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Zwischen Hölle und Freiheit – Rundfunk im Zweiten Weltkrieg

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Für diese Dokumentation wurde Material aus folgenden Büchern, Zeitschriften und Dokumenten verwendet:

Conrad Pütter: Rundfunk gegen das „Dritte Reich“
Beiträge zur Geschichte des Rundfunks 3/77 und 4/77
Reimund Schnabel: Mißbrauchte Mikrofone
Der Spiegel 11/1970 und 14/1970
Carl Brinitzer: „Hier spricht London“
Sefton Delmer: Die Deutschen und ich
Archiv der Gegenwart 1.-3.9.1939; 1.1.1945; 2.4.1945; 1.5.1945; 8.5.1945
BBC London (Hrsg.): Zur Rolle des Deutschsprachigen Dienstes der BBC 1938-1945
BBC London (Hrsg.): Festschrift 50 Jahre BBC – Deutsches Programm Radio von unten 9/88
Rainer Pinkau: Geheimsender im Wortlaut
Freies Volk (KPD-Untergrundzeitung 1967)
die tat 8. 8. 1980
funk Spezial – Kurzwelle hören 1987/88

Kleine Begriffserklärung

Im Zweiten Weltkrieg sprach man von sogenannten „weißen“, „grauen“ und „schwarzen“ Sendern. Unter „weißen“ Sendern verstand man die Sender, die ihre Identi­tät nicht leugneten und sich in ihren Berichten an die Wahrheit hielten, also z.B. die BBC London und Radio Moskau.

Als „schwarze“ Stationen bezeichnete man die Sender, die bewußt Falschmeldungen an den Feind sendeten oder vorgaben, aus dem Feindesland selbst zu senden, obwohl sie z.B. über die Anlagen der BBC oder von Radio Moskau sendeten. In diese „schwarze“ Kategorie gehören z.B. Gustav Siegfried 1, der Soldatensender Calais oder der Sender 1212, die alle als angeblich deutsche Stationen geschickt plazierte Falschmeldungen sendeten.

Die „grauen“ Sender schließlich waren Stationen, die weder der „schwarzen“ noch der „weißen“ Kategorie zuzurechnen waren. Als „grau“ wurden Stationen bezeichnet, die zwar mehr oder weniger wahrheitsgetreue Meldungen brachten, ihren Standort und ihren Urheber aber falsch oder gar nicht angaben. Hierzu gehört z.B. der Deutsche Freiheitssender 29,8.

Frühe Freiheitssender gegen Hitler

Die Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1935. Ein Kommando der Gestapo ermordet in der Nähe der tschechischen Hauptstadt Prag den technischen Leiter des ersten Schwarzsenders des 2. Welt­krieges, Rudolf Formis.

Der Sender Schwarze Front gibt vor, von Berlin aus zu senden. Otto Strasser, ein Nazi der ersten Stunde, der, nachdem er sich mit Hitler überworfen hatte, die sog. „Schwarze Front“ gründete, hofft, mit dem Sender seinem Ziel, eine Einheitsfront aller Htler-Gegner und Emigranten zu schaffen, näher zu kommen. In flammenden Aufrufen richtet er heftige Angriffe gegen das NS-Regime, seine politischen Repräsentanten und besonders gegen Hitler selbst. Er fordert zu Widerstand in Form von Sabotage und Bildung von Widerstandsgruppen auf und erwidert täglich die Propaganda des Reichsrundfunks. Strasser versucht im Sender Schwarze Front, die NSDAP lächerlich zu machen, basierend auf seinen intimen Kenntnissen aus der Partei sowie der Personen Hitlers und Goebbels‘ aus der gemeinsamen „Kampfzeit“ vor 1930. Besonders dieser Teil der Sendungen soll die Wut Hitlers und seines Gefolges hervorgerufen haben. Schon bald nach dem Auf­tauchen des Senders interveniert das Auswärtige Amt bei der tschechischen Regierung und verlangt die sofortige Einstellung des Senders und die Bestrafung der Betreiber. Als dies und heftige Polemiken in der deutschen Presse nicht fruchten, läßt die Gestapo den Sender in der oben schon beschriebenen Weise zum Schweigen bringen.

„Hier spricht der Sender der Deutschen Freiheitspartei!“

Mit diesen Worten meldet sich zwischen Januar und April 1938 auf Kurzwelle 38,26 Meter = 7840 kHz der Sender der Deutschen Freiheitspartei von Bord des unter britischer Flagge laufenden Fischkutters „Faithful Friend“ im Ärmelkanal. Dieses kurze, abenteuerliche Unternehmen ist mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, die deutsche Bevölkerung über die „wahre Natur der NSDAP“ aufzuklären. Der Sender der Deutschen Freiheitspartei liefert detaillierte Berichte über die von offizieller Seite geleugnete Beteiligung der deutschen „Legion Condor“ am spanischen Bürger­krieg. Er nimmt auch am Jahrestag der Saarabstimmung deutlich gegen die „gefälschte Volksabstimmung“ Stellung und bezeichnet sich als Sprachrohr einer „Deutschen Freiheitspartei“ und fordert zum Beitritt in diese Partei und zum Widerstand gegen Hitler auf.

„Achtung! Achtung! Hier spricht der Deutsche Freiheitssender 29,8. Trotz Gestapo! Sollten Sie uns an einem Abend nicht hören können, aus begreiflichen Gründen, so suchen Sie uns am nächsten Abend! Wir kommen immer wieder!“

Über einen Sender in der Nähe von Madrid meldet sich zwischen Januar 1937 und März 1939 der Deutsche Freiheitssender 29,8. Zunächst firmiert 29,8 als Stimme der illegalen KPD, später stellt er sich dem Pariser „Volksfrontkongreß“ zur Verfügung. Durch diese Öffnung nach allen politischen Seiten wird es möglich, daß viele berühmte deutsche und ausländische Persönlich­keiten über den Sender zu Wort kommen, so z.B. Bertolt: Brecht, Willi Bredel, Albert Einstein, Lion Feuchtwanger, Ernest Heming­way, der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch, Heinrich und Thomas Mann, Erich Weinert u.v.m.

Der Deutsche Freiheitssender 29,8 sieht seine Aufgabe darin, die deutsche Arbeiterschaft über die wahre Natur des Faschismus aufzuklären. Er macht den Einsatz der „Legion Condor“ in Spanien bekannt und warnt mit deutlichen Worten vor den Gefahren eines heranziehenden Krieges in Europa. Der Sender propagiert eine Volksfrontregierung in Deutschland, da nur sie ein wirksames Mittel gegen den Hitlerfaschismus sein könne.

Immer wieder wird über die Kurzwelle 29,8 Meter zum Widerstand aufgerufen und genaueste Anweisungen zu Sabotageakten durch­gegeben.

Als einer der ersten antifaschistischen Schwarzsender erreicht 29,8 unter den deutschen Arbeitern eine relativ hohe Bekanntheit. Seine Meldungen werden als „Flüsterpropaganda“ weitergegeben. Gestapo und deutsche Behörden starten teilweise groteske Such­aktionen nach dem Sender, den sie zeitweise in Süddeutschland oder im Saargebiet vermuten. Sie durchsuchen LKW’s und Rhein­schiffe.

Mit der Niederlage der republikanischen spanischen Regierung muß der Deutsche Freiheitssender 29,8 verständlicherweise seine Sen­dungen einstellen. Dabei laufen die Mitarbeiterdfles Senders in Barcelona beinahe den Franco-Faschisten in die Arme, da sie die Umstellung der Stadt durch diese nicht bemerken. Sie sind aber noch unter den letzten, die die Stadt und Spanien verlassen können.

Verwirrung löst in Deutschland ein Deutscher Freiheitssender aus, der sich einige Zeit nach dem Ende von 29,8 auf der gleichen Welle meldet. Dieser Sender aber steht in Frankreich und wird von der französischen Regierung betrieben. Die KPD distanziert sich schnell von dieser Station. Auch daran mag es liegen, daß diese Statioh nicht an die Erfolge des Deutschen Freiheitssenders 29,8 anknüpfen kann.

Die Stimme des Grössenwahns

„Hier ist der Reichssender Hamburg. Mit dem Gongschlag war es 20 Uhr. Sie hören die Nachrichten des Drahtlosen Dienstes. Nach dem großen Ereignis der Eröffnung der Spiele von Berlin zur Feier der 11. Olympiade neuer Zeitrechnung begann heute morgen um 9 Uhr der erste Kampftag. (…) Die feierliche Eröffnung der elften Olympischen Spiele Berlin 1936 beschäftigte heute Morgen die gesamte Pariser Presse. Fast in allen Blättern kommt eine rückhaltlose Anerkennung der gewaltigen deutschen Vorbereitungen zum Ausdruck. (…) Die Schilderungen der Eröffnungsfeier, in denen jede Einzelheit des großartigen Schauspiels gewürdigt und beschrieben wird, nehmen in den norditalienischen Blättern breiten Raum ein. Für den Corriere de la Serra ist die ganze Festlichkeit von der Majestät des Friedens getragen.“

So berichtet am 3. August 1936 der Reichssender Hamburg vom Beginn der Olympischen Spiele in Berlin. Man ist bemüht, ein Bild von einem Deutschland zu zeichnen, das sich nichts sehnlicher wünscht als den Frieden. Kaum jemand kommt während der Spiele der Gedanke, daß Hitler nur drei Jahre später die Welt in den 2. Weltkrieg stürzen wird. Doch nach dem Ende der Spiele ändert sich das Bild Deutschlands rasch.

Während des spanischen Bürgerkrieges schickt Hitler seine „Legion Condor“ zur Unterstützung der Putschisten Francos nach Spanien. Diese „Legion Condor“ macht 1937 die spanische Stadt Guernica dem Erdboden gleich und ermordet die Bewohner, eine Schandtat, die der deutsche Rundfunk und die faschistische Kino-Wochenschau den „Bolschewisten“ anlastet:

„Das sind die Ruinen der altspanischen Stadt Guernica, wenige Stunden, nachdem die bolschewistischen Mordbrenner von den nationalen Truppen vertrieben worden waren. Die jüdische Lügenpresse behauptete, deutsche Flugzeuge hätten die Stadt bombardiert. Jedoch mußte die internationale Weltpresse diese Meldung sehr bald als Pressemanöver der Bolschewisten brandmarken, welche selbst die gesamte Stadt beim Verlassen Haus für Haus niedergebrannt hatten.“

„Bolschewisten“ – das sind die Internationalen Brigaden aus aller Herren Länder, die auf der Seite der demokratisch gewählten republikanischen Regierung gegen die Faschisten kämpfen, so z.B. die deutsche „Thälmann-Brigade“. Doch die Republikaner sind Franco und seinen mächtigen Unterstützern in Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien nicht gewachsen. Madrid fällt im März 1939.

1938 marschieren die Deutschen in Österreich ein – „Heim ins Reich“ heißt die Parole und Österreich fällt ohne einen Schuß. Hitler spricht kurz nach dem Einmarsch in Linz und Wien, umjubelt von hunderttausenden Österreichern. Ob diese auch so gejubelt hätten, wenn sie das Ende vorausgesehen hätten?

