Zwei Welten

Eine Reise in zwei Welten. Papst Benedikt XVI. hat bei seinem Besuch in Mexiko zum »Schutz der Kinder« vor dem »Bösen« aufgerufen. Damit bezog er sich jedoch nicht auf die auch in dem Land an der Grenze zu den USA bekanntgewordenen Fälle von sexuellem Mißbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche. Treffen mit Opfern des Skandals verweigerte das Kirchenoberhaupt und vermied auch jede Erwähnung der Taten in seinen Ansprachen. Statt dessen präsentierte er sich in dem von Gewalt geschüttelten Land als Friedensbringer. Die Welt müsse auf dem Weg der atomaren Abrüstung vorankommen. Außerdem traf er sich mit Angehörigen von Opfern der organisierten Kriminalität. Der Handel mit Kleinwaffen müsse bekämpft werden, erklärte der Papst und unterstützte damit eine Forderung von Mexikos Staatschef Felipe Calderón an den großen Nachbar im Norden. Die USA gelten nicht nur als Hauptabnehmer von Rauschgift aus Lateinamerika, sondern auch als Hauptlieferant von Waffen für die Kartelle. Der von Calderón ausgerufene »Krieg gegen die Drogen« hat in den vergangenen fünf Jahren mehr als 50000 Menschen das Leben gekostet.

Auf eine völlig andere Welt wird der Papst ab heute in Kuba treffen, nicht nur weil hier nicht mehr als zehn Prozent der Bevölkerung Anhänger des Katholizismus sind. Ausufernde Gewalt und straflos bleibende Verbrechen wie in Mexiko sind auf der Insel praktisch unbekannt. Das Land ist arm, aber anders als in Mexiko oder den USA werden die Menschen vom Staat nicht im Stich gelassen. Vom kubanischen Gesundheits- und Bildungswesen könnten sich auch die beiden um vieles reicheren Nachbarländer eine Scheibe abschneiden.

Zwar hat der Papst in Mexiko erneut gegen die »Vergötterung des Geldes« gepredigt. Trotzdem wird der heutige Benedikt XVI., der als Kardinal Joseph Ratzinger und Chef der Glaubenskongregation führend am Kampf gegen die lateinamerikanische Befreiungstheologie beteiligt war, nicht anerkennen, daß die Errungenschaften Kubas die Folge der Revolution und das Ergebnis von fünf Jahrzehnten sozialistischem Aufbau sind. Schließlich erklärte der Chef des letzten absolutistisch regierten Staates Europas ja bereits, daß »die marxistische Ideologie im heutigen Kuba nicht länger der Realität« entspreche. Aber vielleicht traut sich Benedikt zumindest so viel wie sein Amtsvorgänger Johannes Paul II. bei dessen Besuch 1998 und verurteilt die US-Blockade gegen die Insel. Das jedenfalls befürchten die Konterrevolutionäre in Miami (und in Kuba), die seit Wochen wütend gegen die Visite wettern. Dabei haben sie, die sich so gerne als arme, verfolgte Gläubige präsentieren, selbst den Zorn der Kirche auf sich gezogen, als sie mehrere Gotteshäuser besetzten. Diese dürften nicht als »politische Schützengräben« mißbraucht werden, protestierte das Erzbistum und bat die kubanische Polizei um die Räumung der Gebäude. Und dann wundern sich die Herrschaften, daß der Papst kein Interesse an einem Treffen mit ihnen hat?

Erschienen am 26. März 2012 in der Tageszeitung junge Welt