Zündeln am Pulverfaß

Friedensnobelpreisträger Barack Obama geht mit der Drohung einer offenen Militärintervention in Syrien in die heiße Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfes. Bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus, bei der Obama am Montag (Ortszeit) unangekündigt auftauchte, warnte er »das Assad-Regime, aber auch andere Parteien« in Syrien, daß eine »rote Linie« überschritten sei, »wenn wir sehen, daß ein ganzes Bündel chemischer Waffen transportiert oder eingesetzt wird«. Bislang habe er keinen militärischen Einsatz angeordnet, »aber das würde meine Einschätzung ändern«.

Als Obamas Echo gerierte sich am Dienstag Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Ein Chemiewaffeneinsatz durch Damaskus wäre »eine verheerende Grenzüberschreitung«, erklärte er in Berlin: »Ich fordere alle Kräfte in Syrien und insbesondere das Assad-Regime auf, hier nicht mit dem Feuer zu spielen.«

Souveräner zeigte man sich in Rußland. Dort vermutet man, daß Obamas Drohungen vor allem dazu dienen sollen, den oppositionellen Republikanern vor deren am Montag beginnenden Nominierungsparteitag Wind aus den Segeln zu nehmen. Wladimir Sotnikow vom Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau geht davon aus, daß es sich die US-Administration nicht leisten könne, vor der Wahl am 6. November in einen akuten Konflikt um Syrien hineingezogen zu werden. Allerdings bestehe die Gefahr einer Intervention von Drittländern, sagte er mit Blick auf die Türkei. Das Land sei NATO-Mitglied, und ein Krieg zwischen Damaskus und Ankara würde alle anderen Mitglieder des Militärbündnisses gemäß Artikel fünf des Nordatlantikpakts zum Beistand verpflichten.

Unterdessen attackierte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland den designierten neuen UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Lakhdar Brahimi. Dieser hatte sich am Tag zuvor gegenüber dem französischen Nachrichtensender France 24 von Äußerungen seines Vorgängers Kofi Annan distanziert, der offen einen Rücktritt des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad gefordert hatte. »Es ist für mich zu früh, so etwas zu sagen«, erklärte der algerische Diplomat. Er habe Assad noch nicht getroffen, und es sei sein Grundprinzip, »niemals das Gespräch zu verweigern«. Nun will ihn Washington offenbar wieder auf Kurs bringen. »Wir glauben nicht, daß es in Syrien Frieden geben wird, bis Assad abtritt und das Blutvergießen endet. Diese Sichtweise werden wir dem Sondergesandten Brahimi gegenüber sehr klar machen«, drohte Nuland. Man werde »wenn nötig außerhalb der UN« die eigene Linie weiterverfolgen«.

Das sei ein »neuer Schlag gegen die Autorität der UNO«, warnte im staatlichen Sender Stimme Rußlands Alexej Podzerob vom Instituts für Orientkunde der Russischen Akademie der Wissenschaften. Er erinnerte an die US-Intervention im Irak 2003. »Das geschah ebenfalls unter Umgehung des Sicherheitsrates, und zwar unter dem erfundenen Vorwand, daß Saddam Hussein über B- und C-Waffen verfügen sollte.«

Damaskus hatte am 23. Juli erklärt, chemische und biologische Waffen würden niemals im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Krise oder mit Entwicklungen im Land selbst eingesetzt werden.

Erschienen am 22. August 2012 in der Tageszeitung junge Welt