Endspurt mit Fallstricken

In Havanna sind die Friedensverhandlungen zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung in die entscheidende Phase eingetreten. Am Dienstag unterzeichneten die Delegationen der beiden Seiten in der kubanischen Hauptstadt das vierte von fünf angestrebten Teilabkommen, durch die ein Ende des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in dem südamerikanischen Land erreicht werden soll. Hatten zunächst die Agrarpolitik, die Beteiligung der kolumbianischen Opposition am politischen Leben nach einem Ende des Krieges sowie die Bekämpfung des Drogenanbaus im Mittelpunkt der Diskussionen gestanden, gilt die jüngste Vereinbarung dem Umgang mit den Opfern des Konflikts, deren Entschädigung und der Aufarbeitung begangener Verbrechen.

Konkretisiert wurde in der am Dienstag vorgestellten Vereinbarung die Bildung einer Sonderjustiz mit internationaler Unterstützung, die schon vor einigen Monaten festgeschrieben worden war. »Dies ist das erste in Kolumbien erreichte Friedensabkommen, das nicht mit einer Generalamnestie für alle am Konflikt Beteiligten abgeschlossen wird, sondern mit der Schaffung einer Sondergerichtsbarkeit für den Frieden mit der Befugnis, alle Rechteverletzungen und vor allem deren Verantwortliche zu ermitteln«, lobten die Sprecher der Guerilla die Vereinbarung in einer »Botschaft an das kolumbianische Volk«. Allerdings ist absehbar, dass die konkrete Umsetzung kompliziert werden wird. Während die Regierung in Bogotá kolportiert, dass sich die Aufständischen »zum ersten Mal der Justiz des Staates unterwerfen«, betont die Guerilla, dass sich alle Beteiligten der Strafverfolgung unterwerfen müssen: »Kämpfer und Nichtkämpfer, Agenten des Staates, Guerilleros, Politiker, den Paramilitarismus finanzierende, fördernde und organisierende Zivilisten und bislang Straflosigkeit genießende Paramilitärs.« Denn bisher hatte die kolumbianische Justiz einseitig mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer der Guerilla verfolgt, kaum jedoch die vom Militär oder rechten Todesschwadronen verübten Verbrechen geahndet. Zudem wurden andere Akteure wie die zweitgrößte Guerillaorganisation des Landes, die Nationale Befreiungsarmee (ELN), noch gar nicht in den Friedensprozess einbezogen.

Die Sonderjustiz wird auch vor der Aufgabe stehen, den Skandal um die »falschen Beweise« aufzuarbeiten. 2008 war aufgedeckt worden, dass Soldaten der kolumbianischen Armee in mehreren Fällen unschuldige Zivilisten entführt und ermordet hatten, um diese dann als »im Kampf getötete Rebellen« zu präsentieren. Politisch verantwortlich gemacht wird dafür der damalige Staatschef Álvaro Uribe Vélez, der heute ein wütender Gegner der Friedensgespräche mit den FARC ist. Der Aufklärung harren auch unzählige Morde an Gewerkschaftern und anderen Aktivisten der legalen Opposition in Kolumbien. Wie der Gewerkschaftsbund CUT mitteilte, wurde erst am Dienstag in Cartagena de Indias der Schatzmeister der Bauarbeitergewerkschaft SUTIMAC von unbekannten Tätern ermordet.

Bis zum 23. März wollen die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens und die Regierung ihre Verhandlungen mit einem Gesamtabkommen abgeschlossen haben. Anschließend soll die Guerilla innerhalb von zwei Monaten die Waffen niederlegen. Schon jetzt halten die FARC eine einseitige Feuerpause ein und haben offiziell den Kauf neuer Gewehre gestoppt. Doch noch drohen den seit 2012 laufenden Verhandlungen zahlreiche Fallstricke. So ist die Form der formellen Ratifizierung des Vertrags noch umstritten. Während Bogotá das Friedensabkommen der Bevölkerung in einem Referendum vorlegen will, fordert die Guerilla die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Sie weist darauf hin, dass die FARC nicht die Ursache für den Krieg seien, sondern ihr Entstehen eine Folge von Ungerechtigkeit und Elend: »Wir dürfen nicht vergessen, dass die Wurzel des Konflikts älter ist als das Gründungsdatum der FARC. Unsere Gründung war eine Konsequenz aus der Gewalt des herrschenden Machtblocks«, heißt es in der Botschaft der Guerilla.

Erschienen am 18. Dezember 2015 in der Tageszeitung junge Welt