Sánchez’ Dilemma

Mit einer besonders hohen Wahlbeteiligung haben die Wähler in Spanien am Sonntag eine Regierung der drei Rechtsparteien verhindert. Im Vorfeld hatte eine Koalition der postfranquistischen Volkspartei (PP) und der sich liberal gebenden Ciudadanos (Bürger) unter Beteiligung der neu ins Parlament eingezogenen Vox-Faschisten im Raum gestanden. Ein solches Horrorszenario ist verhindert worden. Das ist die gute Nachricht des Tages.

Als Sieger fühlen kann sich die »Sozialistische Arbeiterpartei« PSOE – ein für Europas Sozialdemokraten selten gewordenes Erfolgserlebnis. Sie hat diesmal viele Stimmen von Menschen bekommen, die Angst vor einer protofaschistischen Regierung hatten. Hinzu kam der Einbruch der von Korruptionsskandalen zerrütteten PP, die gegenüber 2016 die Hälfte ihrer Stimmen und Mandate verloren hat. Ihr weiteres Schicksal steht auf der Kippe. Setzt sich ihr Debakel bei der EU-Wahl Ende Mai fort, könnte sie komplett von der Bildfläche verschwinden. Die Konkursmasse dürfte sich dann, wie schon bei dieser Wahl teilweise geschehen, auf die Faschisten und die kaum weniger nationalistischen Rechtsliberalen aufteilen. Besser wird dadurch gar nichts.

Die Sozialdemokraten müssen sich nun entscheiden. Für eine Zusammenarbeit mit dem Linksbündnis Unidas Podemos könnte es nur reichen, wenn diese Koalition die Unterstützung von Regionalparteien gewinnt. Inhaltlich wäre das durchaus möglich, programmatische Schnittmengen etwa mit der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) – auf deren Liste unter anderem der Generalsekretär der Comunistes de Catalunya, Joan Josep Nuet, in das spanische Parlament eingezogen ist – oder der baskischen EH Bildu wären vorhanden. Für eine solche Konstellation müsste die PSOE ihren regionalen Partnern aber in der Frage des Selbstbestimmungsrechts entgegenkommen. Daran ist jedoch schon Sánchez’ bisherige Minderheitsregierung gescheitert. Sollte es aber zu einem Kompromiss und zu einer solchen Regierungsbildung kommen, müssten die PSOE und Ministerpräsident Pedro Sánchez mit scharfen Angriffen von rechts rechnen, sie hätten vor den »Separatisten« kapituliert und brächten die »Einheit Spaniens« in Gefahr. Auf die Loyalität seiner eigenen Partei könnte Sánchez in einer solchen Situation nicht rechnen, denn manche Provinzfürsten würden ihren Chef liebend gerne absägen. Sogar im Bündnis mit der äußersten Rechten.

Wie wir die Sozialdemokraten kennen, wird Sánchez auch deshalb nicht genug Rückgrat für den Versuch einer Linksregierung aufbringen. Wahrscheinlicher ist, dass er sich – vermutlich erst nach der EU-Wahl – um eine Allianz mit den Ciudadanos bemühen wird. Das wäre auch die Präferenz von Berlin, Brüssel und den spanischen Großkonzernen. Einen Schwenk hin zu einer sozialeren Politik gäbe es bei einer solchen Konstellation allerdings nicht.

Erschienen am 30. April 2019 in der Tageszeitung junge Welt