QSL-Karte von Radio Moskau

»Goworit Moskwa«

Großdemonstration in Moskau. Es ist der 7. November 1931, der 14. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution. Radio Moskau überträgt die Parade auch in deutscher Sprache: »Wir wissen, dass wir auf dem Roten Platz in Moskau stehen, aber wir sehen ihn nicht. Es herrscht ein dichter Nebel über dieser Stadt. Wir stehen kaum 200 Schritte vor dem Mausoleum des großen Führers Lenin. Man kann durch den Nebelschleier den Genossen Stalin erkennen, mit seiner unvermeidlichen Mütze und mit seinem braunen Gummimantel.« Am Mikrophon steht Egon Erwin Kisch (1885–1948). Der in Prag geborene deutschsprachige Journalist und Schriftsteller, der zu den häufigen Gästen des noch jungen Senders gehört, setzt seine Reportage fort: »Auf der rechten Seite sind die vielen Hunderte von Delegationen, die aus dem ganzen Ausland gekommen und durch das ganze Land gereist sind und staunend zurückkehren. Alles andere haben sie erwartet, als dass dieses Land das einzige Land ist, wo alles aufwärts geht – im Unterschied zu den kapitalistischen Ländern, die immer tiefer und tiefer im Sumpf der Krise versinken.«¹

Radio Moskau hatte erst zwei Jahre zuvor, am 7. November 1929, mit Übertragungen in deutscher Sprache begonnen. Auch an jenem ersten Sendetag vor exakt 90 Jahren wurde live vom Roten Platz berichtet. Der Sender übertrug Ansprachen sowjetischer Politiker und ausländischer Delegierter in Übersetzung. Es gab russische Chormusik und einen Vortrag Johannes R. Bechers. Der Vorwärts, die Tageszeitung der SPD, schäumte am folgenden Tag: »Dann schimpfte ein deutscher Kommunist auf ›Zörgiebel und Kompagnie‹ und schloss damit, sie hätten in Deutschland schon lange eingesehen, dass der Oktoberweg der einzige richtige sei. Dem entsprachen die weiteren Hetz- und Putschreden. Nachdem alle sich gegen den Militarismus ausgetobt hatten, schloss die Veranstaltung mit der Militärrede eines roten Generals, von dem Ludendorff noch lernen könnte.«² Erstaunlich wohlwollend kam dagegen die Kritik in der bürgerlichen Programmzeitschrift Der Deutsche Rundfunk daher. Die Empfangsqualität sei ausgezeichnet gewesen und das Programm so, »dass der Abend auch für Nichtkommunisten des Interesses nicht entbehrte«.³

»Gewerkschaftssender«

In der Roten Fahne, der Tageszeitung der KPD, fand sich dagegen weder an jenem ersten Sendetag noch unmittelbar danach ein Hinweis auf die deutschsprachigen Programme aus Moskau. Erst am 30. November erschien im Feuilleton eine kleine Notiz unter der Überschrift »Arbeiterhörer aufgepasst! Hört Moskau!« Der Zentralrat der Sowjetgewerkschaften veranstalte deutschsprachige Rundfunkübertragungen »für die deutschsprechenden Nationalminderheiten (Wolgadeutsche)«, hieß es da. »Da der neue Sender mit einer Energie von 100 Kilowatt arbeitet, dürfte es vielen Hörern leicht sein, das russische Programm zu hören und sich besonders am Sonntagvormittag vom Kirchengebimmel und Pfaffengequassel zu befreien.«⁴ Auch in einem anderen Beitrag vom 20. Dezember betonte die Rote Fahne, dass die Sendungen »in erster Linie für die Gewerkschaftsmitglieder der deutschen Kolonisationsgebiete an der Wolga, in Sibirien, im Kaukasus und in der Krim bestimmt« seien.⁵ Die wiederholten Hinweise, dass es sich um Inlandssendungen handelte, waren diplomatischer Rücksichtnahme geschuldet. Rundfunk war ein ganz junges Medium, die politische Erfahrung im Umgang damit fehlte noch – auch wenn Lenin schon 1920 in einem Brief euphorisch von den »Radioerfindungen« als »Zeitung ohne Papier und ›ohne Entfernungen‹«⁶ gesprochen hatte.

