Hilfe ohne Provokationen

In Venezuela ist am Dienstag eine erste Lieferung humanitärer Hilfe des Roten Kreuzes eingetroffen. Wie die internationale Organisation mitteilte, handelte es sich um Medikamente, medizinische Ausrüstung und Stromgeneratoren, die auf die verschiedenen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen des Landes verteilt werden sollen.

In der vergangenen Woche waren Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro und Außenminister Jorge Arreaza in Caracas mit dem Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, zusammengekommen, um eine Kooperation zu vereinbaren, die Venezuelas Rechtsordnung uneingeschränkt respektiert, wie Gesundheitsminister Carlos Alvarado am Dienstag betonte. »In einem Augenblick, an dem Washington mit der komplizenhaften Zustimmung der Opposition die grausame Blockade gegen Venezuela verschärft, hat Präsident Maduro die Vereinten Nationen und anerkannte Institutionen wie das Internationale Rote Kreuz aufgerufen, gemeinsam das venezolanische Volk zu schützen«, kommentierte Arreaza über Twitter.

Maduro war in den vergangenen Wochen von westlichen Medien wiederholt vorgeworfen worden, die Einfuhr von Hilfsgütern zu verweigern. Tatsächlich ging es dabei allerdings um Waren aus den USA, die in Kolumbien lagern und der Opposition um den Putschisten Juan Guaidó übergeben werden sollen. Eine Kontrolle dieser Güter an den Übergängen wird jedoch verweigert. Am 23. Februar war ein Versuch militanter Gruppen in Kolumbien gescheitert, die Grenze zu durchbrechen, um Lastwagen mit angeblicher Hilfe nach Venezuela zu bringen.

Im Unterschied zu Horrormeldungen in ausländischen Medien bietet die Hauptstadt Caracas Besuchern den Eindruck einer ganz normalen chaotischen Großstadt. Es sind überall Menschen unterwegs, die ihren Alltagsgeschäften nachgehen. Das Angebot in den Geschäften ist nicht riesig, zum Teil sind die Läden geschlossen, die Fassaden der Häuser abgewetzt. Aber die Delegation Schweizer Friedens- und Solidaritätsgruppen, die derzeit auf Einladung des Weltfriedensrates die Metropole besucht, sieht Bäckereien mit Broten, Metzgereien mit Fleischwaren, Stände mit Bananen. Der Alltag möge aufgrund der Sanktionen nicht immer einfach sein, aber von einer »humanitären Krise« könne keine Rede sein, stellen die Mitglieder von ALBA Suiza, der Vereinigung Schweiz-Cuba, der Schweizerischen Friedensbewegung und der Partei der Arbeit fest. Auch die Stromversorgung funktioniere weitgehend.

Letzteres liegt an dem unermüdlichen Einsatz der Arbeiter des staatlichen Stromversorgungsunternehmens Corpoelec, dessen Zentrale im Viertel Chacao die Delegation am Montag besucht hat. Wegen der Osterwoche ist arbeitsfrei, doch viele Beschäftigte sind trotzdem auf das Firmengelände gekommen. Sie holen ihre »Caja CLAP« ab. Diese Lebensmittelpakete werden nicht nur in den Gemeinden an die dort lebenden Familien zu subventionierten Preisen abgegeben, sondern auch in den Betrieben. Zurzeit erhalten so rund sechs Millionen Familien Grundnahrungsmittel wie Reis, Pasta, Öl, Linsen, Mehl, Zucker oder Thunfisch.

Am 7. März und den folgenden Tagen war die Energieversorgung Venezuelas durch Sabotageakte unterbrochen worden, große Teile des Landes waren für Tage ohne Strom und damit auch ohne Zugang zu Trinkwasser, da für dessen Beförderung elektrische Pumpen notwendig sind. Auch die Möglichkeit, Kreditkarten zu benutzen oder Geld abzuheben, bestand nicht mehr. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen waren ebenfalls betroffen.

Die Belegschaft der Corpoelec arbeitete pausenlos und konnte die Versorgung innerhalb von fünf Tagen wiederherstellen, auch wenn es noch immer zu mehrstündigen Stromausfällen kommt. Chaos und Gewalt, auf die Teile der Opposition gehofft hatten, blieben aus. Doch die Arbeiter der Corpoelec nutzten die besondere Situation, um die Verwaltung der Mensa in ihre eigenen Hände zu nehmen. Seither betreiben sie die Versorgung der Belegschaft in Selbstverwaltung. Während des Besuchs der Schweizer Delegation wurde in der Küche Hühnerfleisch verarbeitet, Gemüse geschnitten und Arepas, das typische Fladenbrot aus Maismehl, hergestellt. In den Räumlichkeiten der Mensa finden Vorträge statt. Gesprochen wird nicht nur über Themen, die unmittelbar mit der Arbeit zu tun haben, sondern auch über Geopolitik und Wirtschaftsfragen.

Erschienen am 18. April 2019 in der Tageszeitung junge Welt