Nichtdesinformierer des Tages: Der Russe

Wie haben sie gegreint und gewarnt: Die Russen kommen! Sie wollen uns die Europawahl stehlen! In Moskau scharren die Trolle schon mit den Hufen, um viele böse Populisten nach Strasbourg und Brüssel zu schicken! Und nun? Nicht mal auf Putin ist mehr Verlass! Am Donnerstag erklärte die »EU-Arbeitsgruppe Strategische Kommunikation Ost« (East Stratcom) in Brüssel, es habe »keine großangelegten Manipulationskampagnen aus Russland und anderen Drittstaaten« gegeben.

Natürlich nicht, möchte man sagen. Hat wirklich jemand geglaubt, die Russen würden ihre Zeit damit verschwenden, sich um die Wahlen für ein Parlament zu kümmern, das keine Gesetze initiieren kann und auch sonst wenig Einfluss hat? Ach nein, das darf man ja nicht sagen oder schreiben. Sonst ist man selbst jemand, der »Desinformation im Sinne des Kreml« verbreitet, wie die Nachrichtenagentur AFP über den Bericht der EU-Antidesinformierer schreibt. Denn die haben in der Woche vor der Wahl »einen leichten Anstieg« an Falschinformationen registriert. In »dem Kreml nahestehenden Medien« sei behauptet worden, Lobbyisten kontrollierten in Wirklichkeit die EU, das Europäische Parlament sei machtlos und die EU sei undemokratisch und diene »nur den Interessen einer kleinen reichen Elite«. So what?

Das beobachtete »Niveau der Desinformation und der manipulierten Onlineaktivität« sei »normal« geblieben, meldet die East Stratcom. Da habe ich beim Spaziergang durch Berlin aber einen anderen Eindruck. »Wer den Planeten retten will, fängt mit diesem Kontinent an«, plakatieren etwa die Grünen – 20 Jahre, nachdem unter ihrer Regierungsverantwortung Jugoslawien kaputtgebombt wurde. Und die SPD wirbt »für ein soziales Europa«, schafft aber nicht einmal, zu Hause eine echte Kehrtwende hinzulegen. Aber das ist ja keine Desinformation, sondern Realpolitik.

Erschienen am 24. Mai 2019 in der Tageszeitung junge Welt