Als erste Kurzwellenrundfunkstation gilt der vom niederländischen Technologiekonzern Philips betriebene Sender PCJJ. Dieser hatte am 11. März 1927 begonnen, Rundfunkprogramme für Niederländisch-Indien, das heutige Indonesien, auszustrahlen, kurz darauf nahm man auch Sendungen in englischer, spanischer und deutscher Sprache auf. Zwei Jahre später war Radio Moskau allerdings der erste staatliche Auslandssender – was man allerdings nicht offiziell zugeben wollte. Deshalb übernahm der Zentralrat der sowjetischen Gewerkschaften die Verantwortung für die Programme, die ohnehin im Moskauer Gewerkschaftshaus produziert wurden. Bis weit in die 1930er Jahre hinein war deshalb auch in Deutschland oft vom Gewerkschaftssender die Rede, wenn über die Sendungen aus Moskau gesprochen wurde.

Trotz der diplomatischen Rücksichtnahme sorgten die Programme in den bürgerlichen Kreisen Deutschlands für Aufregung. Der Journalist und Rundfunkkritiker Kurt Wagenführ (1903–1987), der unter den Nazis 1936 die Monatszeitschrift Weltrundfunk sowie 1941 das vom Propagandaministerium finanzierte »Institut für Rundfunkkunde und Fernsehrundfunk« gründen und leiten durfte, forderte bereits 1930 den Einsatz von Störsendern, Gegenprogramme in russischer Sprache und eine wöchentliche Sendung im deutschen Rundfunk, in der die Darstellungen von Radio Moskau beantwortet werden sollten.⁷

Tatsächlich wurden nicht nur Störsender gegen Moskau eingesetzt, sondern auch antisowjetische Sendungen in die Programme der halbstaatlichen Deutschen Welle aufgenommen – während kommunistischen Politikern der Zugang zu den Mikrophonen verschlossen blieb. Selbst zu Wahlkampfzeiten durfte die im Reichstag vertretene KPD ihre Positionen nicht darlegen. Vor der Präsidentschaftswahl 1932 forderte deshalb der »Freie Radiobund Deutschlands« (FRBD) in seiner Zeitschrift Arbeitersender: »Thälmann vor das Mikrophon!«⁸ Doch das Innenministerium wies die auch von der KPD-Fraktion erhobene Forderung zurück: »Der umstürzlerische Charakter der Kommunistischen Partei, wie er bei den Unruhen der letzten Tage erneut erwiesen ist, macht ihre Gleichstellung mit den anderen Parteien bei der Behandlung der Wahlreden unmöglich.«⁹ Die Nazis hatten solche Probleme nicht. Am 31. Juli 1932 durfte der »Reichsorganisationsleiter« der NSDAP, Gregor Strasser, eine fast halbstündige Rede im Rundfunk halten. Adolf Hitler blieb das verwehrt – aber nur deshalb, weil er sich weigerte, zuvor ein Manuskript seiner Rede einzureichen.

Während namhafte Künstler und Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Anna Seghers und andere gegen den »Missbrauch des Rundfunks« (Brecht) protestierten, wehrten sich die Mitglieder des FRBD – wie schon zuvor die Mitglieder des der SPD nahestehenden »Arbeiterradiobundes« (ARBD) – auf ihre Weise. Sie organisierten Abende, bei denen gemeinsam Radio gehört und das Empfangene diskutiert und ausgewertet wurde. Die Ergebnisse wurden dann als Kritik an die Sender und Zeitungen geschickt. Da diese »Massenvorführungen« immer wieder in öffentliche Protestkundgebungen umschlugen, kam es Berichten der Zeitschrift Arbeitersender zufolge wiederholt zu Polizeieinsätzen.¹⁰ Eine Änderung der Rundfunkpolitik der Reichsregierung bewirkten die Aktionen allerdings nicht.

