Auf den Kopf gestellt

Wer am Dienstag die Internetseite der Bundesregierung besuchte, wurde dort mit einem Foto begrüßt, das die Nationalflagge Venezuelas zeigt – allerdings nicht die aktuelle mit acht, sondern die bis 2006 geltende mit sieben Sternen und einem anderen Wappen. Zudem wird die Fahne auf dem Kopf stehend gezeigt. Das ist zumindest eine Respektlosigkeit gegenüber den staatlichen Symbolen eines anderen Landes – auf der offiziellen Homepage der deutschen Exekutive.

Die Provokation soll heute fortgesetzt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel will den Präsidenten der venezolanischen Nationalversammlung, Julio Borges, in Berlin empfangen. Es ist ein Treffen unter Parteifreunden, denn Borges’ »Primero Justicia« (PJ, Gerechtigkeit Zuerst) wurde mit tatkräftiger Unterstützung der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung aufgebaut. Ihn begleitet Parlamentsvizepräsident Freddy Guevara, der zur ultrarechten »Voluntad Popular« (VP, Volkswille) gehört und in den vergangenen Monaten zu den wichtigsten Einpeitschern der gewaltsamen Proteste gegen die Regierung gehörte.

Nicht bei dem Treffen dabei ist Li­lian Tintori. Der Politikerin ist von den venezolanischen Behörden die Ausreise untersagt worden, weil sie vor Gericht zu großen Mengen Bargeld Stellung nehmen soll, die in der vergangenen Woche in ihrem Auto sichergestellt wurden. Der Fall sorgt in Venezuela vor allem deshalb für Schlagzeilen, weil Bargeld knapp ist. Die Preise waren im Zuge der Inflation so rasant gestiegen, dass die Behörden ab Ende vergangenen Jahres damit begannen, die alten Scheine aus dem Verkehr zu ziehen und neue Banknoten im Nennwert von 500 bis 20.000 Bolívares einzuführen. Diese wurden aber offenbar in großem Stil über die Grenzen in die Nachbarländer verschoben und kamen bei den einfachen Menschen nicht an. Sie müssen nach wie vor mit Scheinen zu 50 oder 100 Bolívares bezahlen – wobei etwa der staatlich festgelegte Preis für ein Kilo Maismehl bereits mehr als 2.000 Bolívares beträgt. Da auch bei den Banken das Bargeld knapp wird, haben die meisten Finanz­institute Obergrenzen eingeführt und zahlen nur noch etwa 30.000 Bolívares am Tag aus, meist in den alten Scheinen.

Für Tintori galt das offensichtlich nicht – in ihrem Fahrzeug wurden 200 Millionen Bolívares (je nach Wechselkurs zwischen 10.000 und 60.000 Euro) in neuen Scheinen durch Caracas gefahren.

Davon erfährt man auf den Internetseiten von Bundesregierung und Auswärtigem Amt nichts. Dort findet sich lediglich das Statement, das Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag auf der Bundespressekonferenz über die »Menschenrechtsaktivistin« Tintori abgegeben hat. Das Ausreiseverbot sei »ein weiterer Beleg für die Willkür der Regierung Maduro in Venezuela«, behauptete Seibert. Weder das Auswärtige noch das Kanzleramt wollten dazu auf Nachfrage von junge Welt Stellung nehmen.

In Venezuela hat sich die politische Lage in den vergangenen Wochen spürbar stabilisiert. Seit gut einem Monat gibt es kaum noch Straßenproteste der Opposition gegen die Regierung von Präsident Nicolás Maduro. Es war sicherlich kein Zufall, dass das Ende der monatelangen Welle oft gewaltsamer Proteste – denen nach Angaben des vom venezolanischen Kulturministerium betriebenen Rundfunksenders Alba Ciudad mehr als 130 Menschen zum Opfer gefallen sind – mit der Wahl der verfassunggebenden Versammlung am 30. Juli zusammenfiel. Nach Angaben des Nationalen Wahlrats (CNE) hatten sich daran mehr als acht Millionen Bürger beteiligt, obwohl die Regierungsgegner zu einem Boykott der Abstimmung aufgerufen hatten.

Dieser politische Erfolg des Regierungslagers hat bei der Opposition die Alarmglocken schrillen lassen, denn an der Wahl dürften sich auch Menschen beteiligt haben, die bei der Parlamentswahl 2015 die Opposition gewählt hatten oder zu Hause geblieben waren. Es war in weiten Teilen weniger ein Vertrauensvotum für den Präsidenten als vielmehr eine Protestwahl gegen die nicht endenden Krawalle. Als Reaktion kündigten wenige Tage später praktisch alle Oppositionsparteien ihre Teilnahme an den im Oktober stattfindenden Regionalwahlen an.

Die Aufgabe der Straßenkämpfer, die Lage in Venezuela zu destabilisieren, haben nun ausländische Regierungen übernommen. US-Präsident Donald Trump drohte am 11. August mit einer militärischen Intervention. Und Borges darf in dieser Woche den Regierungschefs in Paris, Madrid, Berlin, Rom und London seine Aufwartung machen. Als Reaktion darauf bestellte das venezolanische Außenministerium am Montag deren Botschafter ein und überreichte ihnen eine offizielle Protestnote.