Politisches Erdbeben in Spanien

Die Spanier haben bei der Parlamentswahl am Sonntag die beiden Altparteien abgestraft, die sich seit Jahrzehnten an der Regierung abgewechselt haben. Nach Auszählung von mehr als 90 Prozent der Stimmen stürzte die bislang mit absoluter Mehrheit regierende rechtskonservative Volkspartei (PP) von 44,6 Prozent bei den Wahlen 2011 auf nur noch 28,7 Prozent ab. Die sozialdemokratische PSOE musste nach ihrem schon miserablen Ergebnis vor vier Jahren, als sie auf 28,8 Prozent kam, noch einmal Verluste hinnehmen und kommt auf 22,1 Prozent. Damit liegt sie nur noch knapp vor der Linkspartei Podemos, die aus dem Stand 20,6 Prozent der Stimmen erreichte. Hinter den von vielen Medien hochgeschraubten Erwartungen zurück blieben die liberalen »Bürger« (Ciudadanos) mit 13,9 Prozent. Die Vereinigte Linke, die diesmal unter dem Namen Volkseinheit (UP, Unidad Popular) antrat, kommt auf 3,7 Prozent und kann mit zumindest zwei Abgeordneten ihre Präsenz im Kongress verteidigen.

Bei den Ergebnissen von Podemos und UP ist allerdings zu berücksichtigen, dass beide Parteien in einigen Regionen gemeinsam antraten und die politische Landschaft aufmischten. In Katalonien wurde die Bündnisliste En Comú Podem (Gemeinsam können wir) mit 24,5 Prozent stärkste Kraft. Ihre zwölf Abgeordneten werden in den Hochrechnungen Podemos zugeschlagen, ebenso wie die neun Parlamentarier von Compromís aus Valencia sowie die sechs Vertreter von En Marea in Galicien.

Stark schnitt auch die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) ab, die in der autonomen Region auf 16,0 Prozent kam und neun Abgeordnete nach Madrid entsenden wird. Die Partei des katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas, die als Liste »Demokratie und Freiheit» angetreten war, kam dagegen mit 15,2 Prozent nur auf den vierten Platz, hinter den Sozialdemokraten mit 15,9 Prozent.

Der spanische Kongress ist damit so zersplittert wie noch nie, eine klare Mehrheit zeichnet sich nicht ab. Eine »große Koalition« aus PP und PSOE galt zuletzt als unwahrscheinlich, weil sich die beiden Spitzenkandidaten Mariano Rajoy und Pedro Sánchez im Wahlkampf auch persönlich scharf attackiert hatten. Zudem müssten die Sozialdemokraten befürchten, dass ein Zusammengehen mit der PP ihren Niedergang weiter beschleunigen würde. Ein Linksbündnis aus PSOE, Podemos und UP wäre nur mit Unterstützung regionaler Parteien wie der ERC oder der baskischen EH Bildu denkbar, die statt bisher sieben nur noch zwei Abgeordnete stellt. Verhandlungen darüber dürften kompliziert werden. Schwer vorstellbar wäre auch eine rechnerisch mögliche Allianz aus PSOE, Podemos und Ciudadanos.

Erschienen am 21. Dezember 2015 in der Tageszeitung junge Welt