Bayern deportiert Kranke

Die Vereinten Nationen haben am Dienstag erneut auf die hohe Zahl ziviler Opfer in Afghanistan aufmerksam gemacht. Allein im ersten Halbjahr 2019 seien 1.366 Menschen getötet und 2.446 verletzt worden, teilte die UN-Unterstützungsmission für Afghanistan (UNAMA) mit. Das sei ein Rückgang um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum – der allerdings nur darauf zurückzuführen sei, dass aufständische Gruppen 43 Prozent weniger Opfer verursachten. Dagegen sei die Zahl der von den Regierungstruppen und ihrer ausländischen Verbündeten – unter ihnen die deutsche Bundeswehr – getöteten und verwundeten Zivilisten um 31 Prozent gestiegen. Das sei »schockierend und nicht hinnehmbar«, heißt es in der Pressemitteilung der UNAMA. Durch die Regierungstruppen und ihre ausländischen Unterstützer seien 717 Menschen getötet worden, 531 durch die Dschihadistenmilizen Taliban und »Islamischer Staat«. Ein Drittel aller Opfer waren dem Bericht zufolge Kinder.

Trotz der dramatischen Lage sollte am Dienstag erneut ein Flugzeug mit in Deutschland unerwünschten Menschen vom Flughafen Leipzig-Halle nach Kabul starten. »Nach den Erfahrungen mit den letzten Flügen werden keineswegs nur Straftäter die Zwangspassagiere sein, sondern auch Unbescholtene, die sich aus guten Gründen Hoffnungen auf eine Zukunft in Deutschland gemacht haben«, schrieb die Menschenrechtsorganisation »Pro Asyl« dazu am Montag in einer Pressemitteilung. Mindestens zwei der Betroffenen sollen schwer krank sein, wie der Bayerische Flüchtlingsrat (BFR) am Dienstag mitteilte. Einer sei am Dienstag morgen in Bayreuth aus der Psychiatrie zur Abschiebung abgeholt worden, obwohl ihm die Ärzte Depression, Traumatisierung und Selbstmordgefährdung attestiert hätten. Einem weiteren Mann wird eine eingeschränkte geistige Entwicklung bescheinigt, trotzdem sollte auch er am Dienstag nach Kabul abgeschoben werden. »Das Landesamt für Rückführung hat an dieser Abschiebung nichts auszusetzen, auch wenn ernste Zweifel bestehen, dass dieser junge Mann sich in Kabul in irgendeiner menschenwürdigen Weise am Leben erhalten kann«, so der BFR. Sein Sprecher Stephan Dünnwald appellierte an den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU), die Abschiebung von psychisch Kranken nach Kabul zu stoppen. Sie sei menschlich nicht vertretbar. »Es drängt sich der Eindruck auf, dass hier hilfsbedürftige Menschen einfach ›abserviert‹ werden sollen«, so Dünnwald. Für den Abend war in München eine Protestkundgebung gegen die Abschiebungen nach Afghanistan angekündigt.

Für die Tötung von zwei US-Soldaten in Afghanistan am Montag ist nach Behördenangaben ein afghanischer Soldat verantwortlich. Wie ein Sprecher der Polizei der Provinz Kandahar am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP sagte, habe sich die Tat während eines Besuchs von US-Streitkräften auf einer afghanischen Militärbasis ereignet. Das Pentagon hatte am Montag lediglich mitgeteilt, dass zwei Soldaten »im Einsatz« ums Leben gekommen seien. In diesem Jahr wurden damit bereits zwölf der 14.000 in Afghanistan stationierten nordamerikanischen Soldaten getötet. US-Präsident Donald Trump hatte vor seiner Wahl angekündigt, die 2001 am Hindukusch einmarschierten Truppen abzuziehen. Sein Außenminister Michael Pompeo bekräftigte nun, dass dies noch vor der nächsten Präsidentschaftswahl im November 2020 geschehen werde. Trump sei eindeutig gewesen: »Beenden Sie den endlosen Krieg, starten Sie den Abzug.«

Erschienen am 31. Juli 2019 in der Tageszeitung junge Welt