Wachsende Bedeutung

Als Alternative zu den offiziellen deutschen Programmen kam somit nur der über Kurz- und Mittelwelle in ganz Deutschland empfangbare Moskauer Sender in Frage. »Hört Moskau« war als Wandparole zu lesen, die FRBD-Zeitschrift veröffentlichte Tips, wie man den Empfang auch mit einfachen Radios möglich machen oder verbessern konnte, und schließlich wurden bei Kundgebungen und Großveranstaltungen Moskauer Sendungen über Lautsprecherwagen des FRBD verbreitet.

Die Bedeutung von Radio Moskau wurde noch größer, als 1933 die Nazis in Deutschland an die Macht kamen. Der deutsche Rundfunk fiel den Faschisten widerstandslos in die Hände, schon der Fackelmarsch der Nazis nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde direkt übertragen – mit Zustimmung der Zensurinstanzen. Trotzdem wurden die Verantwortlichen nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 abgelöst und durch stramme Nazis ersetzt.

In dieser Situation blieb Antifaschisten in Deutschland nur, auf Radio Moskau umzuschalten, dessen Komintern-Sender in jenem Jahr damit begann, auch über Langwelle auszustrahlen. Zu Wort kamen dort praktisch alle in die Sowjetunion geflüchteten Führungsmitglieder der KPD, aber auch antifaschistische Künstler und Schriftsteller, unter ihnen Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Willi Bredel, Ernst Busch, John Heartfield, Klaus Mann, Wilhelm Pieck, Erwin Piscator, Walter Ulbricht, Herbert Wehner und Erich Weinert.

Noch war das Abhören ausländischer Sender offiziell nicht verboten, aber das Weitergeben von Informationen des Moskauer Rundfunks wurde von der Nazijustiz mit drakonischen Strafen geahndet. So meldete Anfang 1934 der Neue Vorwärts, die in Prag erscheinende Wochenzeitung der ins Exil geflüchteten SPD-Führung, dass ein Bauarbeiter den Moskauer Sender empfangen und das Gehörte einem Schlosser berichtet habe – beide seien zu Gefängnisstrafen von mehr als einem Jahr verurteilt worden. Die Deutschland-Berichte der Exil-SPD notierten in jener Zeit, dass Arbeiter, die beim Bau der Autobahnen beschäftigt waren, in ihren Baracken Moskau hörten. Sie erfuhren dabei von der Verhaftung, Verurteilung und Ermordung deutscher Kommunisten und anderer Antifaschisten, über die Zustände in den Konzentrationslagern, die Kampagne zur Freilassung des inhaftierten KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann sowie ab 1936 über die deutsche Beteiligung am Krieg in Spanien. Die Nazis reagierten mit dem Einsatz von Störsendern nicht nur gegen Moskau, sondern auch gegen das französische Radio Strasbourg PTT, das ebenfalls Programme in deutscher Sprache verbreitete. Der Neue Vorwärts meldete am 22. März 1936, dass dieses »Jamming« die Nachrichten beider Sender praktisch unhörbar gemacht habe: »Bis zum 7. März war es den Bewohnern des ›Dritten Reiches‹ immer noch möglich, sich durch den Rundfunk über die wichtigsten Vorgänge im Ausland zu unterrichten. (…) Seit dem 7. März ist aber selbst mit den besten Radioapparaten der Moskauer Sender nicht mehr hörbar.«¹¹ Doch ganz unhörbar machen konnten die Nazis Radio Moskau nie. Ende 1937 notierte Goebbels frustriert, dass »nichts gegen die gemeine Propaganda der Moskauer Sender« unternommen werden könne und die Stärke der deutschen Sender nicht ausreiche, um die russische Konkurrenz wirksam zu stören.

