Frauen kein Thema

In El Salvador sind am Sonntag knapp fünf Millionen Menschen aufgerufen, die Parlamentsabgeordneten und Bürgermeister neu zu wählen. Die Ergebnisse werden mit Spannung erwartet, denn erstmals können die Bürger des zentralamerikanischen Landes nicht nur zwischen verschiedenen Parteien wählen, sondern sich auch gezielt für einzelne Kandidaten entscheiden. Die Zahl der jeweils verfügbaren Stimmen entspricht der Anzahl der Abgeordneten, die ein Wahlkreis in die Legislative entsendet. In Morazán sind dies zum Beispiel drei Vertreter, in San Salvador sogar 24. Wähler, die nicht eine ganze Parteiliste wählen wollen, können ihre entsprechende Anzahl Stimmen quer über den Abstimmungszettel verteilen. Nicht nur für die Wahlberechtigten ist das so ungewohnt, dass die Wahlbehörde TSE auf ihrer Homepage eigens eine Trainingsmöglichkeit eingerichtet hat, um anhand eines Musterzettels die verschiedenen Möglichkeiten auszuprobieren. Auch die Parteien fürchten unliebsame Überraschungen und werben zumeist dafür, das Logo ihrer Organisation anzukreuzen.

Nach den meisten Umfragen kann die frühere Guerillaorganisation FMLN (Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí), die mit Salvador Sánchez Cerén auch den Staatspräsidenten stellt, damit rechnen, stärkste Kraft zu werden. In den letzten Umfragen lag sie rund fünf Punkte vor der Rechtspartei ARENA. Für eine absolute Mehrheit dürfte es allerdings nicht reichen, so dass die zersplitterte Rechte – neben ARENA die PCN und die GANA – Initiativen der FMLN blockieren könnte.

Das bedeutet unter anderem für die Frauen des zentralamerikanischen Landes, dass sie weiter auf eine Lockerung des bislang geltenden Abtreibungsverbotes warten müssen. In El Salvador sind Schwangerschaftsunterbrechungen praktisch ohne Ausnahme untersagt. Derzeit sitzen Medienberichten zufolge noch 16 Frauen in Haft, die zu Gefängnisstrafen von bis zu 40 Jahren verurteilt wurden. Sie hatten Fehlgeburten erlitten, die ihnen als »Mord« an den ungeborenen Kindern ausgelegt wurden. Erst im Januar wurde eine junge Frau nach sieben Jahren im Gefängnis von den Abgeordneten begnadigt, »weil die Justiz Fehler gemacht« habe. Parlamentspräsident Sigfrido Reyes von der FMLN hatte sich zuvor seit Monaten für die Freilassung der im Alter von 18 Jahren zu 30 Jahren Gefängnis verurteilten Frau und ihren Leidensgefährtinnen eingesetzt. »Weltweit herrscht große Empörung darüber, dass in El Salvador Frauen nach ungerechten Prozessen im Gefängnis sitzen – Frauen, die aufgrund des Fehlens angemessener medizinischer Betreuung ihre Kinder verloren haben und vom Justizsystem verfolgt und verurteilt wurden, als wären sie Verbrecherinnen oder Mörderinnen«, sagte der Abgeordnete dem Internetportal La Página. Die Anträge von sechs weiteren Frauen auf Begnadigung wurden jedoch abgelehnt, bei neun weiteren steht die Entscheidung noch aus.

Im Wahlkampf versucht die FMLN, das Thema zu umschiffen. In ihrem Programm taucht die Frage der Schwangerschaftsunterbrechungen nicht auf, und die Abgeordnete Lorena Peña erklärte gar öffentlich, eine Entkriminalisierung von Abtreibungen stehe »nicht auf der Agenda« ihrer Partei. Nayib Bukele, der gute Chancen hat, am Sonntag für die Befreiungsfront zum Bürgermeister der Hauptstadt San Salvador gewählt zu werden, hatte sich noch 2013 per Twitter für Veränderungen ausgesprochen: »Denken wir wirklich darüber nach, eine Frau unseren zurückgebliebenen Gesetzen zu opfern? Fehlt uns tatsächlich noch so viel zum Fortschritt?« In seinem aktuellen Wahlprogramm taucht das Thema dagegen nicht mehr auf. Ob ihm das Vorteile verschafft, ist allerdings fraglich. Ihren Gegnern gilt die FMLN ohnehin als »atheistisch-kommunistisch« und einer Führung folgend, die »totalitäre Befehle« erteilt, wie es Evangelina del Pilar de Sol am 15. Februar im Internetportal elsalvador.com formulierte. Trotzdem liegt Bukele in den Umfragen weit vor dem Kandidaten der bislang die Metropole regierenden ARENA, Edwin Zamora. Zwischenzeitlich hatte dieser in den Umfragen mehr als 20 Prozentpunkte hinter Bukele zurückgelegen.

Erschienen am 27. Februar 2015 in der Tageszeitung junge Welt