Als nächstes nimmt sich Hitler die Tschechoslowakei vor. Er will das Sudetenland als „urdeutsches Volksgebiet heim ins Reich“ holen. Sudetendeutsche Nazis provozieren blutige Konflikte mit den Tschechen, worauf Hitler mit einer militärischen Intervention droht. Um des lieben Friedens Willen billigen England, Frankreich und Italien im Münchener Abkommen die Annexion des Sudetenlandes. Die deutschen Faschisten stellen diesen Raubzug im Rundfunk natürlich ganz anders dar:

„Ende September 1938 – eine brennende politische Frage drängt zur Entscheidung. Unter der Knute der tschechischen Soldateska kämpfen drei Millionen Sudetendeutsche um ihr Lebensrecht. Der Blutterror des tschechischen Staatspräsi­denten Benesch entfesselt eine wahre Menschenjagd. 50.000, 100.000, 200.000 – die Zahl der Flüchtlinge steigt von Tag zu Tag. Wer nicht flieht ist den grauenhaften Foltermethoden der Tschechen ausgeliefert. Drei Sudetendeutsche gefesselt an einen Lastwagen gebunden und dann in vollem Tempo durch die Straßen geschleift. Mit vorgehaltenem Bajonett treibt man die Menschen auf den Straßen zusammen und zwingt sie, im Rücken von Maschinengewehren bedroht, sich in Trab zusetzen. Die Wohnungen zerstört, das Vieh erschossen, die Menschen in brutalster Weise mißhandelt und in das innere des Landes verschleppt. So lauten die Meldungen aus dem Sudetenland. Eine Liste des Grauens. Die Empörung der Deutschen im Reich ist auf dem Siedepunkt. Die Nation ist bereit, für die Befreiung der deutschen Brüder das Schwert zu ziehen.“

Je lauter der faschistische deutsche Rundfunk die „Erfolge“ der Hitler-Regierung feiert, desto pessimistischer wird die Stimmung im Volk. Immer mehr Mennschen wird klar, daß Hitler einen Krieg gegen Polen provozieren will. Der Großdeutsche Rundfunk bereitet seine Hörer vor, säht Haß gegen Polen, berichtet von angeblichen polnischen Greueltaten gegen in Polen lebende Deutsche:

„Hier spricht der Großdeutsche Rundfunk. Wir geben Nachrichten. Daß die Wut des Pöbels und der polnischen Staatsorgane nicht einmal vor Kindern haltmacht, beweist ein roher Überfall in Bromberg auf fünf Kinder von Volksdeutschen im Alter zwischen 8 und 13 Jahren. Eine Rotte junger Polen überfiel die Kinder auf der Straße, prügelte sie und bespie sie. In einem polnischen Gefängnis in Oberschlesien wurde wieder ein Deutscher zu Tode gemartert.“

Am 31. August überfällt ein SS-Kommando in polnischen Uniformen den Reichssender Gleiwitz und besetzt ihn. Es wird in Deutsch und Polnisch durchgesagt, daß sich der Sender in polnischer Hand befände. Zur dramatischen Untermalung schießen die SS-Leute ein paar mal in die Studioecke.

Der Spuk dauert nur kurze zeit, dann flüchten die SSler in einem bereit stehenden Wagen und erschießen aus diesem heraus einen Passanten – blutiges Zeichen der Existenz des angeblich polnischen Überfalls. Diesen angeblichen polnischen Überfall nimmt Hitler zum Anlaß, um Polen am 1. September 1939 den Krieg zu erklären:

„Polen hat heute Nacht zum erstenmal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten!“

Der Zweite Weltkrieg beginnt, der Weltkrieg, der 55 Millionen Menschen das Leben kosten und die Deutschen für Generationen beschämen wird.

Einige Wochen nach Kriegsbeginn wird auf Hitler im Münchener Hofbräukeller ein Attentat verübt. Was für ein grenzenloses Leid wäre Europa erspart geblieben, wäre es geglückt. Aber Hitler entgeht dem Anschlag.

„Der Reichssender München ist nun hier hinausgekommen in den Saal des Bürgerbräukellers um Ihnen von der Attentatsstelle zu berichten. (…)
Zu dem Mitgefühl für die vielen, vielen Schwer- und Leichtverletzten beherrscht uns ein unsagbar glückliches Gefühl. Wir sind dem Schicksal unendlich dankbar dafür, daß es uns den Führer erhalten hat, daß der Führer uns geblieben ist.“

Zunächst läuft an den Fronten für Hitler alles nach Plan. Nach Polen kapitulieren 1940 die Niederlande, Belgien und Frankreich. Deutsche Truppen besetzen Dänemark, Norwegen, Griechenland und Jugoslawien. Der Luftkrieg gegen Großbritannien ist in vollem Gange. Der deutsche Rundfunk stachelt seine „Volksgenossen“ mit martialischen Reportagen, Schlagern, Plänen für die Nachkriegs­zeit und Wunschkonzerten für die Wehrmacht auf. Landserunter­haltung und gezielte Desinformationen bestimmen das Programm. Das Abhören von „Feindsendern“ ist strengstens untersagt1 . Im Juni 1941 erklärt das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) im deutschen Rundfunk:

„Zur Abwehr der drohenden Gefahr aus dem Osten ist die deutsche Wehrmacht am 22. Juni, 3 Uhr früh, mitten in den gewaltigen Aufmarsch der feindlichen Kräfte hineingestoßen.“

Die Hitlerfaschisten fallen unter Bruch des Nichtangriffspaktes in die Sowjetunion ein.

Dieser Einmarsch ist der Anfang vom Ende. Dabei sieht es am Anfang prächtig für Hitler aus. Im „Blitzkrieg“ stoßen die faschistischen Truppen weit auf sowjetisches Gebiet vor. Doch vor Moskau stoppt der Vormarsch und bei Stalingrad kommt die Wende des Krieges. Die Armee des Generals Paulus wird von sowjetischen Truppen eingekreist und vernichtet. Hitlers Truppen können Moskau nicht einnehmen, Leningrad ergibt sich nicht – trotz 600 Tage dauernder Belagerung. Jetzt beginnen die deutschen Truppen, rückwärts zu marschieren. Die Front nähert sich immer mehr den deutschen Grenzen. Daran ändert auch Goebbels‘ berühmte Sportpa­lastrede vom 18. Februar 1943 nichts:

„Die Engländer behaupten, das deutsche Volk sei des Krieges müde! Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg?“
„Jaaaaaaaaaa!“
„Die Engländer behaupten, das deutsche Volk habe das Vertrauen zum Führer verloren! Ich frage euch: Vertraut ihr dem Führer?“
„Jaaaaaaaaa!“

6. Juni 1944 – „D-Day“, der Tag der englischen und amerikanischen Invasion in Frankreich. Deutschland befindet sich im Zweifron­tenkrieg. Das Ende nähert sich unaufhaltsam. Doch das wollen weder Hitler noch Goebbels wahrhaben. Wer am „Endsieg“ zweifelt, läuft in Gefahr, in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Noch am 1. Januar 1945, fünf Monate vor Ende des Krieges, als englische, amerikanische, französische und sowjetische Truppen schon auf deutschem Gebiet stehen, tönt Hitler in seiner Neu­jahrsansprache im Rundfunk:

„Die Weit muß wissen, daß Deutschland niemals kapitulieren wird, daß das heutige Deutsche Reich wie alle großen Staaten der Vergangenheit auf seinem Weg Ruckschlägen ausgesetzt sein mag, daß es aber nie diesen Weg verlassen wird.“

Doch auch viele Phrasen können den Untergang des „tausendjährigen Reiches“ nicht aufhalten. Am 1. Mai 1945 meldet der Reichssender Hamburg:

„Aus dem Führerhauptquartier wird gemeldet, daß unser Führer, Adolf Hitler, heute nachmittag in seinem Befehls­stand in der Reichskanzlei, bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend, für Deutschland gefallen ist. Am 30. April hat der Führer Großadmiral Dönitz zu seinem Nachfolger ernannt.“

Eine Woche später ist alles vorbei. Der britische Premierminister Churchill gibt in der BBC die deutsche Kapitulation bekannt:

„Gestern morgen um 2.41 Uhr hat General Jodl, der Vertreter des deutschen Oberkommandos und des Großadmiral Dönitz, des neuernannten deutschen Staatschefs, im Hauptquartier General Eisenhowers die bedingungslose Kapitulation aller deutschen Land-, See- und Luftstreitkräfte in Europa an die alliierte Expeditionsstreitmacht und gleichzeitig auch an das russische Oberkommando unterzeichnet. (…) Der Krieg gegen Deutschland ist also zu Ende.“

Noch einige Tage sendet der Reichssender Flensburg als letztes Überbleibsel des „Großdeutschen Reiches“ weiter, bis auch er schweigen muß. Die letzte Stimme des alten Deutschland endet, als die Alliierten gerade die ersten Stimmen des neuen Deutschland in Betrieb genommen haben: Radio Hamburg, Radio Frankfurt, Radio Berlin, Radio München,…

Der „weisse“ Kampf gegen Hitlerdeutschland

2. September 1939. Der Ministerrat für die Reichsverteidigung erläßt eine „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“. Am zweiten Tag des 2. Weltkrieges wird das Gesetz, was von den deutschen Behörden schon lange praktiziert wird: Wer „Feindsender“ abhört, sich also „geistig selbst verstümmelt“, wird wegen „Hochverrats“ mit drastischen Strafen belegt. Wogegen richtet sich dieses Verbot?

Es richtet sich gegen die Rundfunkdienste der freien Welt, gegen die Londoner BBC, gegen Radio Moskau und gegen die damals noch nicht gestartete Stimme Amerikas.

„Ich gebe die Hoffnung auf eine friedliche Lösung nicht auf und stelle meine Bemühungen um den Frieden nicht ein, solange noch eine Aussicht auf Frieden besteht. Ich bin ein Mann des Friedens bis in die tiefste Tiefe meiner Seele. Für mich ist der bewaffnete Konflikt zwischen Nationen ein Angsttraum. Aber wenn ich die Überzeugung gewinnen sollte, daß eine Nation entschlossen ist, die Welt durch die Drohung mit Gewalt zu beherrschen, dann fühle ich, daß Widerstand geleistet werden muß. Unter einer solchen Herrschaft würde für Menschen, die an Freiheit glauben, das Leben nicht mehr lebenswert sein.“

Mit diesen Worten des damaligen britischen Premierministers Neville Chamberlain beginnt am 27. September 1938, auf dem Höhepunkt der Münchner Krise um die Tschechoslowakei, die legen­däre erste deutschsprachige Sendung der BBC London. An diese erste Sendung des späteren Deutschen Dienstes aus London erinnert sich der Übersetzer der Chamberlain-Rede, Robert Lucas:

„Am frühen Nachmittag des 27. September wurde ich in meinem Büro angerufen. ‚Können Sie abends ins Funkhaus kommen ?‘ wurde ich gefragt. Die Regierung, so sagte man mir, habe eben beschlossen, den Text der Rede, die der Premierminister am Abend halten würde, auch in deutscher Sprache zu senden, damit die Bevölkerung Deutschlands über den Ernst der Lage aufgeklärt werde. Könnte ich, so fragte man mich, bei der Übersetzung helfen? Als ich später ins Funkhaus kam, wurde mir sofort klar, daß der Beschluß der Regierung unerwartet gekommen war. Keine Sekretärin stand zur Verfügung, ja nicht einmal eine Schreibmaschine. An einem langen Konferenztisch saßen außer mir noch ein französischer und italienischer Übersetzer, denn es war beschlossen worden, den Text der Chamberlain-Rede auch in diesen Sprachen zu senden. Der englische Text kam Satz für Satz mit beträchtlichen Inter­vallen auf dem Fernschreiber durch. Als ich fragte, für welche Zeit die Sendung angesetzt sei, erfuhr ich zu meinem Erstaunen, daß sie schon begonnen hatte, und zwar auf den Wellenlängen des Heimatdienstes. Der unselige Ansager – ein bekannter Maler, der zum ersten Mal in einem Rundfunkstudio war – mußte manchmal minutenlang auf den nächsten Satz warten.“

Solange die Münchner Krise andauert, werden täglich Sendungen in deutscher Sprache fortgesetzt. Robert Lucas und Carl Brinitzer sind die ersten Mitarbeiter der deutschen Redaktion, die in dieser Zeit eingestellt werden. Als die Krise vorüber ist, entscheidet man Tag für Tag über die Fortführung der Sendungen, bis nach etwa einem Monat BBC und Foreign Office gemeinsam den Beschluß fassen, den neuen Sprachendienst bis auf weiteres aufrecht zu erhalten.

