Aufstand im Untergrund

Die griechische Regierung läßt den seit mehr als einer Woche anhaltenden Streik im öffentlichen Nahverkehr Athens eskalieren. Am Donnerstag abend hatte die Koalition aus konservativer ND, sozialdemokratischer PASOK und der »Demokratischen Linken« (DIMAR) einen Erlaß verkündet, der die Beschäftigten zur Wiederaufnahme der Arbeit verpflichtet. Andernfalls drohen ihnen Haftstrafen und die Entlassung. Die Regierung stützt sich Medienberichten zufolge auf ein Gesetz, das noch aus der Spätphase der griechischen Militärdiktatur (1967–1974) stammt. Darin wird die Zwangsrekrutierung von Beschäftigten gestattet, wenn das wirtschaftliche oder soziale Leben wegen natürlicher oder anderer Gründe erschüttert wird. Entsprechend fühlte sich der Gewerkschaftschef der Athener Metro, Antonis Stamatopoulos, an die Repression durch das damalige Obristenregime erinnert. Auch die Linkspartei ­SYRIZA sprach von einem »Putsch gegen die Demokratie«.

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Erlasses besetzten Gewerkschafter am späten Donnerstag abend das Depot der Athener U-Bahnen. Die Aktion wurde am Freitag morgen durch die MAT-Sondereinheiten der griechischen Bereitschaftspolizei beendet. Gegen 3.30 Uhr brachen die Beamten die Tore des Gebäudes auf und nahmen Dutzende Streikende fest. Hundertschaften hatten zuvor die Zufahrtsstraßen gesperrt, um mehreren hundert Unterstützern den Weg zu versperren.

Die Gewerkschaften wollen jedoch weiterkämpfen. Nachdem seit dem 16. Januar lediglich die Metro nahezu komplett bestreikt worden war und die Fahrer der Busse, Trolleybusse und Straßenbahnen nur zeitweilig die Arbeit niedergelegt hatten, kündigten sie am Freitag nun an, den kompletten Nahverkehr bis Anfang der kommenden Woche einzustellen. Am Freitag nachmittag besetzten sie symbolisch die Metrostation Aghios Antonios im Westen Athens und verbrannten die Briefe, in denen sie zur Wiederaufnahme der Arbeit verpflichtet wurden.

Andere Beschäftigte der U-Bahn gaben hingegen dem Druck nach und kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück. Gegen 15 Uhr Ortszeit nahm die Metro den Betrieb teilweise wieder auf. Das habe die Regierung nur erreichen können, weil sie den Beschäftigten »das Messer an die Kehle gesetzt« habe, kritisierte PAME-Vorstandsmitglied George Skiadiotis im kommunistischen Rundfunksender 902. Seine der griechischen KP nahestehende Gewerkschaftsorganisation rief für Sonnabend zu einer Großdemonstration im Zentrum der Hauptstadt auf und warf der Regierung vor, sie wolle jeden Widerstand gegen ihre brutale Politik zerschlagen. Der Gewerkschaftsbund GSEE kündigte an, die Vorbereitungen für einen weiteren 24stündigen Generalstreik zu beschleunigen.

Unterdessen hält sich SYRIZA-Chef Alexis Tsipras seit Dienstag in den USA auf. Der IWF sehe ein, daß das griechische Sparprogramm »ohne einen großzügigen Schuldenschnitt undurchführbar« sei, sagte er nach einem Treffen mit dem Vizechef des Währungsfonds, David Lipton, am Donnerstag (Ortszeit). Mit dem stellvertretenden US-Außenminister Eric Rubin sei er sich einig gewesen, daß die Sparprogramme keine Lösung für die Krise seien, Griechenland kein Risiko für Europa darstelle und Deutschland auf einer »gefährlichen Politik« beharre, berichtete der griechische Rundfunk ERT.

Erschienen am 26. Januar 2013 in der Tageszeitung junge Welt