Zeitung mit Ferienpause

Strahlend blauer Himmel über Kopenhagen. Am Ufer des Peblinge Sø sitzen Einheimische und Touristen in der Frühlingssonne. In ihrem Rücken stehen fünfgeschossige alte Häuser, deren Mauern teilweise mit Efeu bewachsen sind, kleine Restaurants laden zur Mittagspause ein. Fahrradfahrer bahnen sich ihren Weg – ohne Schwierigkeiten, die Radwege in Kopenhagen sind breit und in gutem Zustand. Eine Parallelstraße weiter steht das herrschaftlich wirkende Backsteingebäude einer früheren Metallfabrik. Der Weg führt durch den geschwungenen Torbogen in einen Hof und zu einem Hinterhaus. Ein außen und offensichtlich Jahrzehnte nach dem Bau des Gebäudes installierter Fahrstuhl bringt den Besucher in den ersten Stock. Hier sitzt die Redaktion der Arbejderen, der einzigen kommunistischen Tageszeitung Dänemarks. Gedruckt wird das Blatt gleich nebenan, nur eine Tür trennt die Redaktionsräume von der großen Druckmaschine, die den ganzen Tag über Zeitungsseiten ausspuckt.

 

»Wir sind die einzige Partei in Dänemark, die eine eigene Tageszeitung herausgibt«, berichtet Jørgen Petersen, der Vorsitzende der kleinen Kommunistischen Partei, die erst 2006 als Zusammenschluß von zwei noch kleineren Organisationen entstanden ist. »Wir sind dazu verpflichtet, eine eigene unabhängige Presse zu haben, denn wir können nicht darauf hoffen, daß unsere Positionen in den bürgerlichen Medien wiedergegeben werden. Deshalb sind wir bereit, trotz der äußerst schwierigen Bedingungen die dafür nötigen Opfer zu bringen«, begründete er im Gespräch mit junge Welt, warum es diese Zeitung, die 1982 als Zentralorgan der damaligen pro-albanischen DKP/ML entstanden ist, heute noch gibt. Man wolle aber keine Parteizeitung im traditionellen Sinne machen: »Arbejderen ist das einzige Medium, in dem Aktivisten der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sowie der verschiedenen linken Organisationen eine offene und unzensierte Diskussion führen können.«

Wie wichtig das sein kann, hat Freja Wedenborg erlebt. Die Redakteurin, die nur wenige Monate älter ist als ihre Zeitung, erinnert an die Diskussionen um die NATO-Intervention in Libyen 2011, an der sich auch Dänemark beteiligt hatte. Teile der dänischen Linken unterstützten den Einsatz mit Verweis auf die Menschenrechtslage in dem nordafrikanischen Land. In dieser Situation war die kritische Berichterstattung ihrer Zeitung besonders wichtig. Arbejderen holte am 23. März 2011 Frank Aaen, den verteidigungspolitischen Sprecher der linken Enhedslisten, die im Parlament für die dänische Kriegsbeteiligung gestimmt hatte, zu einem Streitgespräch in die Redaktion. Sein Gegenpart war KP-Chef Petersen, dessen Partei einen Austritt Dänemarks aus der EU und der NATO fordert. Dänemark müsse eine unabhängige Außenpolitik entwickeln und dürfe sich nicht an den imperialistischen Kriegen beteiligen.

Fünfmal in der Woche verbreitet Arbejderen solche Sichtweisen, am Sonntag und Montag erscheint die Zeitung nicht. Gelesen wird das normalerweise in einer Auflage von wenigen tausend Exemplaren gedruckte Blatt von Gewerkschaftern und jungen Aktivisten. »Wir haben im vergangenen Jahr hinterfragt, wer eigentlich unsere konkrete Zielgruppe ist«, berichtet Wedenborg bei einem Treffen mit jW-Redakteuren und Verlagsmitarbeitern in der vergangenen Woche in Kopenhagen. Wissenschaftlich habe man untersucht, was das für die Zeitung bedeute. Herausgekommen seien drei »typische Leser«: der 53jährige Gewerkschafter, die 38jährige Krankenschwester sowie der 20jährige Abiturient, der in antirassistischen Initiativen aktiv ist. Zugleich habe man aber feststellen müssen, daß diese Zielgruppe viel lieber zu populär gemachten Blättern mit großen Überschriften und kurzen Beiträgen greife, als zu einer intellektuell geprägten Zeitung mit langen Artikeln, viel Text und wenigen Fotos.

Die Konsequenzen daraus war im vergangenen Herbst eine komplette Umgestaltung von Arbejderen. Ihr inhaltliches Profil hat die Zeitung bewahrt, und auch auf lange Hintergrundbeiträge wird nicht verzichtet. Doch mit großen Fotos und knalligen Überschriften erinnert sie heute auf den ersten Blick eher an ein Boulevardblatt als an eine klassische Parteizeitung. Ausgebaut wurde auch der Internetauftritt. Mehrfach täglich werden die Nachrichten aktualisiert, bei Bedarf wird auch am Wochenende oder spätabends berichtet. Durch ein modernes Redaktionssystem haben die Journalisten die Möglichkeit, auch von unterwegs ihre Beiträge einzustellen, die dann von den zuständigen Redakteuren freigeschaltet oder bei Bedarf überarbeitet werden. »Natürlich schafft das auch Schwierigkeiten für die gedruckte Ausgabe«, räumt Wedenborg ein. An Möglichkeiten, die in den vergangenen Monaten stark gestiegene Zahl der Internetnutzer noch mehr für die gedruckte Ausgabe zu gewinnen oder über ein Online-Abonne­ment an den Kosten für die Arbeit im Internet zu beteiligen, tüftele man noch.

Bislang finanziert sich Arbejderen vor allem aus dem Verkauf der gedruckten Zeitung sowie aus der in Dänemark existierenden Staatshilfe für Presseorgane. »Bedingung dafür, Staatsgelder zu bekommen, ist, daß die Zeitung mindestens fünfmal wöchentlich erscheint«, erzählt Wedenborg. Damit seien Überlegungen, die Häufigkeit des Erscheinens einzuschränken, Grenzen gesetzt. Weitere Unterstützung kommt von den dänischen Gewerkschaften, die offensichtlich wissen, was sie an der Zeitung haben. Doch große Sprünge kann die Redaktion trotzdem nicht machen. Die Personaldecke ist dünn, was besonders in der Urlaubszeit zu spüren ist. »Wir möchten natürlich alle im Sommer frei haben, aber dann kriegen wir die Produktion nicht abgesichert«, so Wedenborg. Die Lösung ist dänisch pragmatisch: Arbejderen stellt in der warmen Jahreszeit für drei Wochen ihr Erscheinen ein. Immerhin: »Die Online-Ausgabe werden wir natürlich aktualisieren«, kündigt Wedenborg an.

Erschienen am 16. Mai 2013 in der Tageszeitung junge Welt