Zwei Gesichter der Hilfe aus den USA

Die Verzweiflung in dem durch das Erdbeben vom 12. Januar zerstörten Haiti schlägt zunehmend in Protest gegen die schleppende Versorgung der Bevölkerung um. Mehr als drei Wochen nach der Katastrophe sind am Mittwoch Hunderte Menschen gegen Korruption und die Unterschlagung von Hilfsgütern auf die Straße gegangen. In Petionville, einem Vorort der Hauptstadt Port-au-Prince, riefen hungrige Demonstranten auf der Straße im Chor: »Sie haben den Reis gestohlen!« Auslöser für den Protest waren Gerüchte, wonach die örtlichen Behörden einen Container mit Reis unterschlagen haben sollen. Gegenüber dem örtlichen Rundfunksender Radio Metropole kritisierten Demonstranten außerdem, daß Regierungsvertreter für die Ausgabe von Berechtigungsscheinen für die Lebensmittelhilfen des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen Schmiergelder in Höhe von umgerechnet vier US-Dollar verlangten. Diese Berechtigungsscheine hatte das WFP mit der Absicht eingeführt, für eine gerechtere Verteilung der Lebensmittel zu sorgen. Zuvor war es immer wieder zu chaotischen Situationen gekommen, als sich stärkere Personen in der Menge der auf Hilfe wartenden Menschen vordrängten, wäre Schwächere leer ausgingen. Diese Methode funktioniere im großen und ganzen, abgesehen von Einzelfällen des Mißbrauchs, erklärten UN-Mitarbeiter dem AP-Korrespondenten Paisley Dodds. Es seien jedoch Berichte bekannt, »daß unsere Coupons weiterverkauft wurden, und wir haben auch gehört, daß es Fälschungen geben soll«, räumte WFP-Sprecherin Jennifer Parmelee ein. »Allerdings ist das nach den Erfahrungen unserer Kooperationspartner, die die Verteilung übernommen haben, kein weit verbreitetes Phänomen.« Mit der Ausgabe von Bezugsscheinen vor allem an Frauen solle sichergestellt werden, daß die Hilfe auch bei den Familien landet, wo sie dringend gebraucht wird. Das WFP hat nach eigenen Angaben mit dem Couponprogramm bislang 300000 Menschen erreicht. Hilfe brauchen allerdings mehr als zwei Millionen Haitianer.

Ausländische Journalisten warfen der US-Armee die Unterdrückung der Proteste vor. Ein französischer Fotograf in Port-au-Prince berichtete, US-Soldaten hätten am Rande einer Lebensmittelverteilung einen protestierenden Demonstranten zusammengeschlagen. »Anschließend kam der Soldat zu mir und sagte: Das hast du hoffentlich nicht fotografiert«, berichtete der Reporter. Einem haitianischen Journalisten sei sogar die Kamera weggenommen und mehrere Bilder von einer Demonstration gegen die US-Truppen seien gelöscht worden. Journalistenverbände sprachen deshalb von Zensur.

Unterdessen haben sich sechs Ärzte aus den USA den kubanischen Medizinern angeschlossen, die in Haiti Hilfe leisten. »Wir wurden an der Lateinamerikanischen Medizinschule (ELAM) in Kuba ausgebildet und sind gekommen, um mit unseren kubanischen Kollegen hier zusammenzuarbeiten und dem haitianischen Volk in dieser schrecklichen Katastrophe unsere Solidarität zukommen zu lassen«, sagte Elsie Walter dem Korrespondenten der Agentur Prensa Latina, Enrique Torres. Es sei bereits das zweite Mal, daß Kuba ihr Möglichkeiten eröffnet habe, sagte die junge Ärztin. Nach ihrer Ausbildung in Kuba, die in den USA für sie nicht möglich gewesen wäre, habe sie nun das Privileg, direkt helfen zu können. Die aus New York, Texas und Minnesota stammenden Mediziner seien gerade dabei gewesen, ihre kubanischen Abschlüsse von den US-Behörden anerkennen zu lassen, um auch in ihrer Heimat als Ärzte arbeiten zu können, als sie von dem Aufruf der Solidaritätsorganisation »Pastors for Peace« hörten, Haiti zu Hilfe zu kommen.

Erschienen am 6. Februar 2010 in der Tageszeitung junge Welt