Einen gewissen Bedeutungsverlust erlitt Radio Moskau erst ab Herbst 1938, als die britische BBC begann, deutschsprachige Sendungen auszustrahlen. Ab Ende August 1939 fiel Radio Moskau dann für fast zwei Jahre komplett als antifaschistischer Sender aus, denn mit Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes stellten beide Seiten die gegen den jeweils anderen gerichteten Programme ein. Die Sowjetunion nahm gegenüber dem in Westeuropa laufenden Krieg eine demonstrativ neutrale Haltung ein – und bei Radio Moskau wurden kommentarlos sowohl die Berichte des Oberkommandos der Wehrmacht als auch die Erklärungen der westlichen Alliierten verbreitet.

»Tod den deutschen Okkupanten!«

Das änderte sich schlagartig mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Das deutschsprachige Programm wurde Teil des Widerstandes, der zu Beginn jeder Sendung verbreitete Slogan lautete nun nicht mehr »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«, sondern »Tod den deutschen Okkupanten!«¹²

Der Moskauer Rundfunk wandte sich in dieser Zeit teilweise über acht Sender auf Kurz-, Mittel- und Langwelle gleichzeitig an die Hörer in Deutschland. Um den Störversuchen der Nazis zu entgehen, änderte man häufig die Sendefrequenzen, so dass die Empfänger das Programm auf der Skala ihres Radios knapp links oder rechts vom Geheule des »Jammings« hören konnten. Insbesondere für die Antifaschisten im Untergrund waren die Informationen aus der Sowjetunion von unschätzbarem Wert. Daran erinnerte 1950 der ehemalige Widerstandskämpfer und spätere Zeitungsredakteur Walter Franze im Neuen Deutschland: »Erzählungen von der Ostfront zurückgekehrter Soldaten, Verwundeter und Urlauber bestätigten, was dem Kreis der ausländischen Radioabhörer seit Wochen bekannt war: Der ›größte militärische Vormarsch aller Zeiten‹, nämlich in den Raum von Stalingrad, begann sich immer deutlicher zu der größten militärischen Niederlage aller Zeiten zu entwickeln. (…) Um so mehr stieg die Zuversicht der deutschen und ausländischen Antifaschisten im ›Tausendjährigen‹ Reich. Wer Gelegenheit dazu hatte, saß einzeln oder in Gruppen Nacht für Nacht am Radio und ›kurbelte‹.«¹³ Selbst in den Konzentrationslagern fanden die Gefangenen Wege, die ausländischen Programme zu hören. »Mit Windeseile verbreiteten sich fast täglich in den Abendstunden die Nachrichten aus Radio Moskau und Radio London in den Blocks«, erinnerte sich Hans Seigewasser 1955 in der Berliner Zeitung. »Der illegale Abhördienst, ein wichtiger Bestandteil der Widerstandsarbeit im Lager, funktionierte.«¹⁴

Nach dem Sieg über den deutschen Faschismus änderten sich die Aufgaben des Moskauer Rundfunks. Schon im Mai 1945 kündigte der damalige Vorsitzende des staatlichen Radiokomitees, A. Pusin, eine Änderung der inhaltlichen Schwerpunkte an. Während des Krieges habe man sich in erster Linie gegen die Deutschen gerichtet, weil die verbündeten Mächte der Sowjetunion in dieser Zeit wohlgesinnt gewesen seien. Damit könne man jetzt nicht mehr rechnen.¹⁵ Allerdings bemühte sich die Sowjetunion zunächst, die sich verschärfenden Differenzen nicht zu deutlich werden zu lassen. Der Berliner Rundfunk, der bereits am 13. Mai 1945 unter Kontrolle der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) den Betrieb aufgenommen hatte, sollte deshalb nicht direkt sowjetische Positionen, sondern die der KPD und der anderen antifaschistisch-demokratischen Kräfte vertreten. Versuche Moskauer Stellen, im Berliner Rundfunk mehr Raum für eigene Inhalte zu schaffen, wurden deshalb vor allem von der SMAD abgewehrt. Es sei »in Berlin nicht immer angebracht«, auf den »Strom antisowjetischer verleumderischer Materialien aus England« zu antworten, schrieb im Oktober 1945 der Leiter des SMAD-Informationsbüros, Iwan Tugarinow, an seinen Vorgesetzten in Moskau, Georgi Fjodorowitsch Alexandrow.¹⁶

