Wieder ein Einzeltäter

Nun war es also wieder mal ein »verrückter Einzeltäter«. So bezeichnete US-Präsident Barack Obama den Mann, der am Donnerstag abend (Ortszeit) in Dallas fünf Polizisten erschoss. So lässt sich alles erklären, um nichts erklären zu müssen. Zumal der mutmaßliche Täter selbst nichts mehr aussagen kann, weil er tot ist.

Die Polizisten töteten den Verdächtigen »nach stundenlangen Verhandlungen« mit einem Sprengsatz, den ein Roboter in die Nähe des Mannes gebracht hatte. Medienberichten zufolge war es das erste Mal in den USA, dass die Polizei auf diese Weise gegen einen Verdächtigen vorgegangen ist. Man könnte also von einem willkommenen Test sprechen.

Routine ist dagegen längst, dass die USA in anderen Ländern fliegende Roboter – Drohnen – einsetzen, um Raketen auf Verdächtige abzufeuern und diese so ohne Gerichtsurteil hinzurichten. Zivile Opfer werden dabei in Kauf genommen. Während diese Art des staatlich sanktionierten Mordens unter Obamas Regierung ausgeweitet wurde, plädierte der Staatschef nach den Schüssen von Dallas wieder für schärfere Waffengesetze. Man könne nicht jeden »gestörten« Menschen »ausschalten«, der anderen Leid zufügen könnte, »aber wir können es ihm schwerer machen«, wird der Staatschef von dpa zitiert.

Welch bittere Ironie: Obama sagte das ausgerechnet am Rande des NATO-Gipfels in Warschau, wo das weltweite staatliche Morden koordiniert wurde. Von diesem rückt auch der Oberbefehlshaber und Friedensnobelpreisträger nicht ab. Dabei sind die Morde der vergangenen Woche in den USA – die Taten in Dallas ebenso wie die Erschießung von zwei schwarzen Bürgern durch weiße Polizisten in Falcon Heights und Baton Rouge – zumindest indirekt eine Folge der auch unter Obama ungebremst fortgesetzten Kriegspolitik des US-Imperialismus.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass viele »Veteranen« aus Afghanistan oder dem Irak zurückkommen, die ihre Erlebnisse nicht verarbeiten können. Erst am vergangenen Donnerstag veröffentlichte die USA Today eine Statistik, wonach sich täglich 20 ehemalige US-Soldaten das Leben nehmen. Psychologische Hilfe und finanzielle Unterstützung werden ihnen oft verweigert oder erst nach Jahren bewilligt. Darüber spricht in »God’s Own Country« kaum jemand, denn die »Veteranen« haben ihre Schuldigkeit getan, und die Rüstungskonzerne haben ihre Gewinne schon gemacht.

Der mutmaßliche Mörder von Dallas war vielleicht »verrückt«, wie der Präsident meint, aber er wurde erst durch die US-Armee dazu ausgebildet, das Verbrechen so präzise und kaltblütig begehen zu können. Er war in Afghanistan stationiert, wo Krieg und Besatzung jährlich Tausende Menschenleben fordern. Schon 1874 mahnte Friedrich Engels: »Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren. Die Macht, der es zur Unterdrückung der andern bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst.«

Erschienen am 11. Juli 2016 in der Tageszeitung junge Welt