Schwarzgeldaffäre

Es wären so schöne Bilder zum Wahlkampfabschluss in Berlin geworden: Angela Merkel gemeinsam mit der fotogenen Lilian Tintori aus Venezuela, das Traumpaar des Widerstandes gegen die »Diktatur« von Nicolás Maduro. Die gibt es nun erst mal nicht, denn Tintori darf das Land zunächst nicht mehr verlassen, weil sie vor Gericht aussagen soll. Dabei hatte sie den Beginn ihrer Europa-Tournee doch so hübsch inszeniert, mit ausreichend Reportern und den Botschaftern aus Deutschland, Spanien und Italien im Schlepptau am Flughafen Maiquetía.

Wussten die europäischen Diplomaten nicht, dass Tintori im Mittelpunkt eines ausgewachsenen Schwarzgeldskandals steht? Oder war es ihnen egal? Hat der deutsche Botschafter Stefan Herzberg auf eigene Faust gehandelt, oder befolgte er Anweisungen von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD)? Auskunft darüber war am Wochenende nicht zu erhalten, die Pressestelle des Auswärtigen Amtes ist nur werktags besetzt.

Fakt ist, dass das Interesse der venezolanischen Justiz an dem Finanzgebaren der Dame verständlich ist. Millionen Menschen kommen in dem südamerikanischen Land derzeit nicht an ihr Geld, weil die Scheine knapp sind und die Banken deshalb nur noch eine begrenzte Summe am Tag auszahlen, und dies dann zumeist in alten Banknoten zu niedrigen Werten von 50 oder 100 Bolívares.

Und in dieser Zeit kurvt das Auto einer prominenten Regierungsgegnerin mit Holzkisten voller neuer Scheine in hohem Nennwert durch die Hauptstadt. Wie Medien dort ausgerechnet haben, hätte die in dem Fahrzeug sichergestellte Summe von 200 Millionen Bolívares gereicht, um zum Beispiel ein 54-Quadratmeter-Appartement im teuren Mittelschichtsviertel Altamira zu kaufen. Tintori hätte mehr als 13.000 Menschen zum Mittagessen einladen oder einer Person 66 Jahre lang jeden Monat den aktuellen Mindestlohn auszahlen können.

Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Monaten zu einer Schutzmacht für die Opposition in Venezuela aufgeschwungen. Mehrere Pressemitteilungen und Statements bei der Bundespressekonferenz belegen das. Andere Länder der Region genießen weniger Fürsorge. Zum »Verschwinden« des Menschenrechtsaktivisten Santiago Maldonado in Argentinien schweigt die Regierung. Die Polizeieinsätze gegen streikende Lehrer in Peru interessieren in Berlin nicht. In Kolumbien sind in diesem Jahr bereits mehr als 100 linke Aktivisten und Gewerkschafter ermordet worden – kein Kommentar. Aber wenn es gegen die Regierung in Caracas geht, sprudelt man vor Engagement über.

Nun kann sich Frau Merkel also nicht zum Kaffeekränzchen mit Frau Tintori treffen. Schade, denn mit Schwarzgeldaffären hat die Bundeskanzlerin ja Erfahrung, seit sie 1999 die CDU-Spendenaffäre nutzte, um sich zur Parteichefin zu machen. Da hätte sie der Dame doch ein paar Tips geben können.

Erschienen am 4. September 2017 in der Tageszeitung junge Welt