Die Darstellung der sowjetischen Politik und die Abwehr antisowjetischer Propaganda blieb so die Aufgabe von Radio Moskau. Dort stand man aber vor dem Problem, dass der Empfang in Deutschland sich schwierig gestaltete, da zunächst nur der Besitz einfacher Rundfunkgeräte zugelassen worden war. Die SMAD verlangte deshalb die Einrichtung von Sendeanlagen in der Ukraine oder in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Aufgrund der Rücksichtnahme auf die westlichen Siegermächte wurde erst Anfang 1947 damit begonnen, die Programme von Radio Moskau auch über den »Deutschlandsender« auszustrahlen, der in dieser Zeit vor allem die sowjetischen Soldaten mit Sendungen in ihrer Muttersprache versorgte.

Über die Inhalte der deutschsprachigen Programme der Nachkriegszeit erfahren wir vor allem aus der damaligen DDR-Presse: »Die Rundfunksendungen aus Moskau bringen Nachrichten aus der Sowjetunion und aus dem Ausland, Übersichten über die sowjetische Presse, Kommentare und Diskussionen über die verschiedenen Fragen des Lebens der Sowjetunion sowie über die Probleme der internationalen Politik. Die Sendungen von Radio Moskau erläutern die Außenpolitik der Sowjetunion, deren Ziel die Festigung des Friedens und der Sicherheit der Völker ist, und vermitteln die Erfahrungen des großen Kampfes der Friedensanhänger gegen die Kriegsgefahr. (…) Nachrichten werden täglich um 6 und 9 Uhr morgens gesendet sowie in der Zeit von 17 bis 23 Uhr zu Beginn jeder Stunde. Sonntags um 17.30 Uhr Frauenfunk und um 19.30 Uhr die Funkreportage ›Nachrichten der Woche‹. Dienstags um 17.30 Uhr und 19.30 Uhr Sendungen für die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft oder für die Aktivisten der DDR. Freitags um 17.30 und 19.30 Uhr Jugendfunk. Sonnabends um 17.30 Uhr Schulfunk, um 21.30 Uhr Wunschkonzert.«¹⁷

Noch Ende der 1980er Jahre veröffentlichte die Berliner Zeitung in ihrem wöchentlichen Radioprogramm auch die Sendezeiten des Moskauer Rundfunks. 1989 gab es deutschsprachige Programme demnach täglich von 6.30 bis 7.30 Uhr, von 11.00 bis 12.00 Uhr sowie von 17.00 bis 21.00 Uhr und von 22.00 bis 22.30 Uhr.¹⁸

Keine Alternative mehr

Doch je mehr »Glasnost« und »Perestroika« die Sowjetunion an den Rand des Zusammenbruchs und schließlich darüber hinaus brachten, rückte auch Radio Moskau von früheren Positionen ab. Noch 1987 hatte Chefkommentator Wladimir Ostrogorski scharf auf Äußerungen des CDU-Politikers Ottfried Hennig, damals Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, reagiert: »Das Deutsche Reich, das Bonn wiederaufgebaut haben möchte, worauf alle seine Erklärungen im Grunde genommen hinauslaufen, ist in den Flammen des Krieges untergegangen, den es selbst entfesselt hatte. Seine Wiedergeburt zu erwarten ist ebenso widersinnig wie das Erscheinen von Friedrich Barbarossa vor der Tribüne des Bonner Bundestages.«¹⁹ Nur ein Jahr später, Anfang 1988, klang das schon etwas anders: »Selbstverständlich gibt es in der BRD – und dabei sogar in den Kreisen, in denen die unbedingte Loyalität gegenüber den USA über vieles andere gestellt wird – zahlreiche Anhänger einer sogenannten dritten Null-Lösung, das heißt der Beseitigung der Kernwaffen mit einer Reichweite bis 500 Kilometer – nach der Beseitigung der Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite.«²⁰ Wiederum zwei Jahre später, im August 1990, unterzeichneten Radio Moskau und die Deutsche Welle dann einen Kooperationsvertrag über gemeinsame Produktion und Austausch von Rundfunkprogrammen, Zusammenarbeit in der Hörerforschung, Techniker- und Praktikantenausbildung sowie beiderseits auszustrahlende Funkbrücken.²¹

