Falsches Datum, falscher Ort

Kolumbiens Präsident Iván Duque hat vor den Vereinten Nationen Vorwürfe gegen Venezuela bekräftigt, in seinem Land aktive Guerillaorganisationen wie die Nationale Befreiungsarmee (ELN) zu unterstützen. In seiner Ansprache in der Generaldebatte der UN-Vollversammlung erklärte er am Donnerstag (Ortszeit), er habe Generalsekretär António Guterres einen umfassenden, 128 Seiten starken Bericht mit Beweisen dafür überreicht, wie das Nachbarland »terroristischen und Drogenbanden« helfe. Das Dossier belege, dass das »diktatorische Regime« von Venezuelas Präsident Nicolás Maduro eine »große Bedrohung für die internationale Sicherheit« darstelle und »ein weiteres Glied in der Kette des internationalen Terrorismus« sei, so Duque.

Einige Seiten des Berichts veröffentlichte Duque auch über Twitter. Im Gespräch mit Journalisten forderte er Guterres anschließend auf, den Bericht »in allen Details zu analysieren«. Getan haben das zunächst die Redakteure der in Medellín erscheinenden Tageszeitung El Colombiano. Sie stellten fest, dass mindestens eines der von Duque präsentierten Fotos – das angeblich ELN-Kämpfer im April 2018 in einer Landschule im venezolanischen Bundesstaat Táchira zeigen soll – weder aktuell ist, noch in Venezuela aufgenommen wurde. Vielmehr zeige es eine Propagandaaktion der ELN, die schon 2015 im kolumbianischen Huisitó, einer abgelegenen Ortschaft »zwischen Bergen und Kokaplantagen« im Departamento Cauca stattgefunden habe. Die Zeitung hatte damals darüber berichtet und verlinkte nun auf den vier Jahre alten Beitrag.

Eine offizielle Stellungnahme der kolumbianischen Regierung dazu gab es zunächst nicht. Inoffiziell erfuhren die Redakteure von El Colombiano, dass das Foto aus einem Bericht der venezolanischen Nichtregierungsorganisation Fundaredes stammen soll. Deren Direktor Javier Tarazona bestätigte der Zeitung, die Bilder stammten bereits aus dem Jahr 2013 und seien von seiner Organisation 2014 dem kolumbianischen Geheimdienst übergeben worden. Er bestand jedoch darauf, dass sie aus Venezuela stammten. Aufgenommen habe sie eine Lehrerin der Novilleros-Schule in Táchira. Tarazona und Fundaredes sind allerdings kaum glaubwürdige Quellen – beide traten in den vergangenen Monaten wiederholt mit spektakulären Vorwürfen gegen die venezolanische Regierung hervor, die sie jedoch nie belegen konnten. So behauptete Fundaredes im vergangenen Mai, dass 15.000 Venezolaner von der kolumbianischen Guerilla rekrutiert worden seien – das wären mehr als die von Kolumbiens Behörden vermutete Gesamtzahl aktiver Aufständischer.

Bei Experten sorgte der Skandal um die gefälschten Beweise Duques für Entsetzen. Der Politologe Juan Camilo Arroyave warnte gegenüber El Colombiano, dass solche »Fehler« dem Ansehen des Staatschefs schaden könnten, schon aufgrund der Bedeutung der UN-Vollversammlung für die Weltöffentlichkeit. Der frühere Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro warf Duque auf Twitter vor, eine Diskussion über die nationalen Probleme vermeiden zu wollen, indem er »in seinem Diskurs die FARC durch Venezuela ersetzt«. Kolumbien könne die bestehende Krise seines Außenhandels überwinden, indem man die Exporte nach Venezuela wiederaufnehme, sprach sich der linksliberale Politiker für eine Normalisierung der Beziehungen aus. Venezuelas Außenminister Jorge Arreaza nannte die Rede des kolumbianischen Staatschefs im Fernsehsender Telesur eine »Nebelwand«. Duque habe versucht, die Menschen mit Falschmeldungen zu verwirren.

Erschienen am 28. September 2019 in der Tageszeitung junge Welt