Niebel knausert

Die reichen Industrienationen dürfen beim UN-Gipfeltreffen in New York nicht als »Kolonialherren« auftreten, forderte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) am Montag in einem Gespräch mit dem Berliner Inforadio. Statt dessen müßten die »Geberländer« die Bedürfnisse der sogenannten Entwicklungsländer ernst nehmen, forderte er. Zuglich warnte der Politiker angesichts des sich abzeichnenden Scheiterns der vor zehn Jahren von den Vereinten Nationen festgelegten »Millenniumsziele«, die unter anderem bis 2015 eine Halbierung der weltweiten Armut vorsehen, vor »gegenseitigen Schuldzuweisungen«. Die Staaten sollten vielmehr analysieren, in welchen Bereichen sie bei der Bekämpfung der Armut erfolgreich waren, forderte Niebel zum gegenseitigen Schulterklopfen auf.

Der Regierung Ecuadors in Quito ist danach derzeit jedoch kaum zumute. In der vergangenen Woche hatte Niebel die deutschen Zusagen für eine Unterstützung des Yasuní-ITT-Projekts zurückgezogen. Dabei geht es um die Bereitschaft Ecuadors, auf die Erdölförderung aus dem innerhalb des Yasuní-Nationalparks gelegenen sogenannten ITT-Feld zu verzichten, wenn die internationale Gemeinschaft dem Land einen Teil der dadurch entgehenden Einnahmen ersetzt. Im August hatten sich Quito und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) auf die Einrichtung eines 2,7 Milliarden Euro umfassenden Fonds geeinigt, aus dem Ecuador für die entgangenen Gewinne entschädigt werden soll. In einem Schreiben an die grüne Bundestagsabgeordnete Ute Koczy erklärte Minister Niebel mit Datum vom 14. September jedoch, die Bundesregierung werde »die Einzahlung in den Treuhandfonds für die ITT-Initiative nicht in Betracht ziehen«.

Damit düpierte Niebel sogar den deutschen Botschafter in Quito, Peter Lindner. Der hatte noch vor vier Wochen erklärt, beide Regierungen würden im September Verhandlungen über einen deutschen Beitrag aufnehmen. Nun befürchtet Niebel jedoch eine »Präzedenzwirkung« der ecuadorianischen Initiative »im Hinblick auf Kompensationsforderungen der erdölproduzierenden Länder in den Klimaverhandlungen«. Tatsächlich haben einem am Montag erschienenen Bericht der spanischen Tageszeitung Público zufolge Peru, Bolivien und Guatemala bereits ihr Interesse bekundet, gegen internationale Hilfsleistungen auf die Erschließung der Öl- und Gasfelder in ihren Ländern zu verzichten.

Während Niebel in seinem Schreiben an Koczy jedoch behauptet, bislang habe sich »kein anderer Geber bereit gefunden, die Initiative zu unterstützen«, hat Chiles Außenminister Alfredo Moreno in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Quito bereits offiziell eine erste Rate in Höhe von 100000 US-Dollar für das Yasuní-Projekt an den UNDP-Vertreter in Ecuador übergeben. Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung. Zwar habe Berlin der Regierung in Quito bislang diesbezüglich offiziell nichts mitgeteilt, aber »jedes Land ist frei in seinen Entscheidungen und wir respektieren die Entscheidung jeder Regierung«, sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur ANDES. Trotzdem könnte das Verhalten Niebels den für November geplanten Deutschland-Besuch von Ecuadors Präsident Rafael Correa beeinträchtigen, bei dem es unter anderem auch um die Yasuní-Initiative gehen soll, wie Patiño ankündigte.

Erschienen am 21. September 2010 in der Tageszeitung junge Welt