Luftpiraten gegen Evo

Die hysterische Jagd auf den Enthüller der massenhaften Überwachung von Kommunikationsverbindungen in Europa durch die USA und Großbritannien nimmt immer bizarrere Züge an. In der Nacht zum Mittwoch verweigerten Frankreich, Spanien, Portugal und Italien offenbar auf Druck Washingtons dem Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales die Überflugrechte, so daß es in Wien notlanden mußte. Morales war auf dem Heimweg aus Moskau, wo er am Gipfeltreffen der erdgasexportierenden Länder teilgenommen hatte. Grund für diesen Akt der Luftpiraterie war ein Gerücht, Edward Snowden befinde sich an Bord. Erst nach einem 13stündigen Zwangsaufenthalt konnte Morales am Mittwoch mittag seine Reise fortsetzen. Offenbar auf österreichische Vermittlung hin hatten die vier Staaten ihren Luftraum wieder freigegeben. Unklar blieb, ob zuvor Grenzbeamte die Maschine betreten hatten. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger erklärte, Bolivien habe eine »freiwillige Nachschau« gestattet, Morales dementierte das.

 

Inzwischen behaupten zumindest Paris und Madrid, es habe ein Überflugverbot nie gegeben. »Nachdem es kaum logische Gründe gibt, warum die bolivianische Regierung die Verbote hätte erfinden sollen, wirft das ein mehr als schiefes Licht auf die Länder«, kommentierte dies der Österreichische Rundfunk, ORF. Zuvor hatte Spaniens Botschafter in Wien, Alberto Carnero, für einen zusätzlichen Eklat gesorgt, als er im Stil eines Kolonialbeamten verlangt hatte, von Morales in dessen Maschine zu einem Kaffee eingeladen zu werden. Der bolivianische Präsident zeigte sich empört und erinnerte an die Immunität und Unverletzlichkeit der Regierungsmaschine.

Edward Snowden, der sich nach Angaben russischer Journalisten am Mittwoch noch immer am Moskauer Flughafen Scheremetjewo aufhielt, hatte in einem von der Enthüllungsplattform Wikileaks in der Nacht zum Dienstag veröffentlichten Schreiben vorweggenommen: »Das sind die alten, üblen Werkzeuge politischer Aggression. Ihr Zweck ist es, einzuschüchtern – nicht mich, sondern jene, die mir nachfolgen mögen.«

Offensichtlich verfehlen die Werkzeuge ihren Zweck nicht. Zahlreiche Regierungen, vor allem in Europa, sind unter dem Druck der USA bereits eingeknickt und verweigern Snowden Asyl. Auch die Bundesregierung lehnte am Dienstag abend das bei der deutschen Botschaft in Moskau eingereichte Ersuchen ab. Am Mittwoch bekräftigte Außenminister Guido Westerwelle (FDP), es lägen keine Voraussetzungen für eine Aufnahme in Deutschland vor. Der 30jährige sei in keiner humanitären Notlage: »Zum einen befindet sich Herr Snowden in Rußland. Und Rußland hat ihm nach unserer Kenntnis auch ein Bleiberecht dort angeboten. Zum anderen sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein Rechtsstaat mit parlamentarischer Kontrolle und einer unabhängigen Justiz.« Das sorgte für Empörung bei der Opposition. »Edward Snowden hat der weltweiten Öffentlichkeit und der Verteidigung des Völkerrechts mit seinen Enthüllungen einen Dienst erwiesen und braucht deshalb internationalen Schutz vor der US-Hetzjagd«, erklärte die entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Hänsel. Die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, Katharina Nocun, sagte, sie schäme sich für diese Regierung: »Die Demokraten in unseren Parlamenten und Ministerien haben nichts Besseres zu tun, als die eigene fehlende Courage hinter den Formalia des Asylrechts zu verstecken.«

Erschienen am 4. Juli 2013 in der Tageszeitung junge Welt