Lügen aus Johannesburg

Als Radiogeräte noch serienmäßig über ein Kurzwellenteil verfügten, erschien in der Programmzeitschrift Hörzu regelmäßig eine Kolumne mit Hinweisen auf empfangbare Sender aus fernen Ländern. Ihr Autor, der 1993 verstorbene Fachjournalist Hermann Jäger, machte darin keinen Hehl aus seiner Vorliebe für Radio RSA, das sich selbst als »Stimme Südafrikas« bezeichnete. Während in dem Land am Kap der Widerstand gegen die Apartheid immer stärker wurde und sich immer mehr Menschen weltweit mit dem Freiheitskampf solidarisierten, fand sich in dem Springer-Blatt kein kritisches Wort über den Sender aus Johannesburg – dafür um so mehr Hinweise auf die Frequenzen, auf denen man Radio RSA am besten hören konnte.

Der Kurzwellendienst war 1965 gegründet worden, um der angeblich falschen Darstellung der südafrikanischen Regierungspolitik im Ausland die eigene Sichtweise entgegenzustellen. Zur Verfügung standen Radio RSA dafür bis zu 500 Kilowatt starke Kurzwellensender, die in Europa problemlos zu empfangen waren. In zwölf Sprachen, unter anderem in Deutsch, präsentierte sich Südafrika so als »Bollwerk der westlichen Zivilisation« gegen Kommunisten und schwarze Nationalisten. Die Befreiungsbewegung ANC (­African National Congress) wurde als Terrororganisation verleumdet, man rühmte sich eigener Wohltaten für Südafrika und das besetzte Namibia, das nur als »Südwestafrika« bezeichnet wurde.

In Europa stießen solche Lügen auf offene Ohren. Stolz verlasen die Redakteure des deutschen Programms in Hörerpostsendungen die unter anderem aus der Bundesrepublik zahlreich eintreffenden Briefe, in denen die Politik des Apartheidregimes gelobt wurde. Die Hörer pflegten schon damals eifrig ihr eigenes Weltbild: War der Empfang mal schlecht – was auf Kurzwelle unvermeidlich vorkommt –, mussten natürlich die »Kommunisten« schuld gewesen sein, die »mal wieder einen Störsenderwettbewerb« gegen Radio RSA gefahren hätten. Das mussten sogar die Redakteure dementieren, denn gezieltes »Jamming« der Sendungen aus Johannesburg gab es nicht. Es blieb bei einzelnen Versuchen, innerhalb der Szene von Kurzwellenhörern zu einem Boykott der »Stimme der Apartheid« aufzurufen. Sie blieben weitgehend erfolglos, im Unterschied zu den Solidaritätskampagnen für Radio Freedom, den Sender des ANC (siehe jW vom 10. Oktober 2019).

Das Ende des Rassistensenders kam mit dem Ende der Apartheid. Die letzte deutschsprachige Sendung ging am 30. April 1990 über den Äther, am 30. September 1992 wurde Radio RSA endgültig geschlossen. Als Nachfolger nahm einen Tag später Channel Africa als Auslandsprogramm der Südafrikanischen Rundfunkgesellschaft SABC den Betrieb auf. Heute sendet man auf Kurzwelle, via Satellit und im Internet in sechs Sprachen: Chichewa, Silozi, Kisuaheli, Englisch, Französisch und Portugiesisch.

Erschienen am 3. September 2020 in der Tageszeitung junge Welt