Am 1. September 1939 erklärt Hitler Polen den Krieg. London reagiert darauf seinerseits mit seiner Kriegserklärung gegen Deutschland:

„Ich spreche zu Ihnen aus meiner Kanzlei. Heute vormittag überreichte der Botschafter von Großbritannien der deutschen Regierung eine endgültige Note und erklärte, England werde sich, wenn es bis 11 Uhr nicht die Zusicherung erhalte, daß die deutschen Truppen aus Polen zurückgezogen würden, im Kriegszustand mit Deutschland befinden. Es ist gar keine Erklärung eingegangen. Unser Land befindet sich daher im Kriegszustand mit Deutschland!“ (Der englische Ministerpräsident Neville Chamberlain am 3. September 1939, 11 Uhr 15, über den BBC-Inlandsdienst)

Vier Jahre nach den ersten Sendungen aus London, 1942, sieht das tägliche Sendeschema des Deutschsprachigen Dienstes der BBC so aus (Zeiten in GMT):
04.00-05.00 Sendung für den deutschen Arbeiter
09.00-09.15 Nachrichten
12.00-12.30 Vermischtes
13.00-13.15 Vermischtes
14.00-14.15 Aus der freien Welt
16.00-16.15 Sendung für die deutsche Wehrmacht
17.45-18.00 Sendung für die deutsche Kriegsmarine
18.00-18.30 Nachrichten und Kommentar
20.00-20.20 Nachrichten und Vorträge
21.00-21.15 Programm für Österreich
00.00-00.15 Nachrichten

Um die Sendungen aufzulockern, bringt man neben immer wahrheits­getreuen Nachrichten und Kommentaren auch Satire über den Äther. Fast legendär ist schon der Sprachkurs, den Sefton Delmer für die deutschen Soldaten hielt:

„Sie wissen wahrscheinlich, daß wir Engländer dafür bekannt sind, daß wir keine Fremdsprachen erlernen können. Darum wird es wohl am besten sein, wenn Sie, meine Herren Engellandfahrer, einige nützliche englische Ausdrücke lernen, bevor Sie uns besuchen.
Als Thema unserer ersten Unterrichtsstunde wählen wir: Die Kanalüberquerung. . . the Channel crossing. Nun sprechen Sie mir bitte nach: Das Boot sinkt… the boat is sinking.
Das Wasser ist kalt… the water is cold.
Sehr kalt… very cold.
Und jetzt sollen Sie ein Verbum lernen, daß Ihnen sehr nützlich sein wird. Also sprechen Sie mir bitte wieder nach:
Ich brenne … I burn.
Du brennst … you burn.
Er brennt … he burns.
Wir brennen … we burn.
Ihr brennt … you are burning.
Sie brennen … they burn.
Und nun möchte ich Ihnen noch einen Satz zum Auswendiglernen vorschlagen: Der SS-Sturmbannführer brennt auch ganz schön… The SS-Captain is also burning quite nicely!“

Neben der Satire dient vor allem die Musik zur Auflockerung der Sendungen. Berühmte Orchester spielen auf den Londoner Wellen in Deutschland als „entartete Niggermusik“ verbotenen Jazz und Swing, so z.B. Glenn Miller:

„Deutsche Soldaten! Hier spricht Ilse! Für die nächste halbe Stunde habe ich für euch etwas ganz besonderes arrangiert. Eine Rendezvous mit dem Kapellmeister eines der bekanntesten Orchester. Heute ist er der Dirigent des amerikanischen Orchesters der Alliierten Expeditionsstreitkräfte. Major Glenn Miller! „

Die BBC ist der meistgehörteste „Feindsender“ des 2. Weltkrieges und die Nazis verleumden diese freie Stimme, wo sie nur können. Die Strafen für Schwarzhören werden laufend verschärft, bis zur Todesstrafe. Aber dies erweist sich als nicht geeignet, die Menschen vom Hören des Londoner Senders abzuhalten.

„Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Hier ist der Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache. Dieser erste Monat des neuen Jahres endete damit, daß am 31. Januar die Gruppe der Hitler-Truppen, die westlich des zentralen Teils Sta­lingrads eingekreist worden war, völlig aufgerieben wurde. Dabei ergaben sich der Kommandierende dieser Armee, General­feldmarschall Paulus, sein Stab und weitere 15 Generäle.“

Das, was für Hörer von London gilt, gilt auch für die Hörer von Radio Moskau. Wer beim Hören dieses Senders erwischt wird, wird meist sogar mit härteren Strafen belegt als ein Hörer der BBC. Das Moskauer Funkhaus, aus dem am 7. November 1929, also vor 60 Jahren, die erste deutschsprachige Sendung von Radio Moskau kommt, ist bevorzugtes Ziel der faschistischen deutschen Bomben­angriffe. Ein Mitarbeiter des Senders erinnert sich:

„Zu den Zielen für die Bombenflüge der Luftwaffe auf Moskau gehörte auch das Moskauer Funkhaus in der Putinkow-Gasse neben dem Pushkin-Platz. Ein faschistischer Bomber legte einen breiten Bombenteppich rings um das Funkhaus und traf schließlich mit einer 500-Kilo-Bombe genau in das Viereck, das vom Funkhaus gebildet wurde.
Wir arbeiteten in dieser Nacht, ebenso wie in den anderen ersten Nächten des Krieges, in dem als Schutzbunker eingerichteten Keller des Gebäudes, der die Redaktion und die Senderäume beherbergte. Als die Bombe einschlug, erbebte das Haus in seinen Grundfesten, aber es erfolgte keine Explosion. Durch einen glücklichen Zufall war die Bombe in den Schacht des Sammelkanals im Hof gefallen und nicht explodiert. “

Während des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes kann oder will Radio Moskau nicht in aller Schärfe gegen die Hitler­faschisten auftreten. Die antifaschistische Propaganda hat ver­steckt zu erfolgen. Und das tut sie – z.B. in dem Hörspiel „Tamaras Haltestelle“, das von deutschen Emigranten aufgeführt wird. Die Handlung des Hörspiels ist folgende:

Irgendwo in den Bergen des Kaukasus lebt ein Streckenwärter mit seiner Familie. Seine Tochter Tamara besucht die Schule – und da muß sie jeden Tag durch den Eisenbahntunnel sechs Kilometer zu Fuß bis zur Schule gehen, denn kein Eisenbahnzug hält am Haus des Streckenwärters, das am Tunneleingang steht. Das erfährt man in Moskau und es wird Weisung gegeben, daß der D-Zug, der in der Früh, wenn Tamara in die Schule geht, am Haus des Streckenwärters vorbeikommt, und der Gegenzug, der am Nachmittag ebenfalls um die Zeit, in der Tamara aus der Schule nach Hause geht, das Kind aufnehmen und mit zur Schule und wieder mit nach Hause bringen solle.

So reagiert man im Moskauer Sender auf die Greuelpropaganda der Nazis über die Sowjetunion.

Ebenso wie auf den Wellen der Londoner BBC, so kommen auch auf Radio Moskau Prominente zu Wort, so z.B. der Maler Heinrich Vogeler:

„Achtung, Achtung! Hier ist Moskau! Welle 25 Meter! Es spricht der deutsche Maler Heinrich Vogeler, Worpswede! – Ich spreche zu dir, deutscher Künstler. Du weißt, was der Hitler-Faschismus für die deutsche Kunst und für Dich bedeutete. Wenn deine Werke Wahrheit und damit echtes deutsches Gefühlsleben offenbarten, wurden sie aus den Museen und Ausstellungen entfernt. So erging es im September 1935 den Werken der verstorbenen Malerin Paula Becker-Modersohn. Die stärkste realistische Kraft aus der Maler­kolonie Worpswede mußte als ‚Auswuchs einer vergangenen Zeit‘, laut Völkischer Beobachter vom 26. Oktober 1935, aus der nationalsozialistischen Öffentlichkeit verschwinden. Das Volk der Dichter und Denker erlebte es, daß Hitler Dichter des Fortschritts, Schauspieler, die um die Freiheit des Wortes kämpften, auf bestialische Weise ermorden ließ.“

Der Kampf von Radio Moskau gegen den Hitlerfaschismus endet erst, als der Sender am 8. Mai 1945 die deutsche Kapitulation bekannt geben kann.

Neben Radio Moskau gibt es eine Reihe weiterer deutschsprachiger Programme. Das sind die Sender Kiew, Kuibyshew, Minsk, Odessa und Swerdlovsk. Einige dieser Sender sagen sich genau wie Radio Moskau als „Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache“ an und sind teilweise nur Proben für den Fall, daß Moskau fallen würde und die Sendungen von einem anderen Ort aus fortgesetzt werden müßten.

Eine besondere Rolle spielt der Sender Leningrad, der während der 600 Tage dauernden Blockade der Stadt faktisch unabhängig vom zentralen Rundfunk agieren kann. Die Sendungen richten sich vor allem an die deutschen Soldaten, die die Blockade Leningrads aufrecht halten. Der Sender Leningrad ist während der Blockade zwischen September 1941 und August 1944 ein Symbol des Wider­standswillens der Zivilbevölkerung. Sichtbare Erfolge der Sendungen sind nicht nachweisbar, jedoch überwacht das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) „besorgt“ die Sendungen aus Leningrad.

