Venezuelas Regierung gewinnt Boden – „Strategische Offensive“ angekündigt

Bald zwei Monate nach Beginn des von der rechten Opposition am 2. Dezember begonnenen „Generalstreiks“ neigt sich die Waage in Venezuela immer mehr zugunsten der Regierung und der bolivarianischen Bewegung. Gleichzeitig werden die Auflösungserscheinungen in den Reihen der Opposition immer deutlicher.

Den ersten Schlag versetzte ausgerechnet der ehemalige US-Präsident Carter der Opposition. In seiner Rolle als Vermittler legte er zwei Vorschläge zur Lösung der innenpolitischen Krise Venezuelas vor. Entweder, so Carter, solle eine Volksabstimmung im August über Neuwahlen entscheiden oder aber die Nationalversammlung ebenfalls im August über eine Verfassungsänderung zur Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten entscheiden. Beide Vorschläge berücksichtigen die Verfassungsbestimmung, wonach eine Amtsenthebung des Präsidenten mittels Volksabstimmung erst nach der Hälfte der Amtszeit möglich ist. Die Vorschläge Carters bedeuten eine Zurückweisung der Oppositionsforderungen nach sofortigen Neuwahlen.

Den nächsten Schlag erhielt die Opposition dann vom Obersten Gerichtshof. Das selbe Gremium, das vor einem halben Jahr noch die Drahtzieher des Putsches vom vergangenen April freigesprochen hatte, untersagte nun der Opposition die Durchführung einer für den 2. Februar geplanten „Volksbefragung“.

Die bolivarianische Bewegung mobilisierte für den 23. Januar, dem 45. Jahrestag des Sturzes der Diktatur von Marcos Pérez Jiménez, zum „Großen Marsch für den Frieden und die Verfassung“ nach Caracas. Schon im Vorfeld zeichnete sich ab, dass diese Demonstration alle vorhergehenden übertreffen würde. Angesichts der zusammenströmenden Menschenmassen rief Chávez aus, dies sei keine Demonstration mehr, sondern eine „Sturmflut des Volkes“. Zwischen einer und fünf Millionen Menschen schwankten die Schätzungen. Selbst Hubschraubern des staatlichen Fernsehsenders VTV, die hoch über den Dächern von Caracas kreisten, gelang es nicht, die gesamte Demonstration zu erfassen.

In seiner Rede kündigte der Präsident an, das Jahr 2003 werde ein Jahr der „strategischen Offensive“ der Bolivarianischen Revolution werde, nachdem man sich im vergangenen Jahr in einer „strategischen Defensive“ befunden habe. Er drohte den von der Opposition kontrollierten privaten Fernsehsendern den Entzug der Sendelizenzen an und forderte, man müsse sich von den Fesseln des alten Wirtschaftssystems befreien.

Nur zwei Tage nach dieser Massendemonstration antwortete die Opposition mit einer „24-Stunden-Demonstration“. Der Sender „Globosvisión“, der zu den übelsten Hetzern der Opposition gehört, behauptete, die Opposition habe die „vierfache Zahl“ an Menschen mobilisieren können, doch vermieden es sowohl dieser Sender als auch die übrigen Stationen sorgfältig, Luftaufnahmen von der Demonstration zu zeigen und kehrten bereits wenige Stunden nach Beginn der Aktion zu ihrem normalen Programm zurück, als sich die Straßen bereits wieder leerten. Schon in den späteren Abendstunden des Sonnabend fuhren wieder Autos auf der angeblich blockierten Straße.

Statt dessen häufen sich Proteste gegen die Führer der Opposition auch von deren bisherigen Anhängern. Der Chef der rechten Gewerkschaft CTV, Carlos Ortega, musste sich von Journalisten beschimpfen lassen, die in Folge des wochenlangen Verzichts der Oppositionsmedien auf Werbung ihre Stellen verloren haben.

Sogar die Opposition gibt mittlerweile zu, dass es der Regierung außerdem gelungen ist, die Erdölproduktion wieder zu einem Großteil zu normalisieren. Statt über die Absetzung des Präsidenten verhandeln Opposition und Regierung nunmehr über eine von Carter vorgeschlagene Straflosigkeit der Oppositionellen, die von der bolivarianischen Bewegung nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres scharf abgelehnt wird.

Unterdessen reiste Präsident Chávez am vergangenen Wochenende zum Weltsozialforum nach Porto Alegre und nahm dort am Solidaritätstreffen mit der Bolivarianischen Revolution teil. Den dort versammelten Menschen aus vielen Ländern erklärte er die Entwicklung des bolivarianischen Projektes seit 1989. Unter Beifall zitierte er Worte, die ihm Fidel Castro bei einem seiner Besuche auf Kuba sagte: „Ihr in Venezuela nennt den Kampf um Gerechtigkeit Bolivarianismus, wir in Kuba nennen in Sozialismus.“

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 31. Januar 2003