QSL-Karte der Radio DDR Ferienwelle

Umbenannt und abgeschaltet

Mit einer fast trotzigen Geste verabschiedet sich am 2. Oktober 1990 Radio Berlin International von seinen Hörern: Zum Abschluss der letzten Sendung spielt der DDR-Auslandssender noch einmal die Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik. Der Frust bei den Journalisten sitzt tief. Monate zuvor hatte die Konkurrenz aus dem Westen, die Deutsche Welle, noch von einer Fusion gesprochen und davon, Frequenzen und Kompetenzen der beiden deutschen Auslandssender zu »verschränken«. Als sich jedoch abzeichnete, dass aus dem erhofften Einigungsprozess beider deutscher Staaten ein Einverleiben der DDR durch die Bundesrepublik werden würde, war auch von einer Kooperation der beiden Sender keine Rede mehr. Die Bundesregierung und mancher Verantwortliche beim Westsender in Köln hatten für die Kollegen in der Berliner Nalepastraße nichts übrig. Am 3. Oktober 1990 stehen fast alle der rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von RBI auf der Straße. Auf den Mittel- und Kurzwellenfrequenzen, über die sie bisher in 13 Sprachen gesendet hatten, sind nun die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk zu hören. Doch die Abschaltung von RBI ist nur ein erster Höhepunkt bei der restlosen Abwicklung aller Rundfunksender der DDR.

Umbenennungen

Für die Hörer im Inland hatte es bis Ende 1989 fünf zentrale Rundfunkstationen gegeben: Radio DDR mit zwei Programmen und Regionalsendungen, die Stimme der DDR, den Berliner Rundfunk und das Jugendradio DT 64. Hinzu kamen jährlich im Sommer die Radio DDR Ferienwelle und im Frühjahr und Herbst die Messewelle Leipzig.

Schon Anfang 1990 setzte jedoch ein hektisches Umbenennen ein – jeder Bezug auf die DDR sollte aus den Namen verschwinden. Die Belegschaft von Stimme der DDR beschloss mit großer Mehrheit, zum früheren Namen Deutschlandsender zurückzukehren. In Anlehnung an den von DDR-Ministerpräsident Hans Modrow vorgelegten Plan »Deutschland, einig Vaterland« wolle man »den Weg der deutsch-deutschen Einigung begleiten«, meldete die Nachrichtenagentur ADN. »Der Sender hatte im Herbst 1971 auf Weisung der damaligen Staats- und SED-Führung seinen traditionsreichen Namen ablegen und sich umbenennen müssen«, hieß es weiter – einen Hinweis darauf, dass diese »Tradition« bis in die Nazizeit zurückreichte, vermied man lieber. Und schon wenig später kam es zur nächsten Namensänderung: Weil Radio DDR 2 den entstehenden Regionalsendern Platz machen sollte, wurden beide Sender zu DS Kultur fusioniert. Aus Radio DDR 1 wurde Radio aktuell, und man begann, Reklame auszustrahlen. »Produktenwerbung gehört unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zum Gepräge eines modernen Rundfunksenders, also leider auch zu DDR 1 – Radio aktuell, dem Sender ohne Tabus«, kommentierte das am 2. April 1990 das Neue Deutschland.

Weichenstellung in Bonn

Laute Kritik oder gar öffentliche Proteste gab es kaum. Wortmeldungen wie die der »Hauptabteilung Funkdramatik« des DDR-Rundfunks, die sich im Februar über die Kürzung der Sendezeiten für Hörspiele und Features beklagte, blieben die Ausnahme. Die Berliner Zeitung warnte damals: »Schlägt Kommerz nun endgültig der Kunst die Beine weg?« Im Neuen Deutschland wurde noch am 19. April über die Gründung eines »Ostdeutschen Rundfunks« als einer – neben ARD und ZDF – »dritten öffentlich-rechtlichen Anstalt in einem künftigen Deutschland« diskutiert.

Doch die Weichen wurden längst in Bonn gestellt – und dort hatte man kein Interesse daran, irgend etwas aus dem Osten zu übernehmen. Mit Blick auf den Rundfunk verkündete der damalige medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bernd Neumann, am 3. August 1990 in der Taz, man müsse »das ganze System zerschlagen«. Im Einigungsvertrag wurde festgelegt, den bisherigen DDR-Rundfunk bis zum 31. Dezember 1991 »aufzulösen oder in Anstalten des öffentlichen Rechts einzelner oder mehrerer Länder zu überführen«.

Während man für den überregionalen Deutschlandfunk eine Ausnahme machte – er durfte zusammen mit dem sich jetzt Deutschlandradio Berlin nennenden DS Kultur unter einem Dach weiterarbeiten –, war für das in den Monaten zuvor immer populärer gewordene Jugendradio DT 64 kein Platz vorgesehen. Am 7. September 1990 ließ Rundfunkintendant Christoph Singelnstein den Sender auf allen Frequenzen außerhalb Berlins abschalten. Statt dessen empfingen die entsetzten Hörer RIAS 1, den 1946 von den USA als Westberliner Propagandasender gegründeten Rundfunk im Amerikanischen Sektor. Es gab einen Aufschrei. Schon als die ersten Informa­tionen über die bevorstehende Abschaltung durchgesickert waren, hatten sich in Dresden, Schwerin, Leipzig und anderen Orten vor allem junge Menschen zu spontanen Kundgebungen, Straßenblockaden und Hungerstreiks versammelt. Nach 24 Stunden war der Spuk fürs erste zu Ende und DT 64 wieder in ganz Ostdeutschland zu hören.

In den folgenden Monaten und Jahren kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen, die »Freundeskreise des Jugendradios« machten mobil: »DT 64 wurde in den letzten Jahren immer mehr zu einem Teil der Identität der Jugend im Osten Deutschlands«, hieß es im Herbst 1991 in einem Aufruf der Initiativen. Der CDU schwante Übles. Im Sächsischen Landtag forderten die Christdemokraten, den Sender endlich abzuschalten: »Das Bestreben, DT 64 in einer sogenannten Länderkette als jugendgemäßes Zielgruppenradio zu etablieren, kann von der CDU-Fraktion nicht unterstützt werden, weil (…) die Konservierung eines Sondergebietes (nämlich die ehemalige DDR) auf dem Boden der Bundesrepublik der Überwindung der Teilung nicht förderlich scheint.«

Doch es gelang, das Jugendradio als einzigen DDR-Sender über den Abschalttermin Ende 1991 hinwegzuretten. Petra Hennicke bejubelte das am 2. Januar 1992 in der Jungen Welt: »Jugendradio sendet über den 31.12.1991 hinaus. Dieser lapidare Satz ist Ausdruck eines großen und mutmachenden Sieges der Ostler in der bundesdeutschen Demokratie. (…) Die DT-64-Gemeinde hat Mut in Ost und West gemacht: für alle Kämpfe, die gegen das eingefahrene bundesrepublikanische System noch auszufechten sind.« Letztlich wurde DT 64 allerdings vom Mitteldeutschen Rundfunk geschluckt, seit dem 1. Mai 1993 heißt es MDR Sputnik. Zu hören ist das Programm immer noch – vom rebellischen Geist der frühen 90er Jahre ist wenig übriggeblieben.

Erschienen am 6. November 2019 in der Beilage »Marxismus und Konterrevolution« der Tageszeitung junge Welt