Erst spät – mit dem Kriegseintritt der USA – beginnen die Sendungen der Stimme Amerikas. Kurzwellensendungen aus Amerika nach Übersee hat man bislang den privaten Gesellschaften ABC, NBC und CBS überlassen, doch nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour mietet man die Anlagen dieser Gesellschaften und startet überstürzt Fremdsprachensendungen, darunter auch in deutscher Sprache. Ihr Ziel, auf eine so große Hörerzahl wie die BBC London zu kommen, erreicht die Stimme Amerikas trotz Relaissendungen über London in keiner Phase des Krieges. Sie bleibt auch hinter den Hörerzahlen von Moskau zurück. In den USA ist die Stimme Amerikas heftiger Kritik hinsichtlich dieses mangelhaften Erfol­ges ausgesetzt. Es gibt sogar die überspitzte Meinung, in New York seien mehr Leute mit der Herstellung der Sendungen beschäf­tigt, als diese regelmäßige Hörer gehabt hätten. VV Eine der wichtigsten Sendereihen ist wie bei allen Stationen der Kriegsgefangenendienst:

„Hier spricht die Stimme aus Amerika! Die Vereinigten Staaten von Amerika rufen Europa!
Wir bringen jetzt den Kriegsgefangenendienst der Stimme Amerikas. Hier spricht Leutnant Winter. Ich bringe Ihnen die Stimmen deutscher Soldaten aus amerikanischen Kriegsgefan­genenlagern. Ich beginne heute mit einem Geburtstagsgruß. Gefreiter Andreas Beckel spricht zu seiner Frau in Kreinach, Oberfranken.
– Hier spricht der Gefreite Andreas Beckel aus dem Kriegs­gefangenenlager Camp Shelwea, Mississippi, USA. Ich möchte die Gelegenheit nicht versäumen, an dich, liebe Frau, Töchterlein Babbede, Mutter, Geschwister, Schwäger und Ver­wandten aus weiter Ferne zu grüßen und zugleich wünsche ich dir, liebe Frau, zum Geburtstag am 13. September alles Gute, ein frohes Weihnachtsfest und gesundes Neujahr. Ich bin gesund und wohlauf. Auf Wiedersehen in der Heimat – Euer Andreas!“

Aus Frankreich sind wegen der Besetzung durch die Deutschen nur kurze Zeit antifaschistische Sendungen zu hören. Vor der Besetzung ist Radio Strasbourg vor allem im Südwesten Deutschlands nicht unbekannt. Die deutschsprachigen Sendungen der Radiodiffusion francaise, die nach der Befreiung Frankreichs durch die Briten und Amerikaner ausgestrahlt werden, bleiben im Vergleich zu den Sendungen der BBC und von Radio Moskau ohne größere Wirkung.

Bis zum Sieg der Franco-Faschisten kann man auch aus Spanien eine Reihe von deutschsprachigen Programmen hören. So meldet sich vom Sommer 1936 bis Anfang 1939 aus Madrid La Voz de España Republicana (Die Stimme des republikanischen Spaniens) mit der Ansage „Hier spricht Radio Madrid, die Stimme der Volksfrontregierung.“ Anfang 1937 gibt es auch deutschsprachige Programme des Senders der Kommunistischen Partei Spaniens (Kurzwellensender Madrid II) und des Senders der spanischen Gewerkschaften (Kurzwellensender Madrid III).

Von Mitte 1936 bis März/April 1937 senden aus Barcelona der Sender der Generalitat Barcelona (Sender Barcelona I) und Radio Barcelona (Sender Barcelona II).

Die britischen Schwarzsender

Nicht alle britischen Stationen geben während des zweiten Welt­krieges ihre wahre Identität bekannt oder halten sich immer an die Wahrheit. Es gibt Stationen, die von sich behaupten, sie ständen in Deutschland und Stationen, die mit geschickt plazierten Falschmeldungen die deutschen Soldaten und die Zivil­bevölkerung verwirren sollen. Das sind die sogenannten „Schwarzsender“.

Von Mai 1940 an sendet der erste britische Schwarzsender, der Sender Das wahre Deutschland. Diese erste Station in der langen Reihe der britischen Schwarzsender wird von Dr. Carl Spiecker geleitet, einem angesehenen Mitglied der Deutschen Freiheits­partei, die 1938 eine Zeit lang im Ärmelkanal einen eigenen Sender betrieben hatte, auf den an anderer Stelle schon näher eingegangen wurde. Ein weiterer britischer Schwarzsender, über den es heute nur noch sehr wenig Informationen gibt, ist nach Frankreich gerichtet und nennt sich Radio Beaux Arts (Schöne Künste). Dieser erste französischsprachige Schwarzsender der Briten wird wahrscheinlich von Richard Gambier-Parry geleitet, die Texte stammen von dessen Privatsekretärin Miss Towse.

Fünf Monate nach den ersten Rufen des Senders Das Wahre Deutsch­land geht es eigentlich erst richtig los. Mit dieser Ansage meldet sich am 7. Oktober 1940 erstmals der Sender der euro­päischen Revolution:

„Hier spricht der Sender der europäischen Revolution! Wir sprechen für alle, die zum Schweigen verdammt sind! Wir rufen die Massen zur politischen und sozialen Revolution! Wir kämpfen für ein Europa des Friedens!
Genossen, der Sender der europäischen Revolution ist der Sender revolutionärer Sozialisten. Unser Ziel ist der Sturz des Hitlerregimes, der Aufbau eines geeinten sozialistischen Europa. Sorgt dafür, daß immer mehr Menschen unsere Stimme hören können. Darum, wo immer du sicher sein kannst, daß du unbeobachtet bist, wo immer du weißt, daß du kein sinnloses Risiko läufst, wo immer sich dir eine vorteilhafte Gelegenheit bietet, schreibe in Blockbuchstaben: Europäische Revolution, Welle 31,2, 23 Uhr.“

Diese Station, die täglich auf dem 31-Meterband sendet, ist eher „grau“ als „schwarz“, da er nicht versucht, seinen Hörern einzureden, er stände in Deutschland. Der Sender der europäischen Revolution hofft, Hörer zu erreichen, die bereit sind, bei ihrem Widerstand gegen das Regime gemäßigte Methoden, wie die Sabotage des Transportsystems, anzuwenden und die Fortführung des Krieges durch passiven Widerstand zu behindern. Die Sendungen werden am 22. Juni 1942 eingestellt, als sich das Team des Senders nicht bereitfindet, für die Kriegsziele der Alliierten energischer einzutreten.

Dem Sender der europäischen Revolution folgen am 10. Oktober der rumänische Sender Frats Romun, am 15. November das französische Radio Inconnue, am 16. November das italienische Radio Italia und am 17. November das französische Radio Travail (Arbeit). Auf Radio Italia folgt im Juni 1941 Radio Liberia, das sich durch intime Kenntnisse aus dem Privatleben Mussolinis auszeichnet.

Die französischen Sender, Radio Inconnue und Radio Travail, sind, im Gegensatz zu den deutschsprachigen Sendern, ausgesprochen subversiv. So wird zwar in den Sendungen von Radio Inconnue nur selten angedeutet, wo sich der Sender befindet, aber angeblich steht er in der Nähe von Paris. Der Sender gibt praktische Anweisungen zur Sabotage. So werden die Hörer aufgefordert, die Reifen der deutschen Militärfahrzeuge zu zerschneiden. Am 3. Juli 1941 verbreitet Radio Inconnue Einzelheiten über die imaginäre Organisation „Les Chevaliers du coup de balai“ (Die Ritter des Besens). Es wird behauptet, die symbolisch mit einem Besen bewaffneten Angehörigen dieser Organisation würden von nun an gegen alle Deutschen in Frankreich vorgehen.

Viel seriöser als dieser Sender mit seinen sehr aggressiven Inhalten tritt Radio Travail auf. Der Sender bemüht sich um die revolutionären Traditionen des republikanischen Frankreichs und führt, wie dies seinem angeblichen Standort in den besetzten nördlichen Departments entspricht, regelmäßig scharfe Angriffe gegen die Deutschen. Radio Travail distanziert sich sowohl vom Kommunismus wie auch von de Gaulles „freien Franzosen“ und macht einen Unterschied zwischen der deutschen Arbeiterklasse und den Nazis.

Am 1. Juli 1941 kommt ein dritter französischer Schwarzsender hinzu: La France Catholique, dessen zunächst einziger Sprecher der französische Priester Capitaine Lagrave ist. Die Sendungen sollen den Widerstandswillen der französischen Katholiken stärken und den Geistlichen Material für ihre Predigten liefern. Zweimal wöchentlich werden propagandistische Gebete gesprochen, so z.B. für „unsere hungernden Kinder“ und „unsere Gefangenen in Deutschland“. Dabei wird erklärt, die Gebete folgten einer Anregung des Papstes. Im deutschen Rundfunk wird zwar behauptet, La France Catholique stände im Vatikan, um so ein offizielles Dementi zu provozieren, aber der Vatikan hat sich, obwohl er von der Existenz des Senders wußte, niemals von ihm distanziert.

Mit Hitlers Einmarsch in die Sowjetunion gesellt sich auch eine italienische Station zu den religiösen Schwarzsendern: La Voce Cristiana erklärt, die Sowjetunion sei ein Verteidiger des christlichen Glaubens! Ähnliche Sender existieren auch in deutscher, polnischer, französischer und spanischer Sprache und stehen unter Leitung Richard Gyptners, einem Mitglied der Komintern.

Am 25. Mai 1941 beginnt einer der bekanntesten Geheimsender des Krieges sein Programm: Gustav Siegfried 1. Diese Station ist der erste deutschsprachige Schwarzsender, der bewußt falsche Informa­tionen mit dem Ziel ausstrahlt, die deutsche Bevölkerung und die Behörden irre zu führen und zu verunsichern. In den Sendungen tritt ein sogenannter „Chef“ auf, der sich als „aufrechter deutscher Offizier“ darstellt und die Machenschaften der „Goldfasanen“ der NSDAP anprangert. Die Sendungen sind so aufge­baut, daß der Hörer den Eindruck hat, er höre interne Funksprüche einer Geheimorganisation ab. Bevorzugt kritisiert der „Chef“ wahre oder erfundene Korruptionsaffären, Mißstände und Schlampe­reien der Behörden, sexuelle Exzesse und sinnlose Prassereien der oberen Zehntausend der Partei, die er als „Parteikommune“ be­zeichnet. Er verbreitet Gerüchte über angebliche Lebensmittel­knappheiten, Seuchen, Krankheiten und Plünderungen. Die gesamte Parteispitze, mit Ausnahme von Hitler selbst, stellt er als unfähige „Kretins“ dar. Mit seiner derben Sprache („plattfüßiger alter jüdischer Trunkenbold“ => Churchill) versucht Gustav Sieg­fried 1 die Soldaten der Wehrmacht zu erreichen – und er schafft dies auch. 1944 gibt mehr als die Hälfte aller befragten deutschen Kriegsgefangenen in England an, von dem Sender gehört zu haben. Bei der letzten Sendung von Gustav Siegfried 1 passiert eine Panne. Sefton Delmer will die Station dramatisch sterben lassen: Über den Sender kommt eine MP-Salve und eine Stimme ruft „Habe ich Dich endlich, Du Schwein“.
Diese Sendung mit dem ungewöhnlichen Schluß wird, wie immer, auf Platte aufgenommen und zum Senden gebracht. Dabei scheint der Sendetechniker nicht mitgekriegt zu haben, daß er diese Sendung nicht, wie bisher, nach einer Stunde wiederholen soll. Eine Stunde nach dem dramatischen Ende von Gustav Siegfried 1 wird die Sendung noch einmal ausgestrahlt – mit dem gleichen Schluß. Es ist allerdings kein Fall bekannt, daß jemand das Ende von Gustav Siegfried 1 zweimal gehört hätte.

