Kurswechsel in Caracas

Für Nicolás Maduro hat sich nichts geändert. Ende Juli erteilte Venezuelas Präsident erneut Forderungen nach einer Privatisierung des Bildungswesens eine Absage: »Die Kapitalisten und die Bourgeoisie werden nicht zurückkehren!« Vor 12.000 Studenten, Lehrern und anderen Beschäftigten der zahlreichen Schulungseinrichtungen des südamerikanischen Landes rief er die Bevölkerung zur Einheit auf, um den Bestand öffentlicher, kostenfreier und qualitativ hochwertiger Bildung zu bewahren.

Doch in anderen Bereichen wackelt die sozialistische Linie. Wenige Tage vor der Rede des Präsidenten forderte Juan Arias im Gespräch mit der Tageszeitung Últimas Noticias, die in den vergangenen Jahren verstaatlichten oder von den Arbeitern übernommenen Betriebe wieder für privates Kapital zu öffnen. Nur so könne die Rentabilität der Unternehmen verbessert werden. Arias ist nicht irgendwer, sondern Maduros Beauftragter für die verstaatlichten, besetzten und neugegründeten Firmen.

Ziel bleibe der Aufbau des »bolivarischen sozialistischen Produktionsmodells«, das die »kollektive Schöpfung der Arbeiter« sein müsse, zeigte sich Arias vertraut mit dem Vokabular der »Bolivarischen Revolution«. Man müsse die bisherige unproduktive und von den Gewinnen aus der Erdölförderung abhängige Wirtschaft durch ein »ökosozialistisches, nachhaltiges, zutiefst humanes sowie die Natur und die Bewahrung des Lebens auf dem Planeten respektierendes Modell« ersetzen, forderte er. Doch dazu müsse die Finanzlage der Staatsbetriebe verbessert werden. Sein Vorschlag: Die Betriebe sollen Aktien an die Wertpapierbörse bringen, um die Beteiligung privater Unternehmer zu fördern. »Wir haben keine Angst davor, Private in das System einzubeziehen«, so Arias. »Ein Arbeiter ist nicht immer ein Virtuose und ein Unternehmer ist nicht immer ein Schurke.«

Der linke Flügel des venezolanischen Regierungslagers hat alarmiert auf den Vorstoß von Maduros Beauftragten reagiert. Vor allem die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), nach Maduros sozialistischer Partei PSUV die stärkste Kraft im »Patriotischen Pol«, kritisierte die Äußerungen von Arias scharf. Es wäre ein »Rückschritt«, den früheren Eigentümern die verstaatlichten Betriebe zurückzugeben oder diese an die Börse zu bringen, warnte PCV-Generalsekretär Oscar Figuera am 20. Juli während der wöchentlichen Pressekonferenz seiner Partei in Caracas. Zugleich kritisierte Figuera, dass in einigen Staatsunternehmen Manager durch ihre Politik den Eindruck zu erwecken versuchten, dass die Arbeiter nicht zur Lenkung von Verwaltung und Produktion in der Lage seien. Der Parteichef forderte ein stärkeres Eingreifen der Regierung, um in den Staatsbetrieben eine neue Form der Mitbestimmung durchzusetzen. Die Betriebe müssten gemeinsam durch die in Sozialistischen Arbeiterräten organisierten Beschäftigten, von Repräsentanten der Regierung, den Gemeinden in der Umgebung sowie den vom Betrieb abhängigen Produzenten geführt werden. Das könne zu einer Vertiefung der partizipativen Demokratie in einem so zentralen Bereich wie der Wirtschaftsentwicklung beitragen, betonte Figuera.

Vor allem unter dem 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez waren in Venezuela wichtige Betriebe verstaatlicht worden. In anderen Unternehmen, deren Besitzer sie stillegen wollten, übernahmen die Beschäftigten selbst den Betrieb. Doch nach der ersten Euphorie gab es oft ein böses Erwachen. Von der Regierung eingesetzte Manager erwiesen sich als nicht ausreichend qualifiziert oder führten die Firma zum Unmut der Arbeiter wie ein ganz gewöhnliches kapitalistisches Unternehmen. Landwirtschaftliche Kooperativen klagten darüber, dass ihnen zugesagte Maschinen nicht geliefert wurden. Erschwert wird die Lage durch die Währungskontrolle, mit der die Regierung versucht, die grassierende Inflation zu bekämpfen, die aber zugleich Importe und Exporte erschwert. Einen Ausweg konnte die Administration von Präsident Maduro bislang nicht aufzeigen, so dass auch Arias‘ Flucht in die Vergangenheit eher ein Beleg der Hilflosigkeit ist.

Erschienen am 3. August 2015 in der Tageszeitung junge Welt