»Feindsender« aus London

Es ist der 1. April 1940. Über das deutschsprachige Programm der BBC ist eine Rede Hitlers zu hören: »Als im Jahre 1492 der Spanier Christoph Kolumbus, gestützt auf die Erfahrungen deutscher Gelehrter und unterstützt von deutschen Apparaten und Instrumenten, seine (…) Fahrt über den weiten Ozean unternahm, konnte kein Zweifel darüber bestehen, dass bei einem Gelingen (…) Deutschland teilhaben müsste an den Errungenschaften, die diese Entdeckungsfahrt zeitigen sollte. (…) Mein unerschütterlicher Wille ist, den mir von der Vorsehung bestimmten Stuhl im Weißen Haus einzunehmen und es damit zum Braunen Haus zu machen, so wahr ich Gott helfe!«

Gleich zu Sendebeginn erreichte die Redaktion ein Anruf von der US-Rundfunkgesellschaft CBS: »Wo spricht denn Hitler – und wieso haben Sie davon gewusst?« Die Londoner Kollegen konnten rasch aufklären. Es handelte sich um einen Aprilscherz, der es sogar auf die Titelseite der Tageszeitung News Chronicle schaffte.

Die BBC hatte deutschsprachige Sendungen überstürzt am 27. September 1938 ins Programm genommen. Auf dem Höhepunkt der Krise um die Tschechoslowakei sollte die Rede des britischen Premierministers Neville Chamberlain auch in Deutsch übertragen werden. Doch weil sie über die Frequenzen des Inlandsdienstes der BBC ausgestrahlt wurde, zeigten sich viele britische Hörer verwirrt. Manche fürchteten sogar, die Deutschen hätten den britischen Hörfunk besetzt.

Aus den holprigen Anfängen entwickelte sich schnell ein mächtiges Werkzeug. Die BBC stellte sich zur Aufgabe, »nur die Wahrheit« zu sagen, und der Chef des deutschsprachigen Dienstes, Hugh Carleton Greene, zeigte sich nach dem Krieg stolz darauf, dieser Maxime (weitgehend) treu geblieben zu sein.

Das Hören von BBC und anderer »Feindsender« war in Nazideutschland strikt verboten. »Rundfunkkriminellen« drohte die Todesstrafe. Trotzdem schalteten vor allem gegen Kriegsende viele Deutsche den Londoner Rundfunk ein. In einer 1988 aus Anlass des 50. Jahrestages der deutschsprachigen Sendungen von der BBC veröffentlichte Broschüre ist für August 1944 von täglich geschätzt mehr als zehn Millionen Hörern die Rede.

Solche Zahlen hat der Sender später nie wieder erreicht. Im Kalten Krieg versuchte man, die erprobten Techniken gegen die DDR einzusetzen. Hatte man während des Krieges die satirische Hörspielserie »Kurt und Willi« produziert – ein Gespräch zwischen einem linientreuen Oberlehrer und seinem zynischen Freund aus dem Propagandaministerium –, gab es in den 60er Jahren die »zwei Genossen Klotz und Krause«. Senderchef Richard O’Rorke lobte das Programm in der Broschüre von 1988. Ihr sachlicher Stil habe sich sehr von den »aggressiven Polemiken« des Westberliner US-Senders RIAS abgehoben. Das Ziel war jedoch dasselbe. Als es 1989/90 mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Europa erreicht war, nahte das Ende für den deutschsprachigen Dienst der BBC. Am 26. März 1999 wurde er eingestellt – zwei Tage nach Beginn des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien.

Erschienen am 31. Oktober 2019 in der Tageszeitung junge Welt