Husch-Pfusch-Gesetz

Seit dem 1. September gilt in Österreich ein neues Arbeitszeitgesetz. Es erlaubt den Unternehmern, ihre Beschäftigten bis zu zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden pro Woche arbeiten zu lassen. Natürlich dürften die Angestellten dazu nicht gezwungen werden, hatten die österreichischen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ im Vorfeld immer wieder versichert. Zumindest die elfte und zwölfte Arbeitsstunde am Tag seien freiwillig. So behauptete Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) im Mai in einer Diskussion beim Sender Puls 4, dass es jeder Chef akzeptieren werde, wenn eine Angestellte etwa aus familiären Gründen nicht so lange arbeiten könne. »Wir haben einen gesetzlichen Achtstundentag, und der bleibt. Wir haben eine gesetzliche 40-Stunden-Woche, und die bleibt«, so der auch als Minister für den öffentlichen Dienst amtierende Strache. Es gehe nur darum, dass Beschäftigte Überstunden machen und sich auszahlen lassen können – »wenn sie wollen«.

Doch mit dem »wenn sie wollen« ist es nicht weit her. »Das von der Regierung vielbeschworene Recht auf Freiwilligkeit bei der elften und zwölften Arbeitsstunde ist nichts als ein leeres Versprechen«, stellte der Vorsitzende der österreichischen Dienstleistungsgewerkschaft Vida, Roman Hebenstreit, am Mittwoch fest. »In der Praxis der Arbeitswelt sitzt der Arbeitgeber am längeren Ast.«

Anlass für die Äußerungen war ein Skandal, den die Arbeiterkammer (AK) – die gesetzliche Interessenvertretung der Beschäftigten in Österreich – am selben Tag öffentlich gemacht hatte. Der Chef einer Wiener Restaurantkette hatte von einer 56jährigen Hilfsköchin verlangt, ab dem 1. September zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Als die seit fast 20 Jahren in dem Unternehmen beschäftigte Fatma B. dies mit Verweis auf ihre Gesundheit ablehnte, wurde sie rausgeschmissen. Der Chef legte ihr ein Schreiben vor, in dem sie bestätigen sollte, dass das Arbeitsverhältnis zum 14. September »einvernehmlich« beendet werde. Die so unter Druck gesetzte Frau wollte sich zuerst mit ihrer Schwiegertochter beraten, doch der Vorgesetzte ließ sie nicht aus dem Zimmer gehen, bis sie unterschrieb. Dann schickte er sie nach Hause.

Unterstützt von ihrer Schwiegertochter, wandte sich Fatma B. an die Arbeiterkammer und den Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). Diese rieten ihr, den Rauswurf anzufechten, weil die Unterschrift unter Druck erfolgt und damit ungültig sei. Wie die Arbeiterkammer am Mittwoch mitteilte, verzichtete Fatma B. darauf jedoch, weil sie in einem solchen Betriebsklima nicht mehr weiterarbeiten wollte. Die AK fordert für sie eine Abfindung in Höhe von sechs Monatsgehältern ein.

»Das ist genau, was wir befürchtet haben«, kommentierte AK-Präsidentin Renate Anderl den Vorgang. »Seit Inkrafttreten des Zwölfstundentaggesetzes machen die Arbeitgeber Druck.« Im konkreten Fall habe der Unternehmer das Gesetz genutzt, um eine ältere Angestellte loszuwerden. »Wir wissen, dass Fatma B. nicht die einzige Betroffene in ihrem Betrieb ist«, ergänzte Vida-Chef Hebenstreit. »Aber viele Kolleginnen und Kollegen haben Angst, sich zu wehren.« Deshalb hätten sich die meisten anderen mit den unmenschlichen Arbeitszeiten abgefunden, um ihren Job nicht zu verlieren. »Von Freiwilligkeit kann also bei diesem Husch-Pfusch-Gesetz keine Rede sein.«

Strache kritisierte den Rauswurf der Hilfsköchin am Mittwoch in Wien nach einer Kabinettssitzung als einen »Missbrauchsfall«, den man ahnden müsse. »Die Dame« habe einen Rechtsanspruch darauf, dass die Kündigung nicht rechtskräftig werde. Andernfalls werde sich die Regierung Sanktionen für solche Fälle überlegen. Der Arbeiterkammer ist das zuwenig. »Hätte die Bundesregierung gleich auf die Arbeiterkammer und die Gewerkschaften gehört, dann müsste Strache jetzt den Unternehmen keine Sanktionen androhen«, so Anderl in einer Pressemitteilung.

Erschienen am 2. November 2018 in der Tageszeitung junge Welt