Terror in Dallas

In den USA gerät die Spirale der Gewalt außer Kontrolle. Nachdem Polizisten am Dienstag und Mittwoch in Minnesota und Louisiana jeweils einen Menschen getötet hatten (jW berichtete), wurden am Donnerstag abend (Ortszeit) in Dallas mindestens fünf Polizisten erschossen, als Scharfschützen aus Hochhäusern das Feuer auf die Beamten eröffneten. Zum Zeitpunkt des Anschlags zog auf der Straße gerade eine Protestdemonstration gegen die Tötungen schwarzer US-Bürger in den Tagen zuvor vorbei. Als die Schüsse zu hören waren, ergriffen die Teilnehmer die Flucht. »Da waren Schwarze, Weiße, Latinos, alle«, sagte einer der Organisatoren später dem Sender CNN. »Wir dachten, die schießen auf uns. Es war das totale Chaos.« Die Beamten wiederum vermuteten zunächst, dass die Schüsse aus der Menge der Demonstranten abgegeben wurden, und richteten ihre Waffen auf diese. »Alle hoben die Hände und riefen den Polizisten ›Nicht schießen!‹ zu«, äußerten Augenzeugen gegenüber Fox News. Es seien die Demonstranten gewesen, die den Beamten gezeigt hätten, von wo die Schüsse kamen.

Einer der mutmaßlichen Täter verschanzte sich in einem Parkhaus in der Innenstadt und lieferte sich bis in die Morgenstunden Schusswechsel mit der Polizei. Schließlich wurde er durch die Explosion einer ferngesteuerten Roboterbombe getötet, wie der Polizeichef von Dallas, David Brown, auf einer Pressekonferenz am Freitag mitteilte. Der Verdächtige habe gerufen, er sei wütend »auf Weiße« und auf die Bewegung »Black Lives Matter« (Schwarze Leben zählen). Diese Kampagne setzt sich mit Demonstrationen gegen die Polizeigewalt zur Wehr.

Drei weitere Personen wurden den Angaben zufolge festgenommen. Sie zeigten sich bei den Ermittlungen nicht kooperativ, erklärte Bürgermeister Mike Rawlings in CBS. Zu der Identität der Verdächtigen und den Hintergründen der Tat, bei der nach seinen Angaben zwölf Beamte und zwei Zivilisten von Geschossen getroffen wurden, machte er keine Angaben.

Zunächst hatte die Polizei ein Fahndungsfoto veröffentlicht, das einen dunkelhäutigen Mann zeigt, der mit einem Schnellfeuergewehr am Rande der Demonstration läuft. Dieser stellte sich daraufhin den Beamten und wurde wenig später wieder auf freien Fuß gesetzt. Offenbar hatte er mit dem Anschlag nichts zu tun, sondern trug seine Waffe »ganz legal« offen mit sich. Im Internet fragten viele, warum das Foto dieses Verdächtigen auch Stunden später auf der Homepage der Polizei von Dallas zu finden war, während es zur Identität der Festgenommenen keinerlei Informationen gab.

So blieben auch am Freitag die Hintergründe des Anschlags unklar. Spekuliert wurde, dass die Scharfschützen ehemalige Angehörige des US-Militärs waren. Zwischenzeitlich kursierten auch Gerüchte, die einen neofaschistischen Hintergrund der Tat nahelegten. Dafür sprachen auch die prompten Reaktionen ultrarechter Kommentatoren, die »Black Lives Matter« und US-Präsident Barack Obama für das Verbrechen verantwortlich machten. Das Boulevardblatt New York Post titelte sogar in großen Lettern vom »Bürgerkrieg«. Der gescheiterte Präsidentschaftsbewerber der Demokraten, Bernard »Bernie« Sanders, verurteilte das Attentat als »erschreckend« und forderte: »Wir müssen als Nation gegen Gewalt jeder Art zusammenstehen.« US-Präsident Barack Obama meldete sich am Rande des NATO-Gipfels in Warschau zu Wort und verurteilte das Attentat als »bösartig, kalkuliert und verachtenswert«.

Erschienen am 9. Juli 2016 in der Tageszeitung junge Welt