Wohnungsnot beseitigen

Der Zähler auf der Homepage der »Gran Misión Vivienda Venezuela« gab am Freitag die stolze Zahl von 2.599.578 an – so viele Wohnungen seien seit dem Beginn des ehrgeizigen Bauprogramms der venezolanischen Regierung im Jahr 2011 fertiggestellt und den Bewohnerinnen und Bewohnern übergeben worden. Erst Ende Dezember war die Fertigstellung der 2,5millionsten Wohnung gefeiert worden – in dem durch einen Putschversuch und die Sabotage der Stromversorgung geprägten ersten Quartal 2019 ist die Zahl also um rund 100.000 gewachsen.

Das Programm war vor acht Jahren vom damaligen Präsidenten Hugo Chávez aufgelegt worden, um die durch mehrere Naturkatastrophen verschärfte Wohnungsnot in dem südamerikanischen Land zu beheben. In seiner Fernsehsendung »Aló Presidente« hatte er im Februar 2011 angekündigt, bis 2017 zwei Millionen Wohnungen fertigstellen zu wollen. »Es wird keine Familie im Land mehr geben, die nicht ihre eigene und angemessene Wohnung hat«, kündigte Chávez damals an. Zugleich rechnete er mit der Politik seiner Vorgänger ab. Das Ergebnis ihrer Herrschaft seien »die vom Volk mit den Fingernägeln errichteten Hütten von Caracas«. Für die Armen seien »Streichholzschachteln« gebaut worden, »aber für die Reichen errichteten sie große Häuser und Gebäude«.

Die von Chávez angepeilte Marke von zwei Millionen wurde zwar nicht bis 2017, aber immerhin bis März 2018 erreicht, was für venezolanische Verhältnisse überpünktlich ist. Die neuen Hochhäuser und ganze Neubausiedlungen prägen inzwischen Caracas und die Umgebung. Erkennbar sind sie nicht nur an ihrem typischen Baustil, sondern oft auch an der Dekoration: Das rote »V« als Logo der »Misión Vivienda«, die stilisierten Augen des Comandante Chávez oder dessen Unterschrift zieren die Mauern vieler Gebäude.

Im Gespräch mit junge Welt erzählten Bewohner eines Neubaus in Caracas, dass sie im ersten Jahr kostenfrei in ihren neuen Wohnungen bleiben dürften. Anschließend sollte entsprechend ihrer jeweiligen Einkommen eine Miete festgelegt werden. Tatsächlich jedoch scheint dieser zweite Schritt nur selten stattgefunden zu haben, so dass die Menschen de facto kostenfrei in ihren Appartements wohnen.

Das Programm findet auch die Anerkennung der Vereinten Nationen. Maimunah Mohd Sharif, Direktorin des Wohn- und Siedlungsprogramms UN-Habitat, zeigte sich im vergangenen November bei einem Treffen mit Venezuelas Vizeaußenminister Yuri Pimentel beeindruckt von den Erfolgen der »Misión Vivienda«. Diese sei ein Modell, das den Völkern der Karibik großen Nutzen bringen könne, erklärte sie.

Doch auch heute noch ziehen sich die Hütten der Armen die Berghänge um die Metropole Caracas hoch, leben viele Menschen unter ärmlichen Verhältnissen. Ein Grund dafür ist, dass der Bedarf an Wohnraum in den vergangenen acht Jahren seit dem Start des Programms weiter zugenommen hat – die Bevölkerung Venezuelas ist allein in diesem Zeitraum um rund drei Millionen Menschen angewachsen. Hinzu kommen Probleme mit der Infrastruktur, die bei der Planung der Baumaßnahmen übersehen wurden. So sind die Strom- und Wasserleitungen oft nicht dafür ausgelegt, dass plötzlich Hunderte weitere Einwohner angeschlossen werden. Die Folgen sind auch in normalen Zeiten Stromausfälle und Störungen bei der Trinkwasserversorgung.

Venezuelas Regierung setzt nicht nur auf Neubau, sondern auch auf die Instandsetzung älterer Gebäude. Mehr als eine Million Wohnungen seien bislang renoviert worden, sagte Bauminister Ildemaro Villarroel am Donnerstag (Ortszeit) in Caracas. Zugleich teilte er mit, dass die nach Regierungsangaben durch Anschläge auf das Wasserkraftwerk am Guri-Stausee ausgelösten Stromausfälle auch den Bau von gut 10.000 neuen Wohnungen beeinträchtigt hätten. Man werde Sonderschichten einlegen, um den Verzug aufzuholen, versprach er. Das Ziel bleibe, insgesamt fünf Millionen Wohnungen fertigzustellen.

Erschienen am 6. April 2019 in der Tageszeitung junge Welt