Wirtschaftskrieg aus Miami

Venezuela hat am Mittwoch abend (Ortszeit) für drei Tage alle Grenzübergänge zwischen dem Bundesstaat Táchira und Kolumbien geschlossen. Damit reagierte Präsident Nicolás Maduro auf den Angriff bislang unbekannter Täter auf eine Armeepatrouille, bei dem drei Soldaten verletzt wurden. Im staatlichen Fernsehen VTV machte Maduro für den Hinterhalt rechte Paramilitärs aus Kolumbien verantwortlich. Die Soldaten hätten gerade eine Gruppe Schmuggler festnehmen wollen, als sie von den Terroristen attackiert wurden. »Das war ein Hinterhalt mit mörderischen Absichten«, erklärte Maduro. Die Täter würden »gesucht, und wenn wir jeden Stein umdrehen müssen«, kündigte der Staatschef an.

An der unübersichtlichen und schwer zu kontrollierenden Grenze zwischen den beiden südamerikanischen Ländern hat sich ein schwunghafter Schmuggel entwickelt, in den große, organisierte Banden verwickelt sind. In Venezuela staatlich subventionierte Waren des täglichen Bedarfs werden für »schwarz« getauschte Bolívares (BsF) eingekauft und nach Kolumbien verschoben. Die Schwarzmarktkurse werden von Internetportalen wie »DolarToday« festgelegt – am Donnerstag gab es dort für einen Euro 765,67 BsF, nach dem offiziellen Wechselkurs wären es lediglich 6,96 BsF. Bei der Notierung dieser Schwarzkurse beruft sich »DolarToday« auf den »informellen Dollartausch auf der Straße« in der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta. Garniert wird die »Serviceleistung« mit offener Hetze gegen die venezolanische Regierung. So wird etwa der Wahlbehörde CNE vorgeworfen, eine Manipulation der für den 6. Dezember vorgesehenen Parlamentswahlen vorzubereiten.

Die Hintermänner dieses Portals sind offenbar in den USA zu suchen. Das berichtete unter anderem am Mittwoch die in Táchira erscheinende Tageszeitung La Nación. Demnach wird die Seite von einem aus 20 Personen bestehenden Team in den Räumen einer »bekannten Tageszeitung« in Miami betreut. Gemeint ist offenbar Diario Las Américas. Dieses Blatt gehört Nelson Mezerhane, dem im bequemen Exil in Florida lebenden früheren Miteigentümer des Geldinstituts Banco Federal und des Fernsehsenders Globovisión. Dieser Kanal war die wichtigste Stimme der Regierungsgegner in Venezuela, bis er 2013 verkauft wurde. Seither bemüht er sich um ein gemäßigtes Profil. Auf der Liste der Verdächtigen taucht auch Mezerhanes Kollege Eligio Cedeño auf, der sich schon 2010 aus Venezuela abgesetzt hat, um einer Verurteilung wegen Schmuggels und Schwarzhandels mit ausländischen Währungen zu entgehen.

Die Regierung in Caracas vermutet die Urheber offenkundig ebenfalls in diesen Kreisen. Im April kündigte Maduro bei einer Kundgebung an, er werde die »Banditen von ›DolarToday‹« hinter Gitter bringen, »die von Miami aus den Wirtschaftskrieg gegen Venezuela führen«. Im Juli forderte der frühere Vizepräsident und Außenminister Elías Jaua, ein enger Mitstreiter Maduros, die Auslieferung der »flüchtigen Banker«.

Während diese es sich jedoch weiter in der Sonne Floridas gutgehen lassen, erledigen kriminelle Banden und rechte Paramilitärs die Drecksarbeit. »Ein Lastwagen Milch bringt mehr Geld ein als Kokain«, zitierte die Nachrichtenagentur AP einen der Schmuggler. Ein großes Geschäft lässt sich auch mit Benzin machen, das in der Bolivarischen Republik noch immer lächerlich billig ist. Die Regierung schätzt, dass täglich bis zu 100.000 Barrel des schwarzen Goldes über die Grenze verschoben werden, ein Verlust von etwa 2,7 Milliarden Euro oder 1,5 Prozent des venezolanischen Bruttoinlandsproduktes. »Das ist das Problem, wenn man im billigsten Land der Welt lebt«, kommentierte dies gegenüber AP der Gouverneur von Táchira, José Gregorio Vielma Mora. Er geht davon aus, dass nicht weniger als 30 Prozent aller Lebensmittel dem inländischen Markt entzogen und über die Grenze geschmuggelt werden. Im März erklärte der für den Grenzschutz verantwortliche General Efraín Velasco, dass seine Soldaten allein in den sieben Monaten zuvor 12.000 Tonnen Lebensmittel und andere Waren beschlagnahmt hätten. Diese Menge würde ausreichen, die 1,7 Millionen Einwohner von Táchira zwei Wochen lang zu ernähren, so Velasco.

Eine der Folgen dieses Schwarzmarktes ist die Verknappung des Warenangebots in den Geschäften Venezuelas. Als Folgen bilden sich an den Supermärkten lange Schlangen. Die Regierung wirft in diesem Zusammenhang auch den privaten Handelsketten vor, einen »Wirtschaftskrieg« zu führen, um das Land zu destabilisieren und so die Führung um Maduro zu stürzen. Die Maßnahmen dagegen wirken bislang eher hilflos. So werden in Zehntausenden Supermärkten seit Monaten die Fingerabdrücke von Kunden genommen, um den Erwerb von überzogenen Mengen zu verhindern. Seit gut einem Jahr sind zudem die Grenzen des Landes zwischen 22 und 5 Uhr geschlossen. Außerdem gilt in den grenznahen Bezirken ein Nachtfahrverbot für Lastwagen und Warentransporte aller Art. Eine spürbare Verbesserung der Lage hat das bisher nicht gebracht.

Erschienen am 21. August 2015 in der Tageszeitung junge Welt