Generalstreik mit Gauck

Mit einem ausgewachsenen Generalstreik haben die Arbeiter in Uruguay am Donnerstag Bundespräsident Joachim Gauck begrüßt, der nach seinem Staatsbesuch in Chile am Vormittag (Ortszeit) nach Montevideo weitergereist war. Die Visite des 76jährigen war allerdings nicht der Grund für die Proteste. Mit dem Ausstand wandte sich der Gewerkschaftsbund PIT-CNT gegen die von der Regierung des Präsidenten Tabaré Vázquez beschlossenen Lohnleitlinien, die Grundlage für die Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den öffentlichen wie privaten Unternehmen sind. Das vom Linksbündnis Frente Amplio gestellte Kabinett hatte Anfang Juli beschlossen, die im vergangenen Jahr erlassene Obergrenze für Gehaltssteigerungen zwischen acht und zehn Prozent nicht zu erhöhen. Nur so könnten Arbeitsplätze gesichert werden, erklärte Wirtschafts- und Finanzminister Danilo Astori. Die Gewerkschaften verweisen dagegen auf die Inflation und warnen vor Reallohnverlusten. Zudem verlangen die Arbeiter größere Investitionen des Staates insbesondere in den Bereichen Bildung und Gesundheitsversorgung. Es geht ihnen auch um eine bessere Absicherung für sie bei Unternehmensschließungen sowie um Beschäftigungsquoten für Körperbehinderte in der Privatwirtschaft. Schließlich soll der Leerstand von Wohnungen unter Strafe gestellt werden.

Nach Informationen der kubanischen Agentur Prensa Latina beteiligten sich rund eine Million Beschäftigte an dem Generalstreik, und damit die Mehrheit der nach Angaben der Weltbank rund 1,7 Millionen »wirtschaftlich aktiven« Bürger des südamerikanischen Landes.

Ob der Generalstreik die wichtigen Aktivitäten des deutschen Staatsgastes beeinträchtigen würde, war zunächst nicht absehbar. Für Donnerstag nachmittag (Ortszeit) war laut Bundespräsidialamt eine Zeremonie zur Vorstellung von zwei Sonderbriefmarken der uruguayischen Post anlässlich des 160jährigen Jubiläums der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Uruguay vorgesehen.

Insgesamt dürfte der bis Samstag abend angesetzte Besuch in Uruguay weniger Konfliktpotential bieten als die am Donnerstag beendete Visite in Chile. Dort hatte Gauck die Opfer der deutschen Foltersekte »Colonia Dignidad« brüskiert, als er diesen ein persönliches Gespräch verweigerte. Die 1961 gegründete Kolonie hatte nach dem Putsch der chilenischen Militärs gegen die demokratisch gewählte Regierung 1973 bis 1990 als Geheimgefängnis gedient, in dem Oppositionelle und Widerstandskämpfer gefoltert und ermordet wurden. Eine juristische Mitverantwortung Deutschlands dafür wies Gauck zurück. Die Verantwortung des chilenischen Staates könne nicht auf Deutschland übertragen werden, wenn sich in Chile ein Gruppe von kriminellen Deutschen an Landsleuten und Chilenen vergangen habe. »Wir können als Deutsche nur bedauern, dass Landsleute mit der chilenischen Diktatur so zusammengearbeitet haben, dass die in deren Nähe ein Folterzentrum errichten konnten«, zitierte dpa den Bundespräsidenten.

Tatsächlich aber hat die deutsche Justiz die Täter lange Jahre aktiv geschützt: Der 2011 in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Kindesmissbrauch verurteilte Sektenarzt Hartmut Hopp lebte jahrelang unbehelligt in Krefeld. Erst Anfang Juni 2016 beantragte die Staatsanwaltschaft entsprechend einem chilenischen Gesuch, dass Hopp die gegen ihn verhängte Haftstrafe in der Bundesrepublik absitzen solle. Ob und wann der 72jährige tatsächlich hinter Gitter muss, ist jedoch noch völlig offen.

Erschienen am 15. Juli 2016 in der Tageszeitung junge Welt