Anklägerin des Tages: Luisa Ortega Díaz

Die internationalen Medien haben einen neuen Star, wenn es gegen Venezuela geht. Luisa Ortega Díaz gibt sich für jedes Schauermärchen her, das in die Welt posaunt werden soll. Dabei war die damalige Generalstaatsanwältin bis vor wenigen Monaten bei den Regierungsgegnern in Venezuela noch verhasst, weil sie als Anhängerin von Hugo Chávez und der Bolivarischen Revolution galt. Doch seit sie im März mit Präsident Nicolás Maduro brach und ihm vorwarf, die Verfassung zu verletzen und eine Diktatur zu errichten, wird sie als »kritische Chavistin« hofiert.

Am vergangenen Freitag setzte sie sich nach Kolumbien ab, nachdem gegen sie Korruptionsermittlungen eingeleitet worden waren. Ortega soll zusammen mit ihrem Gatten, dem Abgeordneten Germán Ferrer, an der Spitze eines Erpresserrings gestanden haben. Dieser habe Unternehmer zu Schutzgeldzahlungen gezwungen, im Gegenzug habe die Generalstaatsanwaltschaft Strafanzeigen nicht verfolgt, heißt es. Die Rede ist von acht Millionen US-Dollar bei Banken auf den Bahamas. Die venezolanische Regierung hat Ortega über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben.

Am Mittwoch (Ortszeit) traf die ehrenwerte Dame in Brasilien ein. Sie setzte dem dortigen Regime, das im vergangenen Jahr durch einen institutionellen Putsch an die Macht gekommen ist, allerdings nicht ihre Auffassungen von Demokratie auseinander. Vielmehr erklärte sie vor Medienvertretern, dass sie über Beweise verfüge, nach denen Maduro in den Korruptionsskandal um das brasilianische Bauunternehmen Odebrecht verwickelt sei.

Selbst wenn an den Vorwürfen irgendwas dran sein sollte: Wieso ist diese saubere Juristin und Verfechterin von Demokratie und Gesetzlichkeit dem nicht nachgegangen, bevor sie Anfang August vom Obersten Gerichtshof wegen der Korruptionsvorwürfe gegen sie suspendiert und dann von der verfassunggebenden Versammlung abgesetzt wurde? Und warum fällt das all den Nachrichtenagenturen und Fernsehsendern nicht auf, die ihre Anschuldigungen in alle Welt verbreiten?

Erschienen am 25. August 2017 in der Tageszeitung junge Welt