»Venezuelas Botschaft könnte Modell werden«

Die Vertretung der Bolivarischen Republik in Berlin hat als erste einen Betriebsrat. Ein Gespräch mit Katja Boll, Gewerkschaftssekretärin von ver.di für den Fachbereich Bund & Läner und unter anderem zuständig für die diplomatischen Vertretungen in Berlin

Am vergangenen Freitag ist in der Botschaft Venezuelas ein Betriebsrat gewählt worden. Was ist das Besondere daran?

Die Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuelas ist die erste diplomatische Vertretung in Deutschland, in der sich die Beschäftigten zusammengefunden haben, um eine Ver.di-Betriebsgruppe zu gründen und einen Betriebsrat zu wählen. Für den Bereich der Botschaften ist das einmalig, in anderen Vertretungen hat es das bislang noch nicht gegeben.

Ein Betriebsrat hat die Aufgabe, die Interessen der Beschäftigten in einem Unternehmen zu vertreten. Eine Botschaft ist so etwas wie exterritoriales Gebiet, die lokalen Angestellten werden jedoch nach deutschem Arbeitsrecht beschäftigt. Wird das nicht kompliziert?

Es ist für uns eine Herausforderung. Ganz klar ist, daß die lokalen Angestellten in einer ausländischen Botschaft dem deutschen Arbeitsrecht unterliegen, und wir gehen davon aus, daß gleiches auch für das Kollektivrecht gilt. Als ver.di werden wir gemeinsam mit dem Betriebsrat nach deutschem Recht vorgehen und handeln.

Warum ausgerechnet Venezuela?

Die Entscheidung, daß die erste Botschaft mit einem Betriebsrat die von Venezuela ist, stammt nicht von ver.di, sondern von den Beschäftigten selbst. Vermutlich ist das ein Ergebnis der Prozesse, die in dem Land selbst ablaufen. Arbeiterrechte, Mitbestimmung der Beschäftigten, soziale Gerechtigkeit spielen in Venezuela ja eine ganz besondere Rolle, und die Kolleginnen und Kollegen, die in der Vertretung dieses Landes und dieses Prozesses in Deutschland arbeiten, haben sich offensichtlich davon inspirieren lassen. Sie haben den Geist der Bolivarischen Revolution, wie das in Venezuela genannt wird, aufgegriffen und auf die Verhältnisse der Botschaft übertragen.

Deshalb werden wir uns gemeinsam mit dem Betriebsrat anschauen, wie die arbeitsrechtlichen Bestimmungen in Venezuela sind. Die Kollegen unterliegen zwar den deutschen Gesetzen, aber die Bestimmungen etwa der venezolanischen Verfassung oder des gerade verabschiedeten Gesetzes für die Arbeiterinnen und Arbeiter (LOTTT), die sehr weitreichende Rechte und Möglichkeiten für die Beschäftigten festschreiben, können hier sicherlich auch interessante Anregungen liefern. Wir hoffen deshalb, daß wir gemeinsam mit dem Betriebsrat mit dem neuen Botschafter die Arbeitsverhältnisse in der Vertretung gestalten können.

Ist eine Betriebsratsgründung zu diesem Zeitpunkt nicht Wahlkampf für Hugo Chávez?

Ich habe mich als Gewerkschaftssekretärin mit den Anliegen unserer Mitglieder zu befassen, und in dieser Botschaft gehören inzwischen von 18 Angestellten 15 ver.di an – wir haben dort also ein Organisationsgrad von 84 Prozent. Die Idee, einen Betriebsrat zu gründen, gab es in dieser Botschaft schon länger, und ich habe auf der ersten Wahlversammlung auch erklärt, welche Aufgabe ein Betriebsrat nach dem deutschen Arbeitsrecht hat. Daß das gerade jetzt passiert, hat bestimmt nichts mit der Wahl in Venezuela zu tun.

Es gibt in Berlin weit über 100 Botschaften, und in anderen Städten kommen noch die konsularischen Vertretungen hinzu. Könnte die Gründung eines Betriebsrates in der venezolanischen Botschaft zu einem Modell für andere werden?

Ich denke schon und bin ganz optimistisch, daß die lokalen Beschäftigten in anderen Botschaften, wenn sie von diesem Schritt erfahren, die Kraft gewinnen, das mit uns als ihrer Gewerkschaft auch für sich umzusetzen. Ich würde mich außerdem freuen, wenn auf diese Weise ein Netzwerk unserer Mitglieder in den diversen Botschaften und Konsulaten entstünde.

In den meisten Vertretungen gibt es jedoch nur einen oder zwei Angestellte, zu wenig also für einen Betriebsrat. Können die sich trotzdem an Sie wenden?

Natürlich stehen wir auch für diese Beschäftigten zur Verfügung, mit Kollegen aus anderen Botschaften arbeiten wir bereits zusammen. Natürlich sind nicht alle Botschaften gleich, aber die Idee eines Netzwerks, eines Meinungs- und Erfahrungsaustausches, könnte gerade für diese vereinzelten Kollegen spannend werden. Dafür reicht gegebenenfalls einfach eine E-Mail an mich: katja.boll@verdi.de

Erschienen am 21. August 2012 in der Tageszeitung junge Welt