Ohne Tsipras

Alexis Tsipras spielt keine Rolle mehr. Der heutige griechische Ministerpräsident war bei der letzten Europawahl 2014 als Spitzenkandidat der Europäischen Linken (EL) aufs Schild gehoben worden und sollte Kommissionspräsident werden. Das ist nicht gelungen, doch ein Jahr später gewann seine Syriza-Partei die Parlamentswahlen in Griechenland, und Tsipras wurde Ministerpräsident seines Landes. Ein Teil der Linken in Europa feierte den Linksschwenk und hoffte auf den Beginn eines Trends.

Fünf Jahre später ist von der Euphorie wenig geblieben. Tsipras und seine Partei haben sich der von der Troika aus EU, IWF und Weltbank aufgezwungenen Kürzungspolitik unterworfen. Ihr Vorgehen habe sogar »die schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen«, erklärte der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), Dimitris Koutsoumpas, am vergangenen Sonnabend bei einer Wahlkampfkundgebung in Rom. »In einer Koalition mit einem Teil der äußersten Rechten hat sie eine brutale Politik gegen das Volk betrieben, eine Klassenpolitik, die die Industriellen und Reeder gestärkt, die Einkommen der Arbeiter und der Volksschichten weggewischt und das Streikrecht drastisch beschnitten hat.« Zudem habe sie zusammen mit den anderen bürgerlichen Parteien Griechenland zu einem »Militärlager der USA und der NATO« gemacht. Tsipras selbst ist kurz vor der Wahl in die Kritik geraten, nachdem im Netz Fotos aufgetaucht sind, die den Regierungschef in Badehose und mit Zigarre auf der Luxusyacht einer reichen Reederfamilie zeigt. Ein Geschenk für Steuergeschenke der Regierung an die einflussreichen Clans der Schiffsbesitzer?

In der »Europäischen Linken« ist Syriza trotzdem noch. Ein Vorstoß des französischen Parti de Gauche im vergangenen Jahr, die griechische Regierungspartei auszuschließen, fand keine Mehrheit. Daraufhin verließen die Franzosen das Bündnis, ebenso wie zuvor schon die Ungarische Arbeiterpartei, die belgische Kommunistische Partei und die DKP. Andere hatten sich der EL nie angeschlossen, sondern gehören der 2013 auf Initiative der KKE gegründeten »Initiative kommunistischer und Arbeiterparteien« an. Abgesehen von der griechischen Partei handelt es sich bei fast allen ihrer Mitgliedsorganisationen um kleine und Kleinstgruppen, oft um Abspaltungen von anderen kommunistischen Parteien.

So führt die »Initiative« für Italien die Partito Comunista (PC) als Mitglied auf, eine der vielen Organisationen des Landes, die sich auf die frühere große Italienische KP beziehen. Im Unterschied zu konkurrierenden Gruppen ist es der PC gelungen, bei der EU-Wahl anzutreten, obwohl Listen ohne parlamentarische Präsenz im Normalfall 145.000 Unterschriften aus allen Regionen des Landes für eine Kandidatur einreichen müssen. Dabei half ihr eine besondere Regelung im italienischen Wahlrecht: Eine Gruppierung darf antreten, wenn sie von einer im Europaparlament vertretenen Partei unterstützt wird. Da sprangen die griechischen Genossen ein. Auf dem Wahlzettel in Italien erscheinen deshalb neben dem Logo der PC das Symbol der KKE und das Signet der »Initiative«. Das sei die »Demonstration eines wirklichen Internationalismus«, bedankte sich das Politbüro der italienischen bei der griechischen Partei.

Eine reale Chance, in das EU-Parlament einzuziehen, hat die PC allerdings nicht. Doch auch dem Linksbündnis »La Sinistra«, an dem sich unter anderem die Rifondazione Comunista beteiligt und das bislang mit drei Sitzen im Europaparlament vertreten war, droht das Scheitern. In den letzten Umfragen liegt es bei rund 2,6 Prozent – zu wenig für die Vier-Prozent-Sperrklausel.

Geht es nach der Prognose des Portals »European Elections Stats«, dürfte die Linksfraktion GUE-NGL (Vereinte Europäische Linke – Nordische Grüne Linke) – der auch die Parteien der Europäischen Linken (EL) angehören – trotzdem ihre bisherige Stärke von 52 Mandaten knapp halten können, unter anderem durch prognostizierte neun Abgeordnete von La France insoumise aus Frankreich, acht von der spanischen Unidas Podemos, sieben der deutschen Partei Die Linke und sechs von Syriza aus Griechenland.

Auf eine Stärkung durch die von Yanis Varoufakis geführte Bewegung »Europäischer Frühling« – in der Bundesrepublik durch »Demokratie in Europa – DiEM 25« vertreten – kann die Linksfraktion offenbar nicht hoffen. Bereits im Januar lehnte der frühere griechische Finanzminister im Interview mit dem Portal Euractiv einen Anschluss an die GUE-NGL ab: »Es gibt keine echte europäische Linke mehr. Es gibt Menschen wie Gregor Gysi; dann gibt es Alexis Tsipras, der seinem Volk die lächerlichste Sparpolitik aufzwingt; oder dann gibt es Podemos in Spanien, die überhaupt keine europapolitische Linie hat.« Er würde es bevorzugen, fraktionslos zu bleiben.

Erschienen am 23. Mai 2019 in der Tageszeitung junge Welt