Ende 1941 wird für kurze Zeit der Sender Radio Rotes Wien in Betrieb genommen, der seine Programme vom 3. Oktober bis zum 27. Dezember 1941 ausstrahlt. Der Sender sagt sich so an:

„Achtung! Achtung! Hier Radio Rotes Wien, der Sender der österreichischen Sozialisten! Sagt die Welle weiter: 31,5 Meter! Freundschaft, Genossen! Schreibt sie auf Wände und Zäune: 31,5 Meter!“

Schon bald nach den ersten Sendungen von Gustav Siegfried 1 beginnt Sefton Delmer, der Leiter der britischen Schwarzsender, mit der Planung weiterer Stationen mit der gleichen Zielsetzung: Subversion, Irreführung, Verunsicherung. Daraus entsteht am 9. Mai 1942 der Wehrmachtssender Nord, über dessen Ziele Sefton Deiner in einer Denkschrift schreibt:

„Die wichtigsten Ziele unseres Geheimsenders sind:
a). Die Moral der deutschen Truppen dadurch zu schwächen, daß wir ein düsteres Bild von den Zuständen in Deutschland zeichnen und
b). die zivilen Hörer davon zu überzeugen, daß die Moral der Truppe durch gewisse Entwicklungen an der Heimatfront, die der gewöhnliche Soldat ablehnt, beeinträchtigt wird.“

Die Anregung zur Einrichtung des Wehrmachtssenders Nord gibt Delmer ein kleiner deutscher Wehrmachtssender in Smolensk. Der von Delmer eingerichtete Sender wird angeblich von einer deut­schen Einheit in Nordnorwegen betrieben, und er gibt sich den Anschein, die dort stationierten Soldaten mit Nachrichten aus der Heimat zu versorgen. Außerdem hofft man, daß der Wehrmachts­sender Nord von neugierigen Zivilisten abgehört werden würde, die etwas über das Leben und die Stimmung bei der Truppe erfahren wollen. Nach neun ziemlich erfolglosen Monaten stellt der Sender seinen Betrieb am 7. Februar 1943 ein. Sein Nachfolger wird am 22. März 1943 der Deutsche Kurzwellensender Atlantik, der eine auf den ersten Blick perfekte Imitation eines deutschen Soldaten­senders darstellt. Der Sender meldet sich täglich von 17.30 bzw. 18.30 Uhr durchgehend bis 8 Uhr morgens. Die wöchentliche Sendezeit mit selbstproduzierten Sendungen beträgt bis zu 14 1/2 Stunden, der Rest der Sendungen wird von wirklichen reichsdeutschen Sendern übernommen, vor allem vom Soldatensender Mittelmeer.

Später schließt sich der Deutsche Kurzwellensender Atlantik mit dem bekanntesten Schwarzsender des 2. Weltkrieges, dem am 18. November 1943 gestarteten Soldatensender Calais, zusammen. Dieser Sender wird über die für damalige Verhältnisse gigantische 600 kW-Mittelwellen-Sendeanlage „Aspidistra“ in Crowborough betrieben. Die Sendungen laufen täglich zwischen 20 und 24 Uhr, was einer wöchentlichen Sendezeit von 28 Stunden entspricht. Die Stationsansage lautet:

„Soldatensender Calais! Soldatensender Calais mit dem Kameradschaftsdienst für die Wehrmacht im Bereich des Befehlshabers West und Norwegen. Angeschlossen der Deutsche Kurzwellensender Atlantik!“

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 meldet sich wiederholt der Sender der Widerstandsbewegung: „Von Stauffenberg ist tot. Er hat befehlsgemäß den ersten Schlag gegen das Hitlerregime geführt. Aber die Gesamtaktion geht weiter.“<(i>

Neben diesen Stationen gibt es noch eine Vielzahl kleinerer Schwarzsender, die wir hier kurz nennen wollen:

Astrologie & Okkultismus: Diese Station sendet nur nachts und richtet sich an leicht beeinflußbare, abergläubische und ängstliche Hörer in Deutschland mit dunklen Voraussagen über den nahen Untergang des Reiches. A &. 0 wird nach drei Monaten wegen Erfolglosigkeit eingestellt.

Christus, der König: Über diese Station werden christliche, aber mit eindeutig subversiver Absicht ausgewählte antifaschistische Sendun­gen für deutsche Katholiken ausge­strahlt. Der Sender hat seinen Namen vom letzten Satz jeder Sendung: „Es lebe Christus, der König!“ Christus, der König ist mit 31 Mona­ten Sendedauer der am längsten beste­hende britische Schwarzsender über­haupt.

Arbeitersender: Diese Station täuscht vor, Sprachrohr einer linken Widerstandsgruppe zu sein. Die kurze Lebenszeit (8 Monate) des Arbeitersenders spricht für einen Fehlschlag dieser Propagandakonzeption.

Sender der SS-Kampfgruppe York: Dieser Sender gibt sich als Sprachrohr einer oppositionellen Gruppe innerhalb der Waffen-SS aus, die sich von ihren Führern verraten fühlt. Das Programm umfaßt nur ein Thema pro Sendung und enthält vor allem Berichte über Korruption und Greueltaten der SS, die teils erfunden, teils wahr sind. Auch hier spricht die kurze Sendedauer von vier Monaten für einen Fehlschlag.

SS-Sender Hagedorn: Die Programme dieser Station sind ähnlich aufgebaut wie die von Gustav Siegfried 1.

Die amerikanischen Schwarzsender

Die USA beginnen, auch bedingt durch den späten Kriegseintritt, erst sehr spät mit der Ausstrahlung von Sendungen subversiver Natur. Bis zum Ende des Krieges hat man gerade zwei Stationen auf die Beine gestellt (zum Vergleich – England: 14).

Die erste der beiden Stationen wird vom Middle East Headquarter des Office of Strategie Services (OSS) in Kairo eingerichtet, wenig später jedoch dem alliierten Kommando in Italien unter­stellt. Der Sender hat die Aufgabe, Wehrmachtsangehörige in den Ländern des Balkan und auf Kreta zu verunsichern. Er ist als Nazi-Sender getarnt und will den Eindruck erwecken, als ob seine Kommentare von NS-Funktionären gesprochen wären. Der Sender zitiert häufig fingierte Ausgaben des SS-Organs „Das schwarze Korps“ und verwendet eine „zackige“ Sprache mit unterschwelliger Kritik an der Parteiführung. Er bringt „objektive“ Nachrichten: Verluste der Alliierten am Anfang, dann übertriebene Angaben von Nazi-Verlusten. Seine Kommentare erinnern an das „fleißige und schöpferische Deutschland“, an Bismarck und den Alten Fritz. Der Erfolg des Senders zeigt sich darin, daß Kriegsgefangene erklär­ten, der Sender habe sie total verwirrt, weil er frei von alliierter Propaganda ist, doch „deutsch“ ohne Bezugnahme auf Hitler und Goebbels. Leider ist nicht bekannt, unter welchem Namen der Sender betrieben wurde bzw. ob er überhaupt einen Namen hatte.

„1212 sendet. 1212 sendet. Täglich von 2 bis 6. Jede volle Stunde.“

Mit dieser Ansage meldet sich ab Dezember 1944 der Sender 1212, der vorgibt, von rheinischen Separatisten innerhalb des Reiches betrieben zu sein. Mit den Sendungen soll erreicht werden, daß deutsche Städte und Dörfer schon vor dem Anrücken der alliierten Truppen kapitulieren. In den Programmen wird die Hoffnungslosigkeit der deutschen militärischen Lage und die drückende Überlegenheit der allierten Truppen in drastischer Weise geschildert. 1212 beschreibt mit bewußt falschen oder halbwahren Meldungen die Absurdität der letzten Kriegsmonate, wobei die Redakteure ihre Berichte z.T. ironisch übertreiben. Die Fiktion eines in Deutschland stehenden Untergrundsenders hält der Sender bis zur letzten Sendeminute aufrecht, als die Station angeblich von alliierten Truppen erobert wird.

„1212 bringt jetzt Nachrichten für die Wehrmacht. An der ganzen Front war gestern bedeckter Himmel mit unterbrochenen Regenfällen. Schwerer Schnee fiel an der Saarfront. Bei nebligem Wetter kämpften die Truppen im Schlamm an der Dürenfront. Im allgemeinen war milde Temperatur. Gestern feierte Generalfeldmarschall von Rundstedt seinen 69. Geburtstag. Der Oberbefehlshaber West befindet sich gegenwärtig mit seinem Stab in Koblenz. In den Kämpfen um die Saar verlor die deutsche 1. Armee über 73.000 Mann, man rechnet, daß 31.000 von ihnen Kriegsgefangene sind.“

Zunächst bringt 1212 wahre, für jeden Soldaten nachprüfbare Meldungen, z.B. Berichte über das Wetter vom vorigen Tag. Erst später kommt dann der dicke Hammer: eine nicht nachprüfbare Falschmeldung. So bauen die Mitarbeiter des Senders aus einem abgebrannten Gasthaus, in dem die SS residiert hatte, ein SS-Archiv, das gerade abtransportiert werden sollte. Suggeriert werden soll den Hörern damit: „Die hauen ab !“

Der Sender stellt seinen Betrieb in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1945 ein, als er angeblich von alliierten Truppen erobert wird.

Schwarzsender aus Frankreich

Im September 1939, dem Monat des Kriegsbeginns, beginnt Frank­reich, eine Reihe von „schwarzen“ und „grauen“ Stationen in Betrieb zu nehmen.

„Harret aus! Österreich wird wieder frei! Hier spricht aus Paris der Österreichische Auslandssender!“

Als eine der ersten Stationen nimmt der Österreichische Auslands­sender seinen Betrieb auf. Er kann eigentlich nicht zu den Schwarzsendern gezählt werden, weil er, wie aus der obigen Ansage ersichtlich ist, seinen Standort wahrheitsgemäß mit Paris angibt. Er ist aber weniger an der sachlichen Information seiner Hörer interessiert, sondern gleicht in dieser Hinsicht eher den als Kampfsender agierenden Schwarzsendern, die weiter unten erwähnt werden. Die Sendungen werden über die französischen Mittel- und Langwellensender Grenoble, Lilie, Lyon, Marseiile, Nizza, Rennes, Straßburg und Bordeaux im Anschluß an die offiziellen Sendungen des französischen Auslandsrundfunks ausgestrahlt.

Die publizistischen und politischen Richtlinien in der Arbeit der Station werden von Martin Fuchs und Otto von Habsburg bestimmt, die auch gelegentlich vor das Mikrofon treten. Dementsprechend konservativ und monarchistisch sind auch die Tendenzen des Programmes.

Ganz anders gibt sich da der Deutsche Freiheitssender. Er wird wenige Monate nach dem Ende des von Spanien aus operierenden Deutschen Freiheitssenders 29,8 gestartet und will durch die gleiche Namensgebung, die Benutzung der gleichen Frequenz und die Ausstrahlung der Sendungen zur gleichen Sendezeit seinen Hörern suggerieren, er sei der Nachfolger von 29,8 oder 29,8 sei wieder auferstanden. Von Mitgliedern der illegalen KPD in London und Stockholm werden die Mitarbeiter des Deutschen Freiheitssenders als „Halunken“ bekämpft. Die Wirkung von 29,8 unter der deutschen Arbeiterklasse kann dieser französische Schwarzsender jedoch nie erreichen.

Der Freie Deutschlandsender verwendet viel Mühe darauf, die Fiktion aufrecht zu erhalten, er würde illegal aus dem Reichs­gebiet operieren. Die Station sieht ihre Aufgabe darin, zur Organisation einer breiten, nicht parteigebundenen antifaschi­stischen Widerstandsbewegung zu ermutigen und beizutragen, die sich aber auch gleichzeitig gegen den Kommunismus stalinistischer Prägung wenden soll. Auffällig sind die zahlreichen Parolen, die zu Widerstand und Sabotage aufrufen. In den Sendungen des Freien Deutschlandsenders wird wiederholt eine Zusammenarbeit mit dem Deutschen Freiheitssender angedeutet, ohne jedoch darauf weiter einzugehen oder die Fiktion eines deutschen Senders aufzugeben.

