportal iProfesional zitierte am vergangenen Montag einen Arbeiter, Jean Carlos Barreto, dessen Produk­tionszweig zwischen 2008 und 2012 ausgegliedert worden war: »Ich habe am Samstag, Sonntag und an Feiertagen gearbeitet, wir haben teilweise mehr als 18 Stunden geschuftet und erhielten keine Zuschläge, Ausgleichszahlungen oder Urlaub.« Erst im Februar setzten das Arbeitsministerium und die Gewerkschaften durch, dass GMV 118 bei Fremdfirmen Beschäftigte in die Stammbelegschaft übernahm. Ausgliederungen sind durch das venezolanische Arbeitsgesetz ausdrücklich verboten.

Am Tag nach der Polizeiaktion eilte eine Kabinettsdelegation nach Valencia, die von Hunderten Arbeitern empfangen wurde. Fidel Ampueda von der Führung der sozialistischen Betriebsgewerkschaft Sinvensoc informierte die Abgesandten von Präsident Nicolás Maduro über die Lage: »Die Vertreter der Firma haben uns praktisch auf die Straße gesetzt und befinden sich selbst außerhalb des Landes.« Torrealba, Finanzminister Ramón Lobo und der Präsident der Staatsbank Bicentenario, Miguel Pérez Abad, sicherten den Beschäftigten die Unterstützung der Regierung zu. »Alle stehen unter dem Schutz des Ministeriums, und die Chefs, die sich außer Landes befinden, müssen in irgendeiner Weise zurückkehren, um sich den Beschäftigten und den Konzessionären zu stellen«, zitierte das Onlineportal El Pitazo die Delegation.

Als Reaktion auf das Vorgehen von GMV kündigten die Gewerkschaften die Besetzung der Produktionsstätten an. Man werde bis auf weiteres in den Betrieben übernachten und die Einrichtungen bewachen, um einen Abtransport der Maschinen zu verhindern. Dies sei die einzige Garantie dafür, vom Unternehmen doch noch bezahlt zu werden. Druckmittel haben sie: Wie El Pitazo berichtete, gilt die in Valencia stehende Lackierungsanlage als die modernste Lateinamerikas, ihr Wert wird auf rund 90 Millionen Dollar geschätzt.

Erschienen am 29. April 2017 in der Tageszeitung junge Welt