Millionen gegen Madrid

Rund zwei Millionen Menschen haben am Dienstag abend in Barcelona für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien demonstriert. Zu der Kundgebung am Nationalfeiertag, der Diada Nacional, hatte die »Katalanische Nationalversammlung« aufgerufen, ein im März gegründetes Personenallianz. Unterstützt wurde die Aktion durch die meisten Parteien, von der linken ICV-EUiA bis hin zur konservativ-nationalistischen Regierungsallianz CiU. Deren Chef Artur Mas lobte am Mittwoch die Demonstration und erklärte, er sei »zutiefst stolz, in diesem Augenblick Präsident dieses Landes zu sein«. Sein Kabinett hat im katalanischen Parlament jedoch keine Mehrheit und ist auf die Unterstützung der rechten, in der Tradition des Franco-Regimes stehenden Volkspartei (PP) angewiesen. Diese Partei, die auch die spanische Zentralregierung in Madrid stellt, sprach sich gegen die Großdemonstration aus und warf Mas vor, die »schweigende Mehrheit« der Katalanen, die für einen Verbleib der Region im spanischen Staat seien, auszugrenzen. Einer vor wenigen Tagen von der Generalitat, der Regionalregierung, veröffentlichten Meinungsumfrage zufolge würden sich derzeit jedoch bei einem Referendum mehr als 51 Prozent der Befragten für die Unabhängigkeit aussprechen, nur 21 Prozent dagegen.

Auslöser für die besondere Anziehungskraft des diesjährigen Nationalfeiertags, der an die Belagerung Barcelonas durch die Truppen Philipp V. im Spanischen Erbfolgekrieg und an die Kapitulation der Stadt am 11. September 1714 erinnert, ist die Wirtschaftskrise Spaniens. Eine Mehrheit der Katalanen macht Madrid auch für die eigenen Probleme verantwortlich und geht davon aus, daß die Lage in einem unabhängigen Katalonien besser wäre. Tatsächlich muß die autonome Region mehr Steuereinnahmen an Madrid abgeben, als sie Mittel von dort zurückbekommt. Man habe zwar nichts dagegen, ärmere Regionen Spaniens zu unterstützen, wolle aber nicht auf diese Weise etwa das Königshaus finanzieren und dafür sogar noch Streichungen von Sozialleistungen hinnehmen, hieß es dazu von Unterstützern der Unabhängigkeitsbewegung.

»Jahrelang hat Spanien sein marodes Wirtschaftssystem dank der in Katalonien erwirtschafteten Steuern aufrechterhalten können«, kritisierte etwa die Republikanische Linke (ERC). Deren Vorsitzender Oriol Junqueras forderte Regierungschef Mas auf, das Bündnis mit der PP aufzukündigen und eine Allianz mit der ERC einzugehen, um den patriotischen Tönen Taten folgen zu lassen. Auch der Koordinator der Vereinigten und Alternativen Linken (EUiA), dem katalanischen Pendant zur spanischen Izquierda Unida (IU), Joan Josep Nuet, forderte Mas auf, seine für den 20. September geplante Unterredung mit Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy zu nutzen, um sich von der PP abzusetzen und für ein »katalanisches Modell des Auswegs aus der Krise« einzutreten, das auch die Kürzungen in Frage stellen müsse.

Erschienen am 13. September 2012 in der Tageszeitung junge Welt