Täglich zwei Stunden lang meldet sich der Österreichische Frei­heitssender, der von der gleichen Gruppe getragen wird wie der „graue“ Österreichische Auslandssender. Im Gegensatz zu den anderen Schwarzsendern verfügt er über ein differenziertes Wort-und Musikprogramm, so z.B. „gute, aber verbotene Musik“, d.h. vor allem klassische Musik jüdischer Komponisten. Seine Sendungen werden vor allem über die privaten französischen Sender Radio International und Radio Normandie, aber auch über die staatlichen Sender Lyon und Marseille ausgestrahlt.

Das oberste Ziel, zu dem der Österreichische Freiheitssender beitragen will, ist die Befreiung Österreichs vom Hitlerfa­schismus und die Wiederherstellung eines österreichischen Natio­nalstaates. Diesem Ziel ordnen die Mitarbeiter alle Programm­aussagen mit dem ganzen Spektrum von Nachrichten und Musik­wiedergabe zu.

Der Sender Freies Österreich ist als Österreichprogramm des Deutschen Freiheitssenders angelegt und wird im Anschluß an dessen Programm ausgestrahlt. Die einzige Mitarbeiterin ist Elisabeth Freundlich, die ihre Manuskripte dem Betreiber des Freiheitssenders, Rudolf Leonhard, übergibt. Die genauen Sende­daten sind heute nicht mehr zu ermitteln.

Nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen müssen die Schwarzsender verständlicherweise schweigen. Erst nach der fran­zösischen Befreiung geht wieder eine „schwarze“ Station in den Äther:

„Hier ist Radio Bir Hakeim auf Welle 205 Meter!“

Radio Bir Hakeim strahlt seine Sendungen zwischen dem 30. Januar und dem 8. Mai 1945 aus. Er wird vom „Nationalkomitee Freies Deutschland für den Westen“ (CALPO) betrieben, das einen wenig erfolgreichen Versuch darstellt, an der Westfront eine Schwester­organisation des in der Sowjetunion gegründeten „Nationalkomitees Freies Deutschland“ aufzubauen. Aufgabe von Bir Hakeim ist es, die in Frankreich verbliebenen deutschen Resttruppen zu zermür­ben, indem man ihnen immer wieder vorhält, wie sinnlos ein weiterer Widerstand ist

Freie Sender aus Deutschland

Im Gegensatz zu den Sendern, die aus dem Ausland ins Hitlerreich einstrahlten, gab es nur sehr wenige Stationen, die in Deutschland selbst betrieben wurden.

Eine dieser Stationen wird vom Mechanikerlehrling Walter Klingenbeck und drei seiner Freunde betrieben. Ihr Widerstandssender nennt sich aus Protest gegen die Zerstörung der niederländischen Stadt durch die Nazis Sender Rotterdam. Die ersten Versuchs­sendungen werden mit einem Kurzwellen- und zwei Mittelwellen­sendern ausgestrahlt, die im Dreieck aufgestellt sind, um eine Anpeilung durch die Gestapo zu erschweren. Die Sendungen bestehen aus antifaschistischen Texten und Schallplattenmusik. Über diese Versuchssendungen kommt der Sender Rotterdam aber nicht hinaus. Im Januar 1942 werden alle vier Betreiber des Senders verhaftet und drei von ihnen zum Tode verurteilt.

Viele Betreiber von illegalen Sendern können nicht mit den technischen Schwierigkeiten fertig werden. Deshalb werden aus der Sowjetunion und aus England immer wieder meist junge Deutsche mit Fallschirmen über Deutschland abgesetzt, um die Schwarzfunker anzuleiten. Katja Niederkirchner beispielsweise flieht als junge Frau 1933 in die Sowjetunion. Im Krieg wirkt sie an den deutschsprachigen Sendungen von Radio Moskau mit. Schließlich wird sie als Funkerin nach Deutschland geschickt. Doch schon bald nach ihrer Landung wird sie von der Gestapo verhaftet und durch Folter zu Funkgegenspielen mit Moskau gezwungen. Sie wird 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet.

Die Schwarzsender der Sowjetunion

Wie die westlichen Alliierten so betreiben auch die Sowjets Schwarzsender in Richtung Deutschland und in Richtung der von den Deutschen besetzten Gebiete.

Der größte und bekannteste sowjetische Freiheitssender ist der Sender Freies Deutschland, eine Station, die häufig zu den „weißen“ oder „grauen“ Stationen gezählt wird, da er nie seinen Standort leugnet und sich auch offen als das ausgibt, was er ist: Als das Sprachrohr des Nationalkomitees Freies Deutschland, einer in Moskau beheimateten Organisation deutscher Emigranten, die über Lautsprechereinsätze, Flugblätter und die Zeitung „Freies Deutschland“ an der Front und über den Sender versucht, Einfluß auf den Kriegsverlauf und das Geschehen in Deutschland zu nehmen. Die Station sagt sich so an:

„Achtung! Achtung! Hier spricht der Sender Freies Deutschland auf dem 37-, 47-, 43-, 50- und 51-Meter-Band. Wir sprechen im Namen des deutschen Volkes. Wir rufen zur Rettung des Reiches! Achtung! Hier ist der Sender Freies Deutschland!“

Ähnlich verhält es sich mit dem Deutschen Volkssender. Diese Station der illegalen KPD versucht zwar anfangs den Eindruck zu vermitteln, sie stände im Reich, gibt diese Tarnung aber schon nach einem halben Jahr auf. Sie bezeichnet sich jetzt als den Nachfolger des von 1937 bis 1939 von Spanien aus arbeitenden Deutschen Freiheitssenders 29,8. Über den Volkssender kommt die gesamte Führung der KPD teilweise unter voller Namensnennung zu Wort. Er verfügt über einen großen Bekanntheitsgrad in deutschen Arbeiterkreisen. Besonders sein Kriegsgefangenendienst hat eine gewisse Resonanz. Britische Vernehmungsprotokolle von Kriegsge­fangenen belegen, daß der Deutsche Volkssender sogar bei den Soldaten der Westfront gehört wird. Die Station verfügt über eine Reihe von Untersendern, die zwar teilweise als unabhängig be­zeichnet werden, von der Praxis her aber eher als Sendereihen der „Mutterstation“ angesehen werden können. Eine dieser Stationen ist der Sturmadler – Sender deutschen Jugend, der seine enge Verbundenheit mit dem Deutschen Volkssender erst 19 Monate nach seinem Start im Februar 1942 auch nach außen hin offiziell bekundet. Sturmadler wird ab diesem Augenblick als die Jugend­sendung des Volkssenders angesagt. Ähnlich stehen der Frauen­sender und der Soldatensender („Die Heimat ruft die Front“) zum Deutschen Volkssender.

Während diese Stationen, der Sender Freies Deutschland und der Deutsche Volkssender, ein „weißes“ Programm ausstrahlen, fehlen auch die wirklich „schwarzen“ Stationen nicht im Senderreigen aus der Sowjetunion.

„Achtung! Achtung! Sie hören den Christlichen Sender auf der Kurzwelle 38,52. Katholiken! Christen! Seid stark im Kampf gegen den Antichrist! Mut und Gottvertrauen, geliebte Brüder und Schwestern in Christo!“

Der Christliche Sender, der von Victor Stern und Richard Gyptner betrieben wird, wendet sich an die deutschen Katholiken und bringt Aufrufe an diese zum Widerstand gegen den „Antichristen“ Hitler sowie Nachrichten und Kommentare über das Leben der Kirche. Immer wieder legt er seinen Hörern das Schicksal der sowjetischen und polnischen Kriegsgefangenen ans Herz. Eine Resonanz auf die Sendungen ist heute jedoch nicht mehr fest­stellbar.

Der schwärzeste aller Schwarzsender ist zweifellos die Geisterstimme. Immer wieder blenden sich die Mitarbeiter der Station in die Sendungen des offiziellen deutschen Rundfunks, z.B. in die Sendungen des Deutschlandsenders, ein und rufen Parolen wie „Mit Hitler gibt es keinen Frieden mehr!“ oder „Deutschland erwache! Hitler verrecke!“ Durch die Sendungen der Geisterstimme entsteht für die Nazis eine schwierige Lage: sie können gegen diese neuartige Art der Rundfunkpropaganda keine Störsender einsetzen, weil sie ja sonst ihre eigenen Stationen unhörbar gemacht hätten. Mit dem Betrieb der Geisterstimme will die Sowjetunion den Hörern suggerieren, daß ein weiterer Widerstand gegen die anrückenden Alliierten sinnlos sei. Die Hörer sollen sich überlegen: „Die Russen müssen wirklich schon nah sein, wenn man sie sogar schon im deutschen Rundfunk hören kann.“

„Achtung! Hier spricht der Sender der SA-Fronde! Achtung! Es spricht zu Euch der SA-Mann Hans Weber!“

Dieser Sender der SA-Fronde ist das sowjetische Gegenstück zum britischen Schwarzsender Gustav Siegfried 1. Er ist dem bri­tischen „Bruder“ stark nachempfunden, ohne jedoch dessen rüde und pornographische Ausdrucksweise zu kopieren. Der Sender der SA-Fronde soll die deutsche Kampfmoral unterminieren und Mißtrauen in den Reihen der SA und der niederen Chargen der NSDAP sähen. Der Sender wird bei den deutschen Soldaten viel gehört, wenn diese auch meist den Begriff „Fronde“ nicht richtig verstehen und die Station bei Vernehmungen in britischer Kriegsgefangenschaft als „Sender der SA-Freunde“ titulieren.

Kurz erwähnt werden sollen auch die Stationen, die sich an die deutschen Soldaten und die Zivilbevölkerung in den besetzten und verbündeten Ländern richten. Das sind der Sudetendeutsche Frei­heitssender in der Tschechoslowakei, der Volkssender Christo Botew in Bulgarien und der Sender Freies Jugoslawien. Desweiteren gibt es einige taktische Sender, die sich an Soldaten bestimmter Frontabschnitte richten. Das sind beispielsweise der Polarsender Wahrheit, der sich, wie der Name schon sagt, an den nördlichen Frontabschnitt richtet, und der Sender Baltikum, der sich an die deutschen Soldaten richtet, die im Kessel Kurland eingeschlossen sind.

Schwarzsender für Führer und Reich

1940. Die deutsche Reichswehr ist in Frankreich eingefallen und marschiert auf Paris zu. In dieser Lage stiftet ein kommunistischer Sender Panik: Radio Humanité (Wahrheit) hetzt die Bevölkerung auf, vor den deutschen Okkupanten zu fliehen:

„Flieht, flieht! Die Kapitalisten stürmen die Züge, und ihr, elend und ohne Geld, ihr bleibt auf den Bahnsteigen zurück, ohnmächtig gegen die brutale Rücksichtslosigkeit der Rei­chen. Nehmt eure Kinder und flieht, denn Paris ist verloren. Paris wird bald wie Warschau nur noch ein Haufen rauchender Trümmer sein.
Flieht, flieht, flieht nach Westen, denn das ist die einzige Richtung, in der es noch Sicherheit gibt für euch. Flieht nicht nach Süden, denn seitdem Italien in den Krieg eingetreten ist, fliehen die Menschen aus dem Süden auf das Zentrum zu.“

Was sich hier perfekt als kommunistischer französischer Sender darstellt, ist in Wahrheit ein schlaues Projekt des deutschen Propagandaministers Joseph Goebbels. Unter kommunistischer Tar­nung wird über Radio Humanité ein Massenexodus ausgelöst, der die französischen Truppen gewaltig behindert und so den Vormarsch der Deutschen erleichtert. Radio Humanité wird als der beste Coup der deutschen Propaganda im 2. Weltkrieg angesehen.

