Zeit für einen Kurswechsel

Abgeordnete wollen Schlepper zum Führen der deutschen Flagge verpflichten. Doch das Bundesverkehrsministerium bremst.

Am Heck eines jeden Schiffes weht die Flagge des Landes, aus dem es stammt. So zumindest die Theorie. Jedes Schiff muss in einem einzelnen Staat registriert sein, der dann rechtlich zum Beispiel für die Einhaltung international festgelegter Normen verantwortlich ist. Auf dem Schiff gelten dann die Regeln des Flaggenstaats, zum Beispiel dessen Arbeitsgesetzgebung. Doch die unterscheidet sich von Land zu Land, und auch Steuern, Abgaben und andere Kosten sind mal höher oder niedriger. Für die Reedereien ist es deshalb oft attraktiv, ihre Schiffe nicht im eigenen Land zu registrieren, sondern auszuflaggen – etwa nach Panama, Liberia, Malta oder Zypern. Die Reedereien profitieren von weniger Bürokratie, niedrigeren Steuern und anderen Ersparnissen. Die Zeche zahlen die Seeleute, die auf Schiffen unter Billigflagge oft viel zu wenig verdienen, unter schlechten Arbeitsbedingungen leiden, an Bord teilweise nur unzureichend mit Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser versorgt sind.

ver.di und die Internationale Transportarbeiterföderation (ITF) kämpfen seit Jahrzehnten gegen die Billigflaggen und ihre Folgen. Auch deutsche Reedereien beteiligen sich eifrig an der Flucht in die billigste Flagge – gab es in der deutschen Handelsflotte im Jahr 1990 noch 1064 Schiffe unter deutscher Flagge, waren es 2021 nur noch 275. Eine Folge davon ist, dass es immer weniger deutsche Seeleute gibt, denn auch deutsche Vorschriften zur Mindestbesatzung gelten auf ausgeflaggten Schiffen nicht mehr. 2022 waren in der Seemannskasse nur noch 4721 deutsche Seeleute registriert – zwölf Jahre zuvor waren es noch fast 8200 gewesen. Die niedrigen Ausbildungszahlen zeigen zudem, dass eine Trendwende nicht absehbar ist. Deutschland verspielt so sein maritimes Know how!

Umso wichtiger ist das Signal aus dem Deutschen Bundestag, die Richtung zu ändern. Der Haushaltsausschuss hat die Bundesregierung aufgefordert, Schleppern auf  Bundeswasserstraßen und seewärtigen Hafenzufahrten das Führen der deutschen Flagge vorzuschreiben. ver.di hat diesen Beschluss begrüßt und beteiligt sich aktiv an den laufenden Diskussionen zur Umsetzung. Denn die gestalten sich kompliziert, weil das zuständige Bundesverkehrsministerium auf der Bremse steht. Dort verweist man auf europarechtliche Probleme und Folgen für die Häfen und die Maritime Wirtschaft. Auch der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) verlangt vom Ministerium, den Willen der Abgeordneten zu ignorieren und das Verfahren einzustellen – im Gegensatz übrigens zu den betroffenen Schleppunternehmen selbst, die eine Flaggenpflicht unterstützen.

Die erhobenen Einwände sind nicht stichhaltig. EU-Länder wie Spanien, Frankreich und Polen haben längst ähnliche Vorschriften erlassen, nach denen die Dienstleister im Bereich ihrer Häfen unter der jeweiligen Nationalflagge fahren müssen. Und auch wettbewerbsrechtlich spricht nichts gegen eine entsprechende deutsche Vorschrift. Sie bedeutet nur, dass sich Wettbewerber an die hierzulande geltenden Regeln halten müssen. Wettbewerb bleibt möglich, nur einem Unterbietungswettlauf auf dem Rücken der Seeleute, der Sicherheit und der Umwelt wird ein Riegel vorgeschoben.

Erschienen im Dezember 2023 in der Waterfront Nr. 2/2023