Schöne Worte

Gleich zweimal Schuldeingeständnisse an einem Tag. In Santiago de Chile räumte Bundespräsident Joachim Gauck am Dienstag (Ortszeit) »Fehler« deutscher Diplomaten beim Umgang mit den Verbrechen der chilenischen Militärdiktatur (1973–1990) und speziell der deutschen Foltersekte »Colonia Dignidad« ein. Aber eine Mitverantwortung der Bundesrepublik für Folter und Mord in Zeiten der Militärdiktatur einzuräumen, »wäre nun zuviel der Selbstbezichtigung«, so Gauck. Deshalb drückte er sich auch um eine konkrete Antwort auf Forderungen von Opferverbänden, die von Berlin Unterstützung erhoffen.

Ebenfalls am Dienstag hat die Bundesregierung erstmals offiziell den von den deutschen Kolonialtruppen 1904 bis 1908 im heutigen Namibia begangenen Völkermord an den Herero und Nama als Genozid bezeichnet. Zuvor hatte in diesem Zusammenhang nur das Auswärtige Amt und auch erst 2015 von einem Völkermord gesprochen. Nun soll es eine gemeinsame Erklärung der Regierungen und Parlamente Deutschlands und Namibias geben, in der die Massaker ausdrücklich als Völkermord bezeichnet werden. Gauck soll zudem eine offizielle Entschuldigung aussprechen. Allerdings beharrt die Bundesregierung auf ihrer Position, dass aus der Verwendung des Völkermordbegriffs keine Rechtsfolgen für Deutschland entstünden. Konkret: Entschädigungszahlungen an die Nachkommen der Opfer will Berlin nicht leisten.

Zweimal Mord und Verbrechen durch Deutsche, zweimal schöne Worte Jahrzehnte nach den Taten – und zweimal die Haltung, es bei diesem »Tut uns leid« doch bitte bewenden zu lassen.

Die Bundesregierung und insbesondere Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) versuchen, sich »Altlasten« möglichst elegant und kostengünstig vom Hals schaffen, denn sonst bekommt das Bild, das man von sich selbst so gerne zeichnet, hässliche Flecken. Es war schon nervig, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nach der Armenier-Resolution des Bundestags auf den Völkermord an den Herero verweisen konnte. Und dann gibt es ja auch noch die Griechen, die auf die Zerstörungen hinweisen, die deutsche Truppen in ihrem Land hinterließen und für die sie nie Reparationen aus Deutschland erhalten haben. Da legt man gerne den einen oder anderen Kranz nieder – aber die heutige Ausplünderung Griechenlands geht ungehindert weiter.

Die Entschuldigungen aus Berlin sind besser als nichts, zumal sich über Jahrzehnte keine Bundesregierung zu solchen Gesten bereit fand. Doch viel wichtiger wäre, als Konsequenz aus den vergangenen Verbrechen die der Gegenwart zu beenden. Oder soll erst in 30, 50 oder 100 Jahren ein deutscher Minister nach Afghanistan reisen, um sich dort für die von deutschen Soldaten begangenen Tötungen zu entschuldigen? Soll erst um 2100 ein Regierungsvertreter mit zerknirschtem Gesicht um Verzeihung dafür bitten, dass man islamistische Regime und Terrorbanden mit Waffen und Geld ausgerüstet hat und dass die Drohnen der US-Luftwaffe auf ihren Mordflügen von Deutschland aus gesteuert wurden?

Erschienen am 14. Juli 2016 in der Tageszeitung junge Welt