Während Radio Humanité vorgibt, von der KPF irgendwo im franzö­sischen Untergrund betrieben zu sein, besteht der Zweck eines weiteren nach Frankreich gerichteten Geheimsenders, der Voix de la Paix (Stimme des Friedens), darin, den Patriotismus und Pazifismus einer national eingestellten Gruppe zu verbreiten.

Kurz vor der Einnahme von Paris läßt Goebbels die Rundfunkpropa­ganda gegen Frankreich intensivieren. Vor allem über die starken Mittel- und Langwellensender Köln und Leipzig werden angeblich französische Stationen ausgestrahlt. Zu diesen gehören der Sender Camarade du Nord (Freund aus dem Norden) und die Voix de la Bretagne (Stimme der Bretagne), die separatistische Tendenzen vertritt und betont, daß die Stunde der Befreiung der Bretagne nahe sei.

Ähnlich wie die Sendungen von Radio Humanité sind die Programme eines nach Griechenland gerichteten Schwarzsenders, des Senders Patris (Vaterland), aufgebaut. Die Station steht angeblich in den Bergen bei Athen und gibt vor, von einer politischen Geheim­organisation „unparteiischer junger wahrer Patrioten, die in der Stunde der Not Koalition mit allen Parteien erstreben“ betrieben zu sein. Sein wichtigstes Propagandamittel sind Greuelmeldungen über die Engländer, so z.B. am 19. April 1941:

„Hier ist der unabhängige griechische Sender Patris! Hier spricht die Stimme der Zukunft! Hier spricht Hellas zu Hellas! Griechenland lebt und wird leben! Brüder, seid auf der Hut! Die Stunde verlangt es!
Athener! Trinkt kein Wasser! Die Engländer haben ein fast unglaubliches Vorhaben ausgeführt. Beamte des englischen Geheimdienstes haben den Marathon-See von der Nordostseite her mit Typhusbazillen infiziert, um den Deutschen einen englischen Empfang zu bereiten! Daß dabei nicht nur die Deutschen, sondern viele Tausende von Athenern zu Grunde gehen, ist den Briten gleichgültig! Athener, wir warnen euch! Männer, Frauen, Kinder! Nehmt keinen Tropfen Wasser auf die Lippen, es sei denn, daß auch ihr für die englische Verbrecherpolitik sterben wollt!“

Direkt an die Menschen, die unter der „englischen Verbrecher­politik“ in Großbritannien leben, richten sich einige andere deutsche Schwarzsender. Eine dieser Stationen ist die New British Broadcasting Station (NBBS), die ihre Sendungen am 25. Februar 1940 beginnt und bis in die letzten Kriegstage hinein sendet. Über diesen Sender spricht auch der bald in England berühmte „Lord Haw-Haw“ William Joyce. In einem britischen Abhörbericht vom 31. August 1942 heißt es über NBBS:

„Der Sender hat viele Sensationsmeldungen gebracht, unter anderem die angebliche Enthüllung eines Berichtes von General Ironside über die Schwierigkeiten, eine deutsche Landung abzuwehren; einen Bericht über den Verlauf einer Geheimsitzung der britischen Regierung, auf der angeblich die Aktivitäten des Senders behandelt worden waren; Enthül­lungen über deutsche Invasionspläne; Anweisungen für die erste Hilfe (wobei in sehr drastischer Weise die Verlet­zungen dargestellt wurden, die als Folge deutscher Luftan­griffe eintreten konnten) und verschlüsselte Botschaften für angebliche Anhänger der Deutschen in diesem Land… Die allgemeine Tendenz des Senders ist faschistisch.“

Einige Zeit nach der Inbetriebnahme der NBBS beginnen weitere Stationen ihre Arbeit: Der Sender Caledonia wird angeblich von schottischen Nationalisten betrieben und strahlt seine auf Schottland zugeschnittenen Programme ab dem 27. Juni 1942 täglich eine halbe Stunde lang ab. Ihm folgt am 7. Juli Worker’s Challenge, das angeblich von linken Revolutionären betrieben wird. Seine Programme enthalten „Sozialrevolutionäre Arbeiter- ­und antikapitalistische Zersetzungspropaganda“, die sich an radi­kale Schichten der britischen Arbeiterschaft richtet und ver­sucht, Unruhe und Unfrieden zu stiften. Schließlich gibt es noch den Sender Christian Peace Movement (Christliche Friedensbewe­gung), der seine Programme am 15. August 1940 beginnt und knapp zwei Jahre lang sendet. Über die Sendungen weiß der britische Abhördienst zu berichten:

„Die Sendungen erfolgten oft in der Form einer religiösen Feier. Sie begannen mit einem Choral und brachten Bibel­lesungen, Gebete und eine lange, umständliche und unlogische Predigt des Sprechers. Er ging dabei auf die Schrecken der gegen die Zivilbevölkerung geführten Bombenangriffe ein und appellierte, indem er sich auf die Bibelstelle ‚Selig sind die Friedfertigen‘ berief, an alle wahren Christen, sie sollten sich weigern, die Kriegsanstrengungen in irgendeiner Weise zu unterstützen, um so die Regierung zum Friedens­schluß zu zwingen.“

Mit ihren englischsprachigen Schwarzsendern haben die Deutschen erheblich größere Schwierigkeiten als mit den nach Frankreich gerichteten Stationen. Zum einen fehlt das geeignete Personal und zum anderen verfügt man nicht über das Nachrichtenmaterial, das Grundlage für provozierende Aufrufe hätte bilden können.

Einige Zeit lang gibt es auch einen deutschen Schwarzsender für die besetzten Niederlande. Die Sendungen von Der Nußknacker werden aber schon nach sehr kurzer Zeit wieder eingestellt, da ihn der Sender der niederländischen Exil-Regierung, Radio Oranje, als Nazi-Sender entlarvt und es wenig wahrscheinlich ist, daß unter der starken Kontrolle der deutschen Besatzer ein Unter­grundsender existieren könnte.

Auch in Richtung Sowjetunion wird aus Berlin schwarz gefunkt. Der Sender Alte Garde Lenins bringt „gegen Stalin gerichtete leni­nistische Zersetzungspropagand“a (Die in diesem Abschnittangeführten Charakterisierungen der Stationen entstammen Dokumenten der Reichsrundfunkgesellschaft, RRG) und beginnt seine Sendungen am 29. Juni 1941. Seine tägliche Sendezeit beträgt eine Stunde. Seit dem 30. Juni 1941 strahlt der Sender Für Rußland seine „gegen den Bolschewismus gerichtete nationale, großrussische Zersetzungs­propaganda“ ab, und das 40 Minuten am Tag. Schließlich gibt es auch den Agentensender, der Mitteilungen an angebliche oder wirkliche Agenten ausstrahlt.

In den arabischen Raum strahlt ebenfalls ein Schwarzsender: Die Stimme des Freien Arabiens verbreitet eine hauptsächlich auf Ägypten abgestellte, „anti-britische und den pan-arabischen Gedanken betonende Freiheitspropaganda“ und strahlt diese ab dem 9. Mai 1941 täglich 30 Minuten ab.

Nach Indien funkt der Sender Freies Indien. Er gibt sich als die „Stimme der Befreiungsbewegung Subhas Chandra Boses“ aus. Seine Sendungen sind gegen den „anglo-amerikanischen Imperialismus“ gerichtet und verlangen die Befreiung Indiens.

Im eigentlichen Sinne ist der Sender der Freien Amerikaner kein Geheimsender. Er ist das angebliche Organ einer in Europa lebenden Gruppe von Amerikanern, die gegen die „Katastrophen­politik Roosevelts“ eingestellt sind. Daß der Sender in den USA gehört wird, ergibt sich nach Ansicht des Berliner Concordia-Büros aus der Tatsache, daß ihn die amerikanische Presse als Nazi-Sender zu entlarven versucht.

Gegen Ende des Krieges richtet Goebbels seine Propaganda weniger an die feindliche Zivilbevölkerung. Wichtigste Zielgruppe der deutschen schwarzen Rundfunkpropaganda sind jetzt die alliierten Armeen. So senden die fahrbaren Sender Arnheim, Berta, Gustav und wie sie alle heißen mit je 20 kW gegen die anrückenden Briten und Amerikaner. Mehr als kleine punktuelle Erfolge können diese Sender aber nicht für sich verbuchen.

Die letzte Schlacht des Dr. Goebbels

Der Sender Werwolf

„Wir sind die Stimme der deutschen Freiheitskämpfer! Sie hören uns jeden Abend ab 19.00 Uhr mit wichtigen Nachrichten auf der Welle 1339 Meter, 224 kHz!“

Am 1. April 1945, es ist Ostersonn tag, meldet sich zum ersten Mal über den Rundfunk eine Bewegung zu Wort, die sich Werwolf nennt und sich einem Motto verschrieben hat, das im „Völkischen Beobachter“ so zitiert wird: „Haß ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei!“ Auf der alten Welle des abgeschalteten Deutsch­landsenders ruft ein „erfahrener Werwolf“ dazu auf, schnell zu handeln:

„Errichtet Sperren und Fallen auf den Straßen, entfernt die Ortstafeln, beseitigt oder vertauscht die Wegweiser … Telefon- und Telegraphenleitungen sind für uns gebaut, nicht für den Feind. Zerstört sie! … Die Waffe in der Hand des Feindes bedeutet Tod für unser Volk. In eurer Hand sichert sie die Freiheit des Volkes! … Die materielle Überlegenheit unseres Feindes ist nur seine Brust, im Rücken ist er leicht zu verwunden. an die Arbeit, Werwölfe! … Wir Werwölfe geben alles für unser Volk! Und wenn wir nichts mehr zu geben haben als unser Leben, so sterben wir eben für das Volk! Wichtig ist nur, daß unser Volk rein und groß und untadelig aus diesen dunklen Zeiten hervorgeht! … Der Kampf der Werwölfe erobert ein Volk in Freiheit!“

Goebbels gibt auch in den letzten Kriegstagen nicht auf. Mit dem Sender Werwolf, der „Stimme der deutschen Freiheitsbewegung“, der sich einzelner Bluttaten rühmt, die der „freie deutsche Werwolf“ begangen haben soll, startet er zum letzten Mal einen aussichts­losen Versuch, dem verlorenen Krieg noch eine andere Wendung zu geben. Der Dichter Thomas Mann kommentiert den Sender Werwolf in einer seiner Ansprachen über die Londoner BBC so:

„Das Volk soll Amok laufen für sie! Der Werwolf soll die deutsche, die Nazi-Freiheitsbewegung heißen – eine geübte Gaunerpsychologie spekuliert mit dem Namen auf Instinkte der Volksseele, die sie von jeher frech und kalt ausgebeutet hat: den Sinn für das Urtümliche, das Vor-Vernünftige und Vor-Christliche , Sagen- und Märchendunkle.“

Hilferufe aus der Hölle

Illegale Sender im KZ

8. April 1945. Nervös sitzen Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald an einem illegalen Sender und tasten einen Funkspruch in deutscher, englischer und russischer Sprache:

„An die Alliierten! An die Armee des Generals Patton! Hier Konzentrationslager Buchenwald! S.O.S.! Wir bitten um Hilfe! Man will uns evakuieren! Die SS will uns vernichten“

Schon seit 1940 bauten die Häftlinge an verschiedenen Sendern und strahlten auch einige Testsendungen aus. Wie man sich vorstellen kann, ist der Bau und die Installierung eines Senders in einem Konzentrationslager mit gewaltigen Schwie­rigkeiten verbunden. Beispielsweise mußten die Häftlinge ja die Bauteile des Senders beschaffen oder eine Antenne errichten und gut verstecken. Doch die Häftlinge schafften es, drei Sender zu bauen.

