Ein Putschist inszeniert sich

Der selbsternannte »Präsident« gab sich staatsmännisch. Am Sonntag (Ortszeit) wandte sich Juan Guaidó mit einer im Internet übertragenen Ansprache an seine Anhänger. Der Politiker saß an einem Schreibtisch, hinter ihm die Nationalflagge und eine Büste des Nationalhelden Simón Bolívar, vor ihm zwei in Leder gebundene Bände der »Großen Enzyklopädie Venezuela«. Die Rede war als »Bilanz« der bisherigen Maßnahmen angekündigt. Erfolge hatte Guaidó, der sich am vergangenen Mittwoch selbst zum »Übergangspräsidenten« Venezuelas ernannt hatte, allerdings wenige vorzuweisen. Statt dessen rief er seine Anhänger zu weiteren Protesten in dieser Woche auf, mit denen das Militär zum Sturz des gewählten Präsidenten Nicolás Maduro bewegt werden soll. Der Washington Post sagte Guaidó, dass es hinter den Kulissen Gespräche mit Militärs und zivilen Regierungsvertretern über einen Machtwechsel gebe. »Das ist eine sehr heikle Angelegenheit, bei der es auch um die persönliche Sicherheit geht. Wir treffen sie, aber diskret.«

Guaidó gerät allerdings unter Zeitdruck. Diejenigen, die seine Berufung auf die Verfassung ernst nehmen, fragen, wann er die versprochenen Neuwahlen ausruft. Diese müssten bei einer Vakanz des Präsidentenamtes – mit der Guaidó seine Selbsternennung begründet – innerhalb von 30 Tagen durchgeführt werden. Zudem erwarten seine Anhänger, dass »irgendwas passiert«. Bisher wurden jedoch keine Regierungsentscheidungen bekannt, Guaidó hat noch nicht einmal Minister ernannt. Selbst die einzige bekanntgewordene Personalie – die Ernennung von Carlos Alfredo Vecchio zum neuen »Geschäftsträger« der venezolanischen Botschaft in Washington – wurde offenbar von der US-Administration entschieden.

Derweil dreht sich die Agitation der Opposition vor allem um ein von der Nationalversammlung beschlossenes, vom Obersten Gerichtshof aber bereits für ungültig erklärtes »Amnestiegesetz«. Die meisten Menschen interessiert aber vielmehr, wie die Hyperinflation gestoppt werden kann. Allein seit Dezember sind die Preise für Waren des täglichen Bedarfs auf das Drei- oder Vierfache gestiegen, ohne dass eine wirksame Strategie der Regierung von Präsident Maduro dagegen erkennbar gewesen wäre. Doch auch Guaidó scheint keinen Plan zu haben.

Viele Menschen, die mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt sind, interessieren sich deshalb kaum für das Theater auf der politischen Bühne. Einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Hinterlaces zufolge, die zwischen dem 7. und 16. Januar gemacht wurde, war der am 5. Januar zum Parlamentspräsidenten ernannte Guaidó 81 Prozent der Befragten völlig unbekannt. Inzwischen dürfte sich das geändert haben, doch seine »Regierung« wird von den meisten nicht ernst genommen. In der Wahrnehmung der Venezolaner ist derjenige Präsident, der im Miraflores-Palast sitzt. Und das ist Maduro.

Der Staatschef besuchte am Wochenende Soldaten in der Paramacay-Kaserne im Bundesstaat Carabobo. Er zeigte sich Arm in Arm mit den Uniformierten, joggte mit ihnen und fuhr auf einem Panzer mit. Der Ort war bewusst gewählt, denn die Kaserne war 2017 von etwa 20 bewaffneten Regierungsgegnern unter dem Befehl eines ehemaligen Offiziers der Nationalgarde überfallen worden. Der Angriff war von den Soldaten zurückgeschlagen worden. Am Sonntag rief Maduro die Streitkräfte auf, sich erneut den Attacken der Regierungsgegner entgegenzustellen. »Niemand respektiert die Feiglinge und Verräter. In dieser Welt werden die Mutigen, die Entschlossenen respektiert, und wir müssen mit der Macht der Militärs den Respekt für die bolivarische Nation durchsetzen«, erklärte er in einer vom staatlichen Fernsehen VTV übertragenen Rede.

Der Journalist und frühere Vizepräsident José Vicente Rangel warnte am Sonntag im Privatsender Televen, dass auf der Eglin Air Force Base in Florida Angriffe auf Stützpunkte des venezolanischen Militärs in Aragua, Carabobo und Anzoátegui vorbereitet würden. Aus US-Militärkreisen sei zudem durchgesickert, dass die Stationierung von zwei Flugzeugträgern vor Curaçao geplant ist.

Erschienen am 29. Januar 2019 in der Tageszeitung junge Welt