Wirtschaftskrieg

Leere Regale in Supermärkten machen den Menschen in Venezuela zu schaffen. Tauchen bestimmte Waren des täglichen Bedarfs – etwa Toilettenpapier oder das für die landestypischen Arepas benötigte Maismehl – in den Geschäften auf, bilden sich lange Schlangen. Oft aber sind sie vor allem in den privaten Läden praktisch nicht zu bekommen. In staatlichen Handelsketten wie »Bicentenario« gibt es die Waren zwar, doch hier wird ein Einkauf wegen der langen Schlangen schnell zu einem Tagesausflug. Dem Nationalen Institut für Statistik zufolge lag der amtliche Index für Warenknappheit im April bei 21,3 Prozent – und damit etwa doppelt so hoch wie vor einem Jahr.

 

Unter anderem durch den Import von 50 Millionen Rollen Toilettenpapier soll die Lage nun entschärft werden. Das kündigten Handelsminister Alejandro Fleming und sein für die Industrie zuständiger Kollege Ricardo Menéndez am vergangenen Mittwoch an, wie die Tageszeitung Ciudad CCS berichtete. »Es gibt keine Defizite bei der Produktion, sondern eine übermäßige Nachfrage, die als Folge der Medienkampagne zu Nervositätskäufen der Bevölkerung geführt hat«, sagte Fleming. Auch Argentinien und Brasilien wollen Venezuela offenbar durch Warenlieferungen unterstützen.

In einem Interview mit dem lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur räumte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ein, daß sein Kabinett die Probleme in den vergangenen Monaten vernachlässigt habe. Nach der Operation des damaligen Staatschefs Hugo Chávez Anfang Dezember habe man sich auf dessen Gesundheitszustand konzentriert und dabei wohl die Lebensmittelversorgung aus dem Blick verloren. Das hätten die Regierungsgegner ausgenutzt, um einen »Wirtschaftskrieg« zu entfesseln. Zum einen sei die Währung über Spekulationen auf dem Schwarzmarkt angegriffen worden, zum anderen sei systematisch das Warenangebot in den Geschäften verknappt worden. In linken Medien werden bereits Vergleiche zur Lage in Chile 1973 gezogen, wo vor dem Militärputsch am 11. September, der sich in diesem Jahr zum 40. Mal jährt, durch Wirtschaftssabotage die Lage im Land gezielt destabilisiert worden war.

In Verdacht geraten war zunächst der Großkonzern Polar, der mit mehreren Milliarden US-Dollar Jahresumsatz rund die Hälfte der venezolanischen Lebensmittelproduktion kontrolliert. Dieser habe die Produktion gedrosselt, um das Angebot künstlich zu verknappen, hatte Maduro am vergangenen Wochenende erklärt. Regierungsanhänger hatten zudem in linken Medien darauf hingewiesen, daß zwar das von Polar produzierte Maismehl »Harina PAN« in den Geschäften fehle, zugleich jedoch kein Mangel an den vom selben Konzern vertriebenen Biermarken herrsche, die in Venezuela ebenfalls mit Mais gebraut werden. Das Unternehmen wies die Vorwürfe zurück und unterstrich, man produziere am Limit.

Das bestätigte ausgerechnet die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV), die die Regierung unterstützt. »Die Arbeiter bei Polar haben uns gesagt, daß sie die Lebensmittel ganz normal produzieren und die Waren auf den Weg geschickt werden. Wo aber sind diese Waren? Wer kontrolliert, ob die Lieferungen wirklich ihr Ziel erreichen?« fragte das für Betriebe und Gewerkschaften zuständige Politbüromitglied Yul Jabour bei der wöchentlichen Pressekonferenz seiner Partei am Montag in Caracas. Das Problem sei nicht die Produktion, sondern der Vertrieb.

Tatsächlich konnte die Verbraucherschutzbehörde INDEPABIS am Donnerstag (Ortszeit) in einem Supermarkt in Maracaibo »bergeweise« Lebensmittel sicherstellen, die dort offensichtlich gehortet worden waren. Wie die Koordinatorin der Behörde im Bundesstaat Zulia, Noris Márquez, erklärte, wurde allein 228 Kilogramm Milch, 441 Säcke Mehl und 6000 Kilo Zucker beschlagnahmt. Nur einen Tag zuvor waren in der gleichen Region in einem Kaufhaus mehr als 80 Tonnen Waren entdeckt worden, die von den Besitzern zurückgehalten worden waren.

Maduro und Polar-Chef Lorenzo Mendoza haben unterdessen in einem Gespräch ihre Differenzen ausgeräumt. Nach der Unterredung, zu der der Staatschef den Konzernboß gebeten hatte, erklärte Mendoza gegenüber Journalisten, man habe vereinbart, künftig auf »unbegründete Vorwürfe« zu verzichten. Indirekt kritisierte er die Opposition, die durch die »Politisierung des Themas« Hamsterkäufe provoziert habe. Damit habe sein Unternehmen nichts zu tun. Der Staatschef begrüßte diese Äußerungen und bot Mendoza die Zusammenarbeit an: »Wenn du mehr produzieren willst, rechne mit unserer Unterstützung, damit die Produkte das Volk erreichen«, sagte Maduro am Mittwoch während einer Kabinettssitzung. Daran änderten auch unterschiedliche politische Vorstellungen nichts, so Maduro: »Wir sind Arbeiter und überzeugt davon, daß nur im Sozialismus eine Gesellschaft der Gleichen, des Wohlstands und des Friedens aufgebaut werden kann.« Demgegenüber stütze sich Polar auf das kapitalistische Modell.

Erschienen am 18. Mai 2013 in der Tageszeitung junge Welt