Der erste illegale Sender

Im Herbst 1939 häuft die SS Hunderte von Radios aus der sogenannten „Judenaktion“ in Buchenwald an. Durch unsachgemäßen Transport und falsche Lagerung sind viele dieser Geräte so defekt, daß sie „ohne Abgleich mit einem Meßgenerator nicht repariert werden können“ (Häftlingselektriker Reinhold Lochmann). Andererseits aber drängt die SS auf die schnelle Instandsetzung der beschlagnahmten teuren Apparate.

Die Aussicht auf persönliche Bereicherung und auf Gunstbezeu­gungen gegenüber Vorgesetzten führt bald zu einer offiziellen Genehmigung, die den Selbstbau eines solchen Meßgenerators in der Elektrikerwerkstatt legalisiert. Allerdings vermeiden die Häft­lingselektriker bewußt die Bezeichnung „Meßsender“. Der Begriff „Meßgenerator“ wirkt bei der fachlichen Ignoranz der SS-Aufseher weniger verfänglich.

Der fertige Meßgenerator ist verwendbar als
– Meßmittel zum Abgleich für KW, MW und LW
– NF-Verstärker
– Netzgerät
– Empfänger
und eben auch als
– Sender im KW-, MW- und LW-Bereich

Bei der Vorbereitung und Durchführung der ersten Abstrahlungsversuche handeln die Häftlinge zunächst aus eigener Initiative. Ihre Einschätzungen bringen dies eindeutig zum Ausdruck:

Herbert Morgenstern: „Mit dem Wunsch nach einem Meßsender kam bei unseren Genossen die Idee auf, ein solches Gerät zugleich in bestimmten Situationen als KW-Sender zu benutzen. “

Armin Walther: „Nach Fertigstellung des Meßgenerators waren wir an seiner Leistungsfähigkeit interessiert. Wir wollten sehen, was in dem Gerät drinsteckt. “

Die erste Testsendung wird Anfang 1940 über eine Entfernung von etwa zwei Kilometern zwischen der Elektrowerkstatt und einer SS-Kaserne durchgeführt. Die HF-Energie strahlen die Elektriker unmoduliert über die Radioantenne der E-Werkstatt ab. Vorher erfolgt eine Verabredung über Uhrzeit und etwaige Lage im Kurzwellenbereich. Als Kontrollgerät auf der Empfangsseite in der SS-Kaserne benutzen die Elektriker ein SS-eigenes Rundfunkgerät vom Typ Körting „Supra-Selector.

Über das Ergebnis der Testsendung sagt der Techniker Reinhold Lochmann: „Die Hochfrequenzenergie war so stark wie bei einem starken KW-Sender. Dies war sichtbar am Ausschlag der Abstimm­anzeigeröhre am ‚Supra-Selector ‚. Daraus ist zu schließen, daß die ausgestrahlte Energie genügte, um eine größere Entfernung von 20 bis 30 km zu überbrücken.“

Die zweite Testsendung im Frühjahr oder Sommer 1940 enthält erstmals einen gesprochenen Text. Unter Benutzung eines getarnten Mikrofonanschlusses am Meßgenerator senden die Elektriker die Zahlenkladde von 1 bis 10 und einen völlig unverdächtigen Sprachtext aus wenigen Sätzen. Unter dem Vorwand einer periodisch anstehenden Überprüfung der Empfangsanlage einschließlich des Rundfunkgerätes in der Wohnung des SS-Kommandoleiters in der SS-Siedlung Klein-Obringen findet im Sommer oder Herbst 1940 die dritte Testsendung statt. Die Entfernung vom Sender zum Empfänger beträgt 7,5 km.

In der Baracke schließen die Elektriker Helmuth Wagner und Herbert Morgenstern die Musikwiedergabe einer Schallplatte an den Modulationseingang des Meßgenerators an – und auf der Gegenseite hört die Reparaturkolonne der Häftlings-Elektriker zur verein­barten Zeit in der Wohnung des SS-Kommandoleiters die bewußte Schallplattenmusik. Auch hier soll es noch gute Resultate gegeben haben .

Dieser erste illegale Kurzwellensender wird noch durch die Elektriker betrieben. Aber mit der Schaffung einer illegalen Militärorganisation im KZ Buchenwald müssen auch Nachrichten­mittel geschaffen werden, die nur dieser Militärführung zur Verfügung stehen. So wird der zweite Sender geschaffen.

Der zweite illegale Sender

Der zweite illegale Kurzwellensender wird ab dem Herbst 1943 gebaut und auf die Welle der englischen kämpfenden Bodentruppen, 36,8 Meter, abgestimmt. Testsendungen werden mit diesem Sender anscheinend jedoch nicht ausgestrahlt.

Der dritte illegale Sender

Im Herbst 1944 steht die Rote Armee an der Weichsel, die westlichen Alliierten erreichen den Rhein. Vor dem endgültigen Zusammenbruch sollen nach den Plänen der SS noch Zehntausende der in den KZs eingepferchten Häftlinge den Tod im Massengrab finden.

Im Spätherbst beschließt die illegale Parteileitung der KPD im KZ Buchenwald, einen dritten Sender zu bauen. Angesichts der Lage an den Fronten muß der zu errichtende Sender in erster Linie dazu dienen, eine Verbindung mit den zum letzten Schlag rüstenden alliierten Armeen herzustellen. Um dies gewährleisten zu können, müssen Tarnung und Betriebssicherheit den Einsatz des Gerätes zu jeder Zeit garantieren, darf der Sender weder von den Wächtern noch von den 30.000 Häftlingen entdeckt werden, die Sendeanlage muß ausreichende Leistung und stabile Frequenzkonstanz sichern, damit die Armeefunker der Alliierten den Funkspruch in aus­reichender Zeichenqualität aufnehmen können. Schließlich muß verhindert werden, daß die Technikergruppe durch irgendwelche Maßnahmen der SS auseinandergerissen wird oder an Orten außerhalb des Lagers zum Einsatz kommt.

Der Sender wird in den Zwischenwänden einer Kinokabine im KZ untergebracht. Was für eine Leistung, diese Arbeit unter der ständigen Beobachtung durch die SS unbemerkt durchzuführen!

Am 8. April 1945 soll das gesamte Lager nach dem Willen des SS-Obergruppenführers Pister ins Unbekannte evakuiert werden. Die Häftlinge verweigern den Befehl zum Aufmarsch. Die seit Tagen durch das illegale Internationale Lagerkomitee (ILK) bewußt betriebene Desorganisation des Befehlsapparates der SS-Lager­leitung verstärkt sich und erschwert es den SS-Führern, die Evakuierung nach den geplanten Terminen und Größenordnungen durchzusetzen. Die amerikanischen Panzer stehen nur noch zwei Tages-Gefechtsmärsche von Buchenwald entfernt.

In dieser Situation erteilen die Parteileitung der KPD und der Leiter des ILK den Befehl, mit dem Sender einen Funkspruch abzusetzen und eine Verbindung mit den Alliierten herzustellen. Der Befehl wird überbracht und der Sender in höchstens einer Stunde betriebsbereit gemacht.

Etwa zwischen 9 und 10 Uhr beginnt dann die Sendung, deren Text wir bereits oben zitiert haben.
Doch nach dem ersten Anruf erhalten die Funker keine Antwort einer Gegenstelle.
15 Minuten später wird die Sendung wiederholt. 25 Mal (gegenüber 7 Mal in der ersten Sendung) wird das Rufzeichen KL-BU (Konzentrationslager Buchenwald) getastet. Und zwei bis drei Minuten nach dieser Sendung kommt Antwort:

„KL-BU! Ausdauern! Wir kommen zu Hilfe! Kommando (oder Oberkommando) der III. Armee!“

Aber die Amerikaner kommen nicht. 40 bis 45 km entfernt von Buchenwald bleiben sie bei Gotha stehen, obwohl ihnen kein Feind gegenüber steht. Warum kommen sie nicht, um die vom Tode bedrohten Franzosen, Belgier, Sowjets, Italiener, Tschechen, Polen und Deutschen zu befreien? Ist dieser Satz aus den Memoiren des General Patton ein Hinweis darauf: „Meine einzige Aufgabe bestand darin, zu verhindern, daß sich Deutschland dem Bolschewismus in die Arme warf“ ?

Die Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald befreien sich selbst.

Links

Freiheitssender

Deutsches Rundfunk-Archiv: Stimme des republikanischen Spaniens

Verlag Rainer Pinkau: Die Geschichte der Geheimsender

Deutsches Rundfunk-Archiv: Walther von Seydlitz beim Sender Freies Deutschland

Sozialistische Jugend – Stamokap: Wilhelm Pieck beim Sender Freies Deutschland

Sender der Alliierten gegen Hitler-Deutschland

Wikipedia: Radio Moskau / Stimme Rußlands

Moskauer Deutsche Zeitung: Verbotene Nachrichten aus dem Volksempfänger

BBC: The BBC at War

Deutsches Rundfunk-Archiv: „Hier ist England“ (Erste deutschsprachige Sendung)

Deutsches Rundfunk-Archiv: Annemarie Hase als Frau Wernicke bei BBC London

Wikipedia: Soldatensender Calais

infoBitte: Soldatensender Calais

netzwelt.de: Soldatensender Calais

Seftondelmer.co.uk: Soldatensender Calais

Wikipedia: Sefton Delmer

Nazi-Rundfunk

Wikipedia: Der Rundfunk im Dritten Reich

Wikipedia: Großdeutscher Rundfunk

WDR: Hörfunk und Fernsehen in der Nazi-Zeit

Bayerischer Rundfunk: Unterhaltung bis zum bitteren Ende. Joseph Goebbels und das Radio

Shoa.de: Die Gleichschaltung der Medien im Dritten Reich

Deutsches Rundfunk-Archiv: Neue Schallfolie vom sogenannten „Volkssender“

Deutsches Rundfunk-Archiv: Einzige Rundfunkreportage aus einem Konzentrationslager

Deutsches Rundfunk-Archiv: Einzige Tonaufnahme des deutschen Geheimsenders Radio Humanité

Rundfunk und Geschichte 27: „Radio Humanité, der Sender der revolutionären Arbeiterbewegung“

Michael Hensle: „Rundfunkverbrechen“ vor nationalsozialistischen Sondergerichten

O-Töne

SWR: Moments of History (1930-1939)

SWR: Moments of History (1940-1949)

Deutsches Historisches Museum: Lale Andersen singt Lili Marleen (1939)

Deutsches Historisches Museum: Lili Marleen bei der BBC London

Deutsches Historisches Museum: Hugh Carlton Greene bei BBC London (1941)

Deutsches Historisches Museum: Thomas Mann bei BBC London (1941)

Deutsches Historisches Museum: Marius Goring bei BBC London über die Vernichtung der Juden (1942)

Deutsches Historisches Museum: Nachrichten der Stimme Amerikas

Deutsches Historisches Museum: Anita Lasker bei BBC London über Auschwitz und Bergen-Belsen (1945)