Eine politische Alternative war Radio Moskau damit nicht mehr. Aus Geldmangel begann der sowjetische Rundfunk zudem damit, seine Sendeanlagen zu vermieten. Bei den Kunden – meist religiöse Missionswerke – war man nicht wählerisch. So konnte Anfang der 1990er Jahre die japanische Omu-Shinrikyo- bzw. Aum-Sekte mehrere Stunden täglich in japanischer und englischer Sprache senden – bis sie am 20. März 1995 einen Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio verübte.²² Ab 1996 mietete der deutsche Altfaschist Ernst Zündel Sendezeit beim starken Mittelwellensender Bolschakowo nahe Kaliningrad. Eine Stunde wöchentlich sollte so auf der Frequenz des seit 1993 als Stimme Russlands firmierenden Radio Moskau Holocaustleugnung und rassistische Hetze verbreitet werden. Es kam jedoch offenbar nur zu zwei Übertragungen, dann verweigerte Moskau dem Nazi nach Intervention zufälliger Hörer weitere Übertragungen.²³

Die eigentlichen Programme der Stimme Russlands büßten derweil immer mehr an Bedeutung ein – auch wenn die inzwischen meist älteren Mitarbeiter tapfer versuchten, nun Werbung für die neuen Herren zu machen. Zehn Jahre später war der Sender Geschichte. Staatschef Wladimir Putin zog im Dezember 2013 einen Schlussstrich und ordnete an, den Auslandsrundfunk und die Nachrichtenagentur RIA Nowosti zum neuen staatlichen Medienunternehmen »Rossija Sewodnja« (Russland heute) zusammenzufassen. Aus der Stimme Russlands wurde Radio Sputnik – dessen deutschsprachiges Programm seinen Namen schon nach wenigen Tagen in SNA-Radio ändern musste, weil die Marke »Sputnik« in der Bundesrepublik schon vom MDR besetzt war.

Inhaltlich erinnern das SNA-Radio-Programm und die Internetseite Sputnik Deutschland heute kaum noch an den großen Vorgänger Radio Moskau. Die Reaktionen in der Bundesrepublik lassen jedoch Parallelen zu denen vor 1990 erkennen. So beendete am 1. März 2019 die Medienanstalt Berlin-Brandenburg die Ausstrahlung des Augsburger Privatsenders Mega Radio SNA, weil dieser über DAB+ vor allem Übernahmen von SNA-Radio verbreitet. Dafür kassiert die Station eine Vergütung – ähnlich wie Fernsehsender, die stundenlange »Dauerwerbesendungen« laufen lassen.

Unerwünscht?

Schon 2017 war Mega Radio SNA von den Landesmedienanstalten die bundesweite Zulassung verweigert worden, weshalb er in Berlin bei einer Neuvergabe der Sendeplätze auf DAB+ nicht mehr berücksichtigt wurde. Der Betreiber klagte dagegen, Medienberichten zufolge läuft das Verfahren noch. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob Sender, die Programmzulieferungen von staatlichen Unternehmen erhalten, eine deutsche Rundfunklizenz erhalten dürfen.²⁴ Bei Mega Radio und Sputnik ist man sich allerdings sicher, dass es dabei nicht um »irgendeinen« Staat geht. Man könne sich »des Eindrucks nicht erwehren, dass die Meinung Russlands in Berlin (politisch) wohl nicht erwünscht ist«, zitierte Sputnik am 28. Februar 2019 den Geschäftsführenden Gesellschafter von Mega Radio, Peter Valentino. Sergej Feoktistow, Chefredakteur von Sputnik Deutschland und Programmverantwortlicher für SNA-Radio, hielt die Abschaltung am selben Tag ebenfalls für »politisch motiviert«.²⁵

