Snowden offline

Sie hatten auf die absolute Topstory gehofft, ein Exklusivinterview mit dem »Whistleblower« Edward Snowden. Zahlreiche Journalisten internationaler Presseagenturen hatten sich am Montag kurzfristig in den am Mittag aus Moskau nach Havanna startenden Direktflug der russischen Airline Aeroflot eingebucht. Leider mußten sie beim Start feststellen, daß entgegen ihren Vermutungen Snowden doch nicht an Bord war. Zu spät, vor den verhinderten Berichterstattern lagen gut zwölf Stunden Flug in die kubanische Hauptstadt. Runterspülen konnten sie ihren Ärger nicht, seit 2010 verkauft Aeroflot auf Flügen nach Havanna keinen Alkohol mehr.

 

Von dem früheren Angestellten der US-Geheimdienste CIA und NSA hingegen fehlte am Montag jede Spur, während Quito, Moskau und Peking den USA auf der Nase herumtanzten. Snowden hatte seinen ersten Zufluchtsort Hongkong am Sonntag mit einer Linienmaschine der Aeroflot verlassen. Das bestätigte Peking fünf Stunden nach dem Start des Flugzeugs, als dieses den chinesischen Luftraum verlassen hatte. Aeroflot ihrerseits bestätigte nach der Landung in Moskau, daß ein Passagier dieses Namens an Bord gewesen sei. Mehr war offiziell nicht zu erfahren.

Am Nachmittag meldete sich der Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, telefonisch aus der ecuadorianischen Botschaft in London zu Wort. Er wisse, wo sich Snowden und die diesen begleitende Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrrison aufhielten, beiden gehe es gut und sie seien in Sicherheit. Snowden habe von Ecuador einen Flüchtlingspaß erhalten. Assange vermied jedoch Aussagen darüber, in welchem Land sich dieser aufhalte. Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño hingegen hatte zuvor bei einer Pressekonferenz in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi bestätigt, daß sich Snowden in Rußland aufhalte. Quito stehe in »diplomatischem und respektvollem Kontakt« mit den russischen Behörden und habe diese darüber informiert, daß man dessen Asylantrag prüfe. »In diesem Fall stellen wir das Prinzip der Menschenrechte über andere Erwägungen. Die USA sollten den Bürgern der Welt lieber Erklärungen über die Spionagevorwürfe des Herrn Snowden geben«, wies der Außenminister Drohungen aus Washington zurück. Zudem verlas er ein Schreiben Snowdens an den ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa mit der Bitte um Asyl, weil er in den USA als »Verräter« vorverurteilt worden sei. »Mein Fall ähnelt dem des Soldaten Bradley Manning«, heißt es in dem Schreiben. Ihm drohten lebenslange Haft oder das Todesurteil.

US-Außenminister John Kerry warnte derweil, es wäre »sehr beunruhigend«, falls China und Rußland »wissentlich gesetzliche Standards ignoriert« und Snowden nicht aufgehalten hätten. Beide Länder seien verpflichtet, den Gesuchten an Washington auszuliefern. Alles andere werde Auswirkungen auf die Beziehungen zu beiden Ländern haben, drohte Washing­tons Chefdiplomat.

Edward Snowden war am 9. Juni an die Öffentlichkeit getreten, nachdem er zuvor dem britischen Guardian und der US-amerikanischen Washington Post geheime Dokumente zugespielt hatte, die eine millionenfache Überwachung der Internet- und Telefonkommunikation durch die US-Geheimdienste belegten. Am Wochenende legte er nach und beschuldigte den britischen Geheimdienst GCHQ, den gesamten Datenverkehr zwischen Europa und Amerika zu kontrollieren (jW berichtete).

Erschienen am 25. Juni 2013 in der Tageszeitung junge Welt