Wohlstandschauvinisten

Beim Flüchtlingsgipfel der Vereinten Nationen am Montag in New York sonnte sich Bundesentwicklungsminister Gerd Müller in seiner Rolle als Wohltäter und forderte einen internationalen Hilfsfonds von zehn Milliarden Euro. »Fast 90 Prozent der Flüchtlinge finden derzeit in zehn Entwicklungs- und Schwellenländern Zuflucht. Zehn reiche Industrieländer finanzieren 80 Prozent der weltweiten Flüchtlingshilfe«, erklärte der CSU-Politiker.

Zunächst einmal fällt auf, was Müller nicht sagte. Zum Beispiel vergaß er einfach mal die Ankündigung, wieviel Geld denn Deutschland in den von ihm vorgeschlagenen Fonds einzahlen würde. Er machte auch nicht deutlich, wie er eigentlich auf die Zahl der »zehn reichen Industrieländer« gekommen ist, die »80 Prozent der weltweiten Flüchtlingshilfe« tragen – und was er denn unter »Flüchtlingshilfe« versteht. Sind damit zum Beispiel die NATO-Einsätze im Mittelmeer gemeint? Sein Ministerium konnte da auf jW-Nachfrage keine Auskunft geben. Ganz abgesehen davon sind die zehn reichen Staaten weitgehend mit denen identisch, die die größten Gewinne durch Rüstungsexporte machen und zudem vom globalen Agieren der Großkonzerne profitieren. Nicht nur die Kriegspolitik und Interventionen der imperialistischen Mächte, sondern zum Beispiel auch die Monopolisierung des Handels mit Saatgut, das Leerfischen der Gewässer vor den Küsten Afrikas und das Überschwemmen der einheimischen Märkte mit Billigprodukten haben die Existenzbedingungen von Millionen Menschen in den armen Ländern vernichtet – und viele der Betroffenen zur Flucht gezwungen.

Wer von diesen versucht, vor Elend und Hunger in die wohlhabenderen Regionen zu flüchten, trifft hier auf den Hass von Müllers CSU-Parteifreunden und noch weiter rechts stehenden Hetzern. Der De-facto-Koalition aus bayerischer Union, AfD und nicht wenigen aus den anderen Parteien geht es nur noch um Stimmungsmache und Stimmenfang auf dem Rücken der Schwächsten. Allein in diesem Jahr sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration 3.213 Menschen im Mittelmeer ertrunken – fast so viele wie im ganzen Jahr 2015, obwohl sich die Zahl der Menschen, die über das Meer nach Europa fliehen, gegenüber dem Vorjahr fast halbiert hat. Das kümmert die Wohlstandschauvinisten nicht. Und bis es zu medialer Empörung kommt, braucht es inzwischen schon Ausfälle wie den von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der am vergangenen Donnerstag die Parole für die Biertische auf dem Oktoberfest ausgegeben hat: »Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese. Der ist drei Jahre hier – als Wirtschaftsflüchtling. Den kriegen wir nie wieder los.«

Vor diesem Hintergrund ist es deshalb schon fast spektakulär, wenn Minister Müller in New York mal die Tatsache ausspricht, dass die allermeisten Schutzsuchenden eben nicht nach Europa kommen, sondern in ihrer jeweiligen Heimatregion bleiben. Bei seinen CSU-Parteifreunden zu Hause stößt er damit jedoch auf taube Ohren.

Erschienen am 21. September 2016 in der Tageszeitung junge Welt