Von der Hand zu weisen ist das nicht, denn zuvor hatten zahlreiche kritische Medienberichte über den Sender sowie den Fernsehkanal RT Druck auf die Medienanstalten ausgeübt. So schrieb Klaus Staeck Anfang 2017 in einem von der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Kommentar von »Politpornographie für die AfD« und ätzte: »Besitzt die AfD schon einen eigenen Sender? Nein, aber sie ist auf dem besten Weg, über die vom russischen Staat finanzierte Sputnik News Agency (SNA) einen direkten Propagandakanal in unsere Rundfunklandschaft einzupflanzen.«²⁶

Tatsächlich war die Präsenz der AfD im Programm von SNA-Radio lange unangenehm penetrant – doch inzwischen haben die Rechten den Moskauer Sender nicht mehr nötig. Sie sind längst im öffentlich-rechtlichen Mainstream angekommen, werden zitiert, interviewt und akzeptiert. Ob das der Grund ist, warum sich SNA-Radio in der letzten Zeit etwas distanzierter gibt, kann nur vermutet werden. In den Kommentarspalten auf der Sputnik-Homepage wird jedenfalls noch genauso gehetzt wie früher – dagegen etwas zu unternehmen scheint man in der Deutschland-Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin nicht für notwendig zu halten.

 

Anmerkungen

1 Zit. n. SWR 2 Wissen: Stalins Weißmeerkanal, 5.2.2019; http://www.swr.de/swr2/programm/download-swr-5464.pdf

2 Vorwärts, 8.11.1929, S. 3

3 Zit. nach: Ansgar Diller: Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion. In: Rundfunk und Geschichte (2003), Nr. 29, S. 109 ff.

4 Ebd.

5 Die Rote Fahne, 20. Dezember 1929, 4. Beilage

6 W. I. Lenin: An M. A. Bontsch-Brujewitsch. In: Werke, Berlin 1979, Band 35, S. 413

7 Zit. n. Diller: Deutschsprachige Rundfunksendungen aus der Sowjetunion, a. a. O., S. 109 f.

8 Arbeitersender, 5.2.1932

9 Zit. n. Peter Dahl: Arbeitersender und Volksempfänger, Frankfurt am Main 1978, S. 73

10 Vgl. ebd., S. 64 f.

11 Neuer Vorwärts, 22.3.1936, S. 2

12 Conrad Pütter: Rundfunk gegen das »Dritte Reich«, München 1986, S. 257

13 Neues Deutschland, 2.2.1950, S. 4

14 Berliner Zeitung, 2.2.1955, S. 2

15 Vgl. Petra Galle: Radio Moskau und Berliner Rundfunk als Instrumente sowjetischer Rundfunkpolitik im besetzten Deutschland (1945–1949). In: Rundfunk und Geschichte (1999), Nr. 1, S. 5 ff.

16 Ebd., S. 7

17 Neues Deutschland, 2.6.1951, S. 2

18 Berliner Zeitung, 31.1.1989, S. 6

19 Neues Deutschland, 9.1.1987, S. 5

20 Neues Deutschland, 11.2.1988, S. 5

21 Der Spiegel, Nr. 35/1990, S. 146 f.

22 Vgl. https://t1p.de/aum-shinrikyo

23 http://web.archive.org/web/20050426145232/http://home.t-online.de/home/Hans-Joachim.Brustmann/ber10.htm

24 https://t1p.de/Mega-Radio-SNA

25 https://t1p.de/Sputnik-SNA

26 Berliner Zeitung, 25.1.2017

Erschienen am 7. November 2019 in der Tageszeitung junge Welt