Uribe macht weiter

Álvaro Uribe, der frühere kolumbianische Staatschef, ist zum möglicherweise wichtigsten Gegner seines Amtsnachfolgers Juan Manuel Santos geworden. Obwohl dieser als Verteidigungsminister unter Uribe dessen rechte Hand gewesen war und beide bis heute derselben Partei – »Partido de la U« – angehören, greift Uribe mittlerweile offen die Regierungspolitik an und schürt zugleich Konflikte mit den Nachbarstaaten. Kurz vor Weihnachten etwa verbreitete er im Internetdienst Twitter: »Solidarität mit dem demokratischen Venezuela. Ich bin kein Berater, ich bin Kämpfer für die Freiheit, die von der Diktatur unterdrückt wird.«

Zuvor hatte Uribe in Bogotá Leopoldo López empfangen, einen der bekanntesten Politiker der venezolanischen Opposition und möglichen Herausforderer von Präsident Hugo Chávez bei den Wahlen am 7. Oktober. Schon im November hatte er sich in der kolumbianischen Hauptstadt mit einer anderen Gruppe von Oppositionellen aus dem Nachbarland getroffen, darunter der Oberbürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, und der Chef des Fernsehsenders Globovisión, Antonio Ravel. Dabei forderte er, die venezolanischen Regierungsgegner müßten gegen das kurz darauf stattfindende Treffen zwischen den beiden amtierenden Staatschefs auftreten: »Warum veröffentlichen Sie in den Tagen vor dem Besuch nicht ein Manifest mit der Aussage: Präsident Santos, wir sind enttäuscht, daß sie mehr Wert auf 800 Millionen Dollar oder 400 Millionen Dollar legen als auf die demokratischen Werte.«

Santos war es nach seinem Amtsantritt im August 2010 gemeinsam mit seinem venezolanischen Amtskollegen Chávez gelungen, die Beziehungen zwischen den Nachbarländern zu normalisieren, während unter Uribe beide Staaten mehrfach am Rande eines Krieges gegeneinander gestanden hatten. Hintergrund dafür war die angebliche Unterstützung der kolumbianischen FARC-Guerilla durch Venezuela und Ecuador. Während Santos etwa gegenüber Journalisten mehrfach erklärt hat, daß es keine Lager der Guerilla in Venezuela gibt, beharrt Uribe auf dieser Legende, die er selbst kurz vor dem Ende seiner Amtszeit mit der pathetischen Präsentation angeblicher Beweise auf die Spitze getrieben hatte. Und auch Ecuador bezichtigt er weiterhin der Hilfe für die Aufständischen. Mitte Dezember forderte dessen Präsident Rafael Correa daraufhin Uribe heraus, sich gemeinsam einem Test zu stellen. »Ich unterziehe mich allen Lügendetektoren um zu sehen, ob ich irgendwas mit den FARC zu tun habe, wenn Álvaro Uribe dasselbe tut, um zu beweisen, daß er nichts mit den Paramilitärs zu tun hat«, erklärte Correa – pikanterweise zu einem Zeitpunkt, als direkt neben ihm Santos stand, der sich zu einem offiziellen Besuch im Nachbarland aufgehalten hatte.

Die Einmischung Uribes ging sogar der venezolanischen Opposition zu weit. Ramón Guillermo Aveledo, Exekutivsekretär des Bündnisses der Regierungsgegner »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD), bat den Expräsidenten öffentlich, »uns nicht zu benutzen, um indirekt Opposition gegen die gegenwärtige kolumbianische Administration zu machen«. Trotzdem ließ sich Leopoldo López von Uribe eine Audienz gewähren und lobte dessen Regierungspolitik: »Wenn wir ein Land als Beispiel für Erfolge im Bereich der Sicherheit nehmen können, dann ist dies Kolumbien mit Expräsident Uribe«.

Völlig anderes bewertet etwa Amnesty International die Bilanz Uribes. In ihrem Jahresbericht 2011 wirft die Organisation dessen Regierung etwa eine »feindselige Haltung gegenüber Menschenrechtsverteidigern« vor. Auch 2010, in den letzten Amtsmonaten Uribes, seien vor allem von der Armee außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt worden, »wenn auch in geringerer Zahl als in den Vorjahren«. Die von Amnesty in diesem Bericht vorsichtig geäußerte Hoffnung auf eine Besserung der Lage unter Santos hat sich jedoch zerschlagen. Eine internationalen Delegation, die Anfang Dezember Kolumbien bereiste, hat der Nachrichtenagentur IPS zufolge eher eine Verschärfung der Menschenrechtsverletzungen festgestellt. »In Kolum­bien findet ein Völkermord statt«, zitierte die Agentur Mirta Acuña de Baravalle, ein Gründungsmitglied der argentinischen Menschenrechtsorganisation der Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo. Die Zahl der Morde an Umweltschützern und Menschen, die für die Rückgabe ihrer von Paramilitärs besetzten Ländereien kämpften, sei gestiegen. Auch mehrten sich neue Fälle von »Verschwindenlassen«, stellte die Delegation fest.

Erschienen am 6. Januar 2012 in der Tageszeitung junge Welt