Verlorene Freunde

In Venezuela hat der Generalsekretär des Nationalen Verteidigungsrates (Codena), Armeegeneral Alexis López Ramírez, nach eigenen Angaben seinen Rücktritt erklärt. Der Offizier begründete seinen Schritt am Dienstag damit, dass er »mit dem für die Einberufung und Wahl einer Nationalen Verfassunggebenden Versammlung genutzten Verfahren« nicht einverstanden sei. Zugleich betonte er, dass seine Entscheidung keine praktischen Auswirkungen auf die Streitkräfte habe, da er bereits aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sei. López Ramírez bekräftigte zudem in einem von zahlreichen Medien veröffentlichten Schreiben seine »Wertschätzung, Dankbarkeit und Freundschaft« gegenüber Nicolás Maduro. Venezuelas Präsident habe ihm nach seinem Rücktritt die Übernahme anderer Ämter angeboten, er wolle sich jedoch »aufgrund meiner bäuerlichen Herkunft« künftig der Landwirtschaft widmen.

Wie der private Fernsehsender Globovisión am Dienstag berichtete, ist die Darstellung des Generals über seinen Rücktritt allerdings falsch. López Ramírez sei bereits am vergangenen Freitag entlassen worden, berichtete der Kanal. Tatsächlich enthält schon die am 9. Juni erschienene Ausgabe der »Gaceta Oficial«, des Amtsblatts der venezolanischen Regierung, das Dekret über die Ernennung von Divisionsgeneral Pascualino Angiolillo Fernández zum neuen Codena-Generalsekretär.

Der Codena ist das oberste Beratungsgremium der venezolanischen Regierung in Fragen der Sicherheit und der Verteidigung. Im März hatte Maduro den Rat einberufen, um einen Konflikt zwischen den verschiedenen Staatsgewalten auszuräumen. Der Oberste Gerichtshof (TSJ) hatte damals beschlossen, vorübergehend selbst Kompetenzen des Parlaments zu übernehmen, da dessen rechte Mehrheit sich nach wie vor weigert, Urteile des TSJ zu befolgen. Das war als »Entmachtung« der Nationalversammlung interpretiert worden, obwohl deren Beschlüsse ohnehin vom TSJ als »null und nichtig« gewertet werden, solange drei Abgeordnete an den Sitzungen teilnehmen, deren Wahl angefochten wurde. Angesichts der Kritik beschloss der Codena schließlich, die Richter zur Rücknahme der Entscheidung aufzufordern, was diese auch befolgten.

Insbesondere Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz hatte sich im März als Kritikerin der Gerichtsentscheidung hervorgetan und den Richtern eine Verletzung der Verfassung vorgeworfen. Die Juristin war den Regierungsgegnern lange als »Chavista«, als Anhängerin des 2013 verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez, verhasst. In den vergangenen Wochen hat sie sich allerdings immer mehr als Gegnerin Maduros positioniert. Am vorigen Donnerstag versuchte sie mit einer Klage vor dem TSJ, die für den 30. Juli vorgesehene Wahl der Verfassunggebenden Versammlung (ANC) zu verhindern. Die Richter wiesen die Klage jedoch bereits am Montag aus formalen Gründen ab. Möglicherweise als Retourkutsche beantragte Ortega Díaz daraufhin am Dienstag, sechs Richter des TSJ ihrer Ämter zu entheben, weil sie sich der »Verschwörung gegen die republikanische Staatsform« und der »Missachtung des Rechtsstaates« schuldig gemacht hätten. Dabei geht es inhaltlich um die Auseinandersetzung im März.

Die Linkspartei PPT (Heimatland für alle) warf Ortega Díaz vor, eine »juristische Guarimba« zu errichten. Als »Guarimbas« werden in Venezuela die gewaltsamen Straßensperren militanter Gruppen bezeichnet. PPT-Generalsekretärin Ilenia Medina kritisierte, dass sich Ortega Díaz nur noch um angebliche Rechtsverletzungen der Regierung kümmere, die Gewalttaten der rechten Opposition jedoch straffrei lassen wolle.

Medina hob die große Beteiligung der Bevölkerung an den Vorbereitungen der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung hervor. Der Nationale Wahlrat (CNE) hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, dass sich mehr als 55.000 Menschen um einen Sitz in der ANC bewerben wollten, um sich an der Ausarbeitung einer neuen Magna Charta zu beteiligen, in der unter anderem die sozialen Errungenschaften der vergangenen Jahren festgeschrieben werden sollen. Die Büros des CNE seien in den vergangenen Tagen »überfüllt mit Bürgern« gewesen, die sich als Kandidaten für die ANC einschreiben und die dafür notwendigen Unterschriften einreichen wollten, berichtete Medina. Sie bat darum, die am Montag ausgelaufene Einschreibungsfrist noch einmal zu verlängern, damit alle Bewerber ihre Unterlagen einreichen können.

Auch die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) forderte am Montag eine Verlängerung der Frist und kritisierte die »Improvisation«, von der die Wahlvorbereitungen geprägt seien. Politbüromitglied Douglas Gómez bemängelte, dass nicht alle Bewerber rechtzeitig ihre Unterlagen hätten einreichen können.

PPT und PCV sind neben der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) die stärksten Kräfte im chavistischen Lager. Regelmäßig äußern beide deutliche Kritik am Agieren der Exekutive, stehen zugleich jedoch für eine Fortsetzung der von Hugo Chávez initiierten »Bolivarischen Revolution«. Zusammen mit anderen Parteien, Basisorganisationen und Gewerkschaften gründeten sie Ende Mai eine »Volksfront gegen Faschismus und Imperialismus« (FPAA). Im Gründungsaufruf fordern sie, der Offensive der mit den USA und der EU verbündeten Rechten durch eine »Vertiefung der Revolution« sowie durch den »wirklichen Aufbau des Sozialismus auf wissenschaftlicher und konsequenter Grundlage« entgegenzutreten.

Erschienen am 15. Juni 2017 in der Tageszeitung junge Welt