Der erste Versuch

In Madrid hat am Dienstag die Parlamentsdebatte über einen vom spanischen Linksbündnis Unidos Podemos (Vereint können wir) eingereichten Misstrauensantrag gegen Ministerpräsident Mariano Rajoy begonnen. Die Antragsteller fordern, das von der postfranquistischen Volkspartei (PP) gestellte Kabinett abzusetzen und Podemos-Chef Pablo Iglesias zum neuen Regierungschef zu wählen. Begründet wird das damit, dass die PP »die Institutionen entführt« und sie in den Dienst der eigenen Partei gestellt habe, um die öffentlichen Kassen auszuplündern.

Irene Montero, Fraktionschefin von Unidos Podemos, warf der PP in ihrer Rede zur Antragsbegründung vor, sich als Parasiten an den Institutionen des Landes bedient zu haben, »zuerst, um sich zu bereichern, und dann, um sich zu schützen«. Die PP begreife Spanien als ihr Eigentum, »deshalb haben Sie das Geld in die Schweiz, nach Andorra oder Panama gebracht«, erklärte sie. Sie berief sich auf die großen Protestaktionen der vergangenen Monate und Jahre: »Es gibt ein Spanien, das sich auf den Weg gemacht hat und verlangt, vorangehen zu können.« Die Korruption sei kein Naturereignis, richtete sie die Forderung an die Abgeordneten der PP: »Bitten Sie um Entschuldigung und geben Sie das Geraubte zurück. Dieses Geld bedeutet Krankenhäuser und Renten!«

Parlamentspräsidentin Ana Pastor unterbrach mehrfach die Rede Monteros, um die Abgeordneten zur Ruhe aufzufordern. »Man kann die Rednerin nicht anhören«, formulierte die PP-Politikerin doppeldeutig. Rajoy und andere Kabinettsmitglieder zeigten sich demonstrativ uninteressiert an den Vorwürfen, lasen in Büchern oder stellten sich schlafend. Andere attackierten zeitgleich über Twitter oder in den Massenmedien die Oppositionsparteien. So warf der stellvertretende PP-Sprecher Pablo Casado im Fernsehsender Antena 3 den Linken vor, sich von »südamerikanischen Diktaturen illegal finanzieren« zu lassen.

Wann über den Antrag abgestimmt wird, war am Dienstag noch nicht absehbar. Gerechnet wurde mit einem Votum möglicherweise noch am heutigen Mittwoch. Reale Chancen auf eine Mehrheit hat der Vorstoß von Unidos Podemos allerdings nicht, denn die sozialdemokratische PSOE, die Rajoy schon im vergangenen Herbst durch Stimmenthaltung zur Mehrheit verholfen hatte, will ihn auch diesmal im Amt halten. PSOE-Fraktionschef José Luís Ábalos begründete das am Montag damit, dass man zwar nicht die Regierung unterstütze, jedoch auch nicht »für diese Alternative« votieren könne. Er unterschlug allerdings, dass die Linken in den vergangenen Wochen angeboten hatten, den eigenen Antrag zurückzuziehen, ein Misstrauensvotum der Sozialdemokraten zu unterstützen und so einen PSOE-Kandidaten zum Ministerpräsidenten zu wählen. Montero kommentierte das absehbare Scheitern ihres Antrags am Dienstag deshalb mit den Worten: »Auch wenn man eine Sache nicht beim ersten Versuch erreicht, erreicht man sie, weil man es ein erstes Mal versucht hat.«

Pablo Iglesias selbst rief in seiner Rede die Sozialdemokraten noch einmal zu einer Übereinkunft auf, um die PP »besser früher als später aus der Regierung zu entfernen«. Die Linken hätten im Umgang mit der PSOE Fehler gemacht, räumte er ein, »aber wir stehlen nicht – und wir geben den Korrupten keinen Raum zum Atmen«. Er erinnerte PSOE-Chef Pedro Sánchez an die »demokratische Lektion«, die dessen Parteibasis erteilt habe. Sánchez hatte im Oktober 2016 den Vorsitz der PSOE und sein Abgeordnetenmandat aufgegeben, als eine Mehrheit der Parteiführung entschied, der PP im Parlament durch Stimmenthaltung die Regierungsbildung zu ermöglichen. Im Mai wurde er in einer Urwahl der Parteibasis mit absoluter Mehrheit wieder zum Vorsitzenden gewählt – offenkundig in der Hoffnung, dass die PSOE mit ihm wieder auf einen linken Kurs einschwenken würde. Mit der Weigerung, die heimliche Allianz mit der PP aufzugeben, hat Sánchez diese Hoffnungen zunächst enttäuscht.

Erschienen am 14. Juni 2017 in der Tageszeitung junge Welt