Stinkefinger aus Quito

Ecuador gibt sich gelassen – und standfest: Nachdem führende Repräsentanten der US-Administration dem südamerikanischen Land am Mittwoch angedroht hatten, bestehende Zollerleichterungen zu streichen, wenn es dem NSA-Aussteiger Edward Snowden Asyl gewähre, verzichtete die Regierung in Quito am Donnerstag ihrerseits »einseitig und unwiderruflich« auf die 23 Millionen Dollar jährlich umfassenden Privilegien, da diese zur Epressung mißbraucht würden. Informationsminister Fernando Alvarado bot den USA während einer Pressekonferenz zudem an, ihnen »Wirtschaftshilfe« in gleicher Höhe zu leisten, damit Washington in die Lage versetzt werde, die Menschenrechtslage im Land zu verbessern.

 

Damit hat die seit Tagen schwelende Auseinandersetzung zwischen Ecuador und den USA um eine mögliche Asylgewährung für Snowden einen neuen Höhepunkt erreicht. Bereits am Montag hatte Staatschef Rafael Correa über den Internetdienst Twitter erklärt, seine Regierung werde »mit absoluter Souveränität« die Entscheidung treffen, die man für angemessen halte. Am Mittwoch legte er nach und kritisierte auf gleichem Weg, daß es den internationalen Medien gelungen sei, die Aufmerksamkeit auf Snowden und die diesen unterstützenden »Schurkenstaaten« zu lenken und dadurch »die schrecklichen Dinge gegen das nordamerikanische Volk und die ganze Welt, die Snowden angeprangert hat, vergessen zu machen«. Die herrschende Weltordnung sei »nicht nur ungerecht, sondern unmoralisch«.

Am gleichen Tag hatte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, Robert Menendez, Ecuador mit Wirtschaftssanktionen gedroht, wenn es Snowden Asyl gewähren würde: »Unsere Regierung wird Länder nicht für schlechtes Verhalten belohnen.« Konkret kündigte er an, sich dafür einsetzen zu wollen, das Abkommen über Zollerleichterungen für ecuadorianische Produkte nicht zu verlängern. Dem hat Quito nun die Grundlage entzogen. Zuvor hatte bereits Ecuadors Beauftragter für Verhandlungen mit Washington, Efrain Baus, gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur ANDES die Drohungen als »verletzend, falsch und unproduktiv« zurückgewiesen. Die Regierung erfülle exakt ihre Verpflichtungen, unterstrich er und erinnerte die US-Administration daran, daß sie von Ecuador darum gebeten worden sei, ihre Bedenken gegen eine Asylgewährung für Snowden schriftlich in einem offiziellen Dokument zu übermitteln. Dabei geht es auch um konkrete Aussagen der US-Behörden darüber, welche Bestrafung dem Whistleblower bei seiner Überstellung drohen würde. Im Falle des Asylverfahrens von Wikileaks-Gründer Julian Assange hatte Washington im vergangenen Jahr keine konkrete Aussagen machen wollen – und Quito damit Argumente für die Schutzgewährung geliefert.

Vor der neuesten Wende hatten deutsche Medien spekuliert, der wirtschaftliche Druck aus Washington werde Quito davon abhalten, dem Whistleblower Zuflucht zu gewähren. »Scheitert Snowden am Ende an Brokkoli, Blumen und Artischocken – Ecuadors Exportschlager?« fragte etwa Bild. Das südamerikanische Land wolle »kein zweites Kuba werden«. Aber wenn es Snowden nicht aufnehme, werde diesem von Caracas »fast sicher« Asyl gewährt. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hatte am Mittwoch erklärt, Snowden habe in seinem Land bislang keinen Asylantrag gestellt, sonst werde man das Ansinnen selbstverständlich prüfen. SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner brachte in Bild hingegen Deutschland als Zufluchtsort für den Gesuchten ins Spiel. Im Grunde müsse man »Leuten wie Mr. Snowden« Schutz vor Verfolgung gewähren, erklärte er.

Für andere Mainstreammedien ist das Gezerre um Snowden eine willkommene Gelegenheit, mal wieder auf die Linken in Lateinamerika einzudreschen. So betete Friedbert Meurer am Donnerstag im Deutschlandfunk während eines Interviews mit Ecuadors Botschafter Jorge Jurado eine Stellungnahme der US-finanzierten Organisation »Reporter ohne Grenzen« nach und unterstellte dem südamerikanischen Land mit Blick auf ein neues Mediengesetz, dort würde man »für schlechten Journalismus ins Gefängnis gesteckt«. Der Diplomat konterte: »Kein Mensch darf etwas schreiben, was nicht richtig bewiesen ist, und richtiger Journalismus muß sich auf Wahrheiten stützen, nicht auf irgendwelchen Meinungen, die vielleicht Menschen stören und zerstören können. Das ist für uns mediale Lynchjustiz.«

Unterdessen ließ sich Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño durch den Wirbel um Snowden nicht dazu verleiten, seine derzeitige Reise durch mehrere Länder Asiens abzubrechen. Schon Stunden, nachdem Snowden Hongkong verlassen hatte und mutmaßlich in Moskau gelandet war, hatte sich Patiño am vergangenen Montag in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi bei einer Pressekonferenz geäußert. Er bestätigte, daß sich Snowden in Rußland aufhalte und Quito dessen Asylantrag sehr sorgfältig prüfen werde. Für eine Verkürzung des Besuchs in der Sozialistischen Republik oder den Verzicht auf einen Besuch des Ho-Chi-Minh-Mausoleums sah er keinen Grund. Ebenso planmäßig setzte Patiño seine Tournee über Malaysia und Singapur, wo er am Donnerstag eintraf, fort.

Erschienen am 28. Juni 2013 in